Europäisches Parlament:"Die spielen mit uns"

EU-Politiker Frans Timmermans und Michel Barnier im Europäischen Parlament

Wie soll es bloß weitergehen? Frans Timmermans (links) und Michel Barnier (rechts) sitzen etwas ratlos im Straßburger EU-Parlament.

(Foto: AP)
  • Nach dem "Nein" aus London herrscht unter führenden EU-Politikern ein Stimmungsmix aus Frust, Fassungslosigkeit und Ärger.
  • Einer Verschiebung des Austrittstermins für die Briten würde sich die EU wohl nicht verweigern.
  • Allerdings warnen zahlreiche EU-Politiker, das Thema dürfe die im Mai anstehenden Europawahlen nicht überlagern.

Von Matthias Kolb, Straßburg

Das Abstimmungsergebnis aus London stand erst seit wenigen Minuten fest, da postierten sich die wichtigen Mitglieder der Brexit-Steuerungsgruppe des Europaparlaments schon vor den Kameras. Zum zweiten Mal hat das Unterhaus das im November von Theresa May ausgehandelten Austrittsabkommen abgelehnt, dieses Mal mit 391 zu 242 Stimmen, und der CDU-Abgeordnete Elmar Brok konnte seinen Frust nicht verbergen.

"Die Briten haben vor zwei Jahren einen Antrag auf Austritt gestellt, ohne zu wissen, was sie wollen", klagt der Brexit-Sherpa der Europäischen Volkspartei (EVP). Deswegen komme man nicht weiter. Brok hält den Austrittdeal für "gestorben" und sagt über die Briten: "Die spielen mit uns."

In den Augen von Gabi Zimmer, der Vertreterin der Linken im Gremium, lässt sich ein Chaos-Brexit "kaum noch vermeiden". Ähnlich klingt dies beim Grünen Philippe Lamberts, der wenige Meter neben Brok Interviews auf Französisch, Niederländisch und Englisch gibt. Der Belgier sieht nur zwei Optionen: "Keinen Deal oder keinen Brexit."

Der Fahrplan

Die Parlamentarier kennen den Fahrplan der kommenden Tage genau. Am heutigen Mittwoch beraten die EU-Botschafter in Brüssel, später dürfte das Unterhaus einen "harten Brexit" per Votum ablehnen und voraussichtlich einen Tag später der Premierministerin den Auftrag geben, den für den 29. März vorgesehen Austritt aus der EU zu verschieben.

Darüber müssten dann die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am 21. und 22. März entscheiden. Deren Zustimmung gilt in Brüssel und Straßburg als wahrscheinlich, um sich so gut wie möglich auf das drohende Chaos vorzubereiten. Dass Lamberts und Brok diese Frist aber kurz halten wollen, hat einen Grund: "Dass Großbritannien an der Europawahl teilnimmt, scheint mir eine Lachnummer zu sein." Die EU-Bürger wählen vom 23. bis zum 26. Mai ihre neuen Abgeordneten, bevor sich am 2. Juli das neue Europaparlament konstituiert.

Erstmals seit 1980 wird der Westfale Brok diesem nicht angehören. Er lehnt es ab, den Briten Mitspracherechte zu geben: "Dann wählen sie den Kommissionspräsidenten und die neue Kommission, stimmen über den siebenjährigen Finanzplan ab, entscheiden damit die Zukunft der EU und verlassen sie dann." Die EU dürfe nicht ewig wichtige Debatten wegen des Brexit aufschieben - beim Gipfel in der kommenden Woche sollte eigentlich über Klimawandel, Industriepolitik und den Umgang mit China gesprochen werden. Eine ähnliche Warnung äußerte EVP-Fraktionschef Manfred Weber im ZDF-Interview: "Das britische Chaos darf die EU nicht infizieren."

Frust und Ärger bei der Debatte in Straßburg

Der am Dienstagabend herrschende Stimmungsmix aus Frust, Fassungslosigkeit und Ärger ist auch tags darauf im Europaparlament in Straßburg zu spüren. Um kurz nach zehn betont die rumänische Ratspräsidentschaft, dass man am ausgehandelten Austrittsvertrag festhalte - und natürlich weiter offen sei für Gespräche. Ein Antrag auf eine Verlängerung müsse "glaubwürdig" begründet sein, sagt Europa-Staatssekretärin Melania-Gabriela Ciot. Ihr ernüchterndes Fazit: "Die einzige Sicherheit, die wir momentan haben, ist eine wachsende Unsicherheit."

Für die EU-Kommission spricht Frans Timmermans, der Erste Vizepräsident, und auch er verbirgt seine Enttäuschung nicht. Der Brexit werde sowohl dem Vereinigten Königreich als auch der EU schaden und er sei weiter überzeugt, dass der vorliegende Deal die beste Lösung sei, um die negativen Folgen zu minimieren und den Frieden in Nordirland zu gewähren. Mit dem Satz "Wir befinden uns in den Händen des politischen Systems in Großbritannien" spricht der Niederländer aus, was dauernd in Brüssel und Straßburg zu hören ist. Es schwingt ein gewisses Entsetzen über die Vorgänge im Unterhaus und fehlende Kompromissbereitschaft der Abgeordneten mit.

Danach tritt der Franzose Michel Barnier ans Mikrofon. Der Brexit-Chefunterhändler hatte sich am Vorabend wie Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Juncker nur via Twitter geäußert und betont, "die EU habe alles getan", um May zu helfen, die Mehrheit im Unterhaus einzuwerben. Die wichtigsten Punkte seines Tweets trägt er nun im Plenum vor: Die Hauptverantwortung für den Brexit trage Großbritannien. Daher sei London der Ort, wo die Blockade gelöst werden müsse.

Das Risiko eines No-Deal-Brexit sei nie "so groß wie jetzt" gewesen, warnt Barnier, die möglichen Folgen dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Wir müssen uns alle wappnen." Unmissverständlich macht er klar, dass dieses Austrittsabkommen das einzig mögliche sei - und erinnert die britische Öffentlichkeit daran, dass es ohne diesen Deal keine Verhandlung über das künftige Verhältnis geben werde. Bevor die EU-27 über eine Verschiebung des Austrittstermins entscheiden könne, müsse London einen Plan vorlegen: "Wir brauchen Antworten auf unsere Fragen."

Der Chefunterhändler betont erneut, dass die Integrität des Binnenmarkts für die EU-27 von essenzieller Bedeutung sei - Bürger und Unternehmen müssten geschützt werden. Über die Debatte in London und die dortigen Spekulationen über ein zweites Referendum will sich Barnier nicht konkret äußern, aber er lobt den am Montagabend erzielten Kompromiss als "substanziell". Und dann versucht er, doch noch so etwas wie Zuversicht zu verbreiten. "Ob ich enttäuscht bin? Nein, wir werden entschlossen, ruhig und geeint weitermachen."

Ein wenig Optimismus bei all der düsteren Stimmung versucht auch Guy Verhofstadt zu verbreiten, der Brexit-Koordinator des Parlaments. Aber nur im Hinblick auf eine ferne Zukunft. Die jüngeren Generationen der Briten könnten die Austrittsentscheidung möglicherweise eines Tages rückgängig machen, spekuliert er, nachdem er sich im Plenum erhoben hat. Die britischen Parlamentarier hingegen, die den Brexit-Vertrag erneut ablehnten, greift er scharf an. Labour und Konservative schlachteten den Brexit politisch aus, er sei bloß eine "Kugel im Gewehr" der beiden Parteien, nicht aber ein "existenzielles Problem, das sie lösen wollen".

Verhofstadt betont, dass auch er gegen eine großzügige Fristverlängerung für die Briten ist. Denn dann könnten die Europawahlen im Mai zur "Geisel des Brexits" werden, der dann den Wahlkampf dominieren würde, andere, wichtige Probleme träten schon viel zu lange in den Hintergrund. Er appelliert noch einmal an Großbritannien: "Suchen Sie eine Lösung." Wie es weitergeht, werden nun die britischen Parlamentarier am heutigen Abend entscheiden.

Mitarbeit: Benedikt Peters

Zur SZ-Startseite

Brexit-Abstimmung
:Jetzt ist alles möglich

Kleinere Zugeständnisse können nicht genügend Gegner des Brexit-Abkommens in Mays Konservativer Partei überzeugen. Der Regierungschefin gelingt es lediglich, das Ausmaß der Niederlage zu verringern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: