Diese Zahl treibt sie nun offenkundig alle um: Fast 59 000 Asylsuchende wurden im Januar und im Februar in Deutschland gezählt. Das waren fast doppelt so viele wie in den Vorjahresmonaten. Und da sind die Menschen aus der Ukraine noch gar nicht mitgerechnet: Sie müssen nämlich keinen Asylantrag stellen.
Dieser Anstieg besorgt seit Längerem die deutschen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. In seinem Land seien die Kommunen bei der Unterbringung am Limit, die Bürgermeister sendeten zahlreiche "Notsignale", berichtet Hendrik Wüst (CDU) aus Nordrhein-Westfalen. "Wir dürfen es doch gar nicht so weit kommen lassen, dass die Stimmung kippt."
"Vom Bund muss mehr kommen"
Flüchtlinge müssten innerhalb der EU besser verteilt werden, Menschen ohne Bleiberecht schneller abgeschoben werden - da ist sich die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) bei ihrem Treffen am Donnerstag über die Parteigrenzen hinweg einig gewesen. Die Regierungschefs verstehen sich dabei auch als Schutzherren der Kommunen, die andernfalls überfordert wären, wie der aktuelle MPK-Vorsitzende Stephan Weil (SPD) deutlich macht. Vor allem aber geht es ihnen um die Finanzierung der Unterbringung: "Vom Bund muss mehr kommen", sagt Weil.
Sie wollen also über Geld reden - das Problem ist nur: Da ist gerade niemand da, mit dem sie darüber reden könnten. Erst am 10. Mai will sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Länder-Regierungschefs treffen - nicht jeder von denen empfindet das als früh- oder rechtzeitig. So müssen sie sich bei ihrer Zusammenkunft am Donnerstag darauf beschränken, eine gemeinsame Linie für die Verhandlungen mit Scholz zu finden. Länder und Bund sollten sich die Kosten für den Flüchtlingsbereich hälftig aufteilen, das schwebt Weil und Wüst vor. In keinem Fall dürfe es weiter nur eine pauschale Zahlung des Bundes geben, fordern die Länder; lieber solle man pro Kopf rechnen, um bei steigenden Flüchtlingszahlen eben nicht auf Kosten sitzen zu bleiben.
Der Kanzler macht seine eigene Rechnung auf
Der Kanzler signalisiert bisher indes nur wenig Kompromissbereitschaft. Der Bund habe im vergangenen Jahr 3,75 Milliarden Euro gezahlt, in diesem Jahr sollten 2,5 Milliarden Euro fließen, sagte er im Bundestag. Und weil Geflüchtete aus der Ukraine inzwischen das Bürgergeld bekommen, das der Bund finanziert, geht Scholz' Rechnung so: "Das bedeutet, dass der Bund den allergrößten Teil der Kosten für Unterkunft und Verpflegung trägt."
In den Ländern rechnen sie da anders: Von den Kosten für Asylbewerber komme der Bund für vielleicht 15 bis 20 Prozent auf, berichten Ministerpräsidenten, und manche ärgert es, dass die Bundesregierung still und heimlich gerne auf die vermeintlich vollen Kassen der Länder verweise. Immerhin signalisierte ihnen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun, dass eine weitere Unterstützung möglich sei. Aber man müsse "noch ein bisschen abwarten, wie die Entwicklung ist".
"Seit Monaten bitten wir um Unterstützung, seit Monaten ist nichts passiert", schimpft der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) - und fragt rhetorisch: "Ist das das Deutschlandtempo des Kanzlers?" Wie seine Amtskollegen wünscht er sich auch bei anderen Themen mehr Entschlussfreude der Bundesregierung. Zum Beispiel bei der gemeinsam vereinbarten Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte: Da lägen seit Langem konkrete Vorschläge vor, klagen die Länder, der Bund aber komme nicht voran. Ja, seit vier Monaten lade er noch nicht einmal die bereits ins Leben gerufene Arbeitsgruppe zu einem ersten Treffen ein.
Oder die hohen Strompreise für energieintensive Unternehmen: Diese Frage besorge alle 16 Länderchefs gleichermaßen, sagt Weil, da die Betriebe in Deutschland nicht mehr konkurrenzfähig seien. Die Bundesregierung müsse "schnell" Vorschläge für einen subventionierten Industriestrom entwickeln. Vergangene Woche hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das auch zugesagt - im Laufe des ersten Halbjahrs.