Europäische Forschung:Warum London wieder bei Horizon mitmachen darf

Lesezeit: 3 min

Premierminister Sunak hat dem Vereinigten Königreich den Weg zurück in das Forschungsprogramm der EU geebnet. (Foto: Christopher Furlong/Reuters)

Nach dem Brexit wurde Großbritannien von dem EU-Forschungsprogramm ausgeschlossen - und ist jetzt wieder willkommen. Die Schweiz bleibt außen vor.

Von Alexander Mühlauer und Isabel Pfaff, London/Bern

Nach der Einigung im Brexit-Streit um Nordirland gibt es nun eine weitere Annäherung zwischen der EU und Großbritannien: London wird wieder am milliardenschweren EU-Forschungsprogramm Horizon Europe teilnehmen. Nach zähen Verhandlungen haben die britische Regierung und die EU-Kommission am Donnerstag einen Deal verkündet, der noch von den EU-Staaten abgesegnet werden muss. Horizon Europe ist mit einem Budget von 95,5 Milliarden Euro das größte Forschungs- und Investitionsförderprogramm der Welt, mehr als 40 Staaten sind daran beteiligt.

Jetzt auch wieder Großbritannien. Die Betonung liegt auf wieder, denn London war schon mal dabei. Zunächst als EU-Mitglied, doch nach dem Brexit wurde das Vereinigte Königreich 2020 ausgeschlossen, weil es sich im Streit um Sonderregeln für Nordirland aus Sicht der EU ziemlich danebenbenommen hatte. Der britische Premierminister hieß damals Boris Johnson. Seit Rishi Sunak in 10 Downing Street regiert, haben sich die Beziehungen zwischen London und Brüssel wieder deutlich verbessert. Er war es auch, der im Februar die Streitigkeiten um Nordirland beilegte und sich mit der EU auf einen Deal einigte. Das war de facto die Voraussetzung, dass Großbritannien wieder Teil von Horizon Europe werden kann.

Wen sollte Sunak verärgern: die Hardcore-Brexiteers oder die Wissenschaft?

Sunak stand seit dem Nordirland-Deal vor der Frage, wen er denn nun verärgert. Entweder die Hardcore-Brexiteers in seiner Konservativen Partei, die jegliche Annäherung in Richtung EU als Verrat am Brexit deuten. Oder die britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Horizon Europe als unverzichtbar für ihre Arbeit ansehen. Sunak hat sich nach harten Verhandlungen mit der EU für die Wissenschaft entschieden. Und so sagte der Premier, der in seinen Reden gerne die exzellenten Universitäten seines Landes preist, am Donnerstag: "Innovation ist seit Langem die Grundlage für den Wohlstand in Großbritannien, von den Durchbrüchen im Gesundheitswesen bis hin zu den technologischen Fortschritten, die unsere Wirtschaft wachsen lassen."

Kein Wunder, dass der Jubel in der britischen Wissenschaft nun groß ist. "Von der Früherkennung von Eierstockkrebs bis zur Entwicklung sauberer Energienetzwerke unter Beteiligung Dutzender Universitäten und vieler Industriepartner - Horizon lässt uns Dinge tun, die ohne dieses Maß an Zusammenarbeit nicht möglich wären", sagte Sally Mapstone, Präsidentin von Universities UK, einem Dachverband von mehr als 140 britischen Hochschulen. Adrian Smith, Präsident der Royal Society, einer Art nationaler Akademie der Wissenschaften im Königreich, erklärte: "In der Wissenschaft geht es um internationale Zusammenarbeit." Die Teilnahme an Horizon Europe ermögliche es, "die jahrzehntelange Forschungszusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern fortzusetzen und auch unsere globale Zusammenarbeit zu intensivieren, damit wir als Nation weiterhin an der Spitze von Wissenschaft und Innovation stehen."

Am Ende der Verhandlungen zwischen London und Brüssel ging es vor allem ums Geld. Beide Seiten haben sich nun darauf geeinigt, dass Großbritannien für die ersten drei Jahre des von 2021 bis 2027 laufenden Horizon-Programms keinen finanziellen Beitrag leisten muss. Britische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich allerdings ab sofort um Zuschüsse bewerben. Nach den ersten drei Jahren wird London jährlich fast 2,6 Milliarden Euro für Horizon Europe bereitstellen.

Da die britische Regierung sicherstellen wollte, dass London nicht viel mehr einzahlt, als es erhält, gibt es einen sogenannten clawback mechanism. Vereinfacht gesagt, bekommt Großbritannien dank dieses Instruments einen Teil des eingezahlten Geldes zurück, wenn es über zwei Jahre hinweg mindestens acht Prozent mehr bereitstellt, als es erhält. Neu ist, dass dies automatisch erfolgt. Bislang wäre dafür laut Brexit-Deal eine Überprüfung durch ein Gremium nötig gewesen, dass die Handelsbeziehungen regelt, den sogenannten EU-UK Partnership Council. In Brüssel hieß es am Donnerstag, dass sich einige EU-Staaten diesen Automatismus sehr genau anschauen dürften, denn klar sei: Die EU wolle Großbritannien auf gar keinen Fall mehr Geld geben, als es einzahle.

Die EU-Kommission nutzt das Programm als Druckmittel gegen die Schweiz

Neben Horizon Europe wird sich London auch am Erdbeobachtungsprogramm Copernicus beteiligen. Das Angebot der EU, wieder Teil der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) zu werden, schlug Sunak hingegen aus. Er pries am Donnerstag lieber seinen "maßgeschneiderten Deal" in Sachen Horizon. Und auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erfreut: "Die EU und das Vereinigte Königreich sind wichtige strategische Partner und Verbündete, und die heutige Vereinbarung beweist das."

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So freundliche Worte aus Brüssel würde auch ein anderes Nicht-EU-Land gerne hören: die Schweiz. Auch sie wäre am liebsten wieder bei Horizon dabei. Doch weil sich Bern und Brüssel seit Jahren nicht einigen können, wie sie ihre Wirtschaftsbeziehungen künftig gestalten wollen, nutzt die EU-Kommission die ausgesetzte Horizon-Mitgliedschaft als Druckmittel. Gerade weil die Schweiz ein bedeutender Forschungsstandort ist, ist das nicht nur ein ziemlicher Affront, sondern auch ein Zeichen dafür, dass Brüssel die Probleme mit Bern als politisch - und nicht technisch - ansieht. Im Fall von Großbritannien war das Brexit-bedingt nicht viel anders. Erst unter Sunak wurden die Beziehungen zur EU wieder enger.

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