Baden-Württemberg:Abschied vom Turbo-Abi

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Baden-Württemberg beendet die G8-Ära. Nur in Hamburg, Bremen und ostdeutschen Ländern legen Schüler und Schülerinnen ihr Abi weiter nach acht Jahren ab. (Foto: Armin Weigel/DPA)

Baden-Württemberg kehrt vom Schuljahr 2025/26 an als letztes westdeutsches Flächenland zum neunjährigen Gymnasium zurück. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann ist davon nicht begeistert.

Von Roland Muschel, Stuttgart

Immerhin Annette Schavan ist sich treu geblieben. Als christdemokratische Kultusministerin hatte sie 2004 in Baden-Württemberg das achtjährige Gymnasium (G8) eingeführt. Wenn sie lese, G8 sei gescheitert, sagte die spätere Bundesbildungsministerin dieser Tage der baden-württembergischen Wochenzeitung Staatsanzeiger, müsse sie schmunzeln. Obwohl heute ein wesentlich höherer Anteil eines Jahrgangs Abitur mache als früher, sei die Durchschnittsnote beim Abitur besser geworden. "Da sieht G8 nicht unattraktiv aus."

Viele Anhänger aber hat das achtjährige Gymnasium auch in Baden-Württemberg nicht mehr. Eine Elterninitiative sammelte im vergangenen Jahr über 100 000 Unterschriften für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium und zwang so die grün-schwarze Landesregierung zum Handeln. In dieser Woche nun kündigte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) im Landtag an, dass das Bundesland vom Schuljahr 2025/26 an G9 definitiv wieder als Regelform einführen werde. Beginnend mit Klasse fünf. Es wird also noch etwas dauern, bis im Südwesten wieder ein G9-Jahrgang Abitur macht.

Vor 20 Jahren hatte G8 Hochkonjunktur

Die Reform startet aber noch vor der Landtagswahl 2026. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht zwar keinen Hehl daraus, dass er gern am achtjährigen Gymnasium festgehalten hätte, da er andere Reformen im Bildungssystem für wichtiger hält. Seine Partei musste aber fürchten, dass dann CDU, SPD und FDP die populäre G9-Forderung zum Wahlkampfthema machen würden.

Mit Schoppers Ankündigung vollzieht Baden-Württemberg eine Umkehr, die in den anderen westdeutschen Flächenländern bereits abgeschlossen oder zumindest eingeleitet ist: Niedersachsen etwa hat den Abschied vom früheren Abitur längst umgesetzt, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein sind seit einigen Jahren auf dem Weg dahin. In Bayern macht gerade der letzte G8-Jahrgang das Abitur. Nur die Stadtstaaten Hamburg und Bremen und die ostdeutschen Bundesländer bleiben beim Abitur nach acht Gymnasialjahren.

Dabei hatte das sogenannte Turbo-Abi vor 20 Jahren bundesweit Hochkonjunktur. G8, so eine damals populäre These, werde Deutschland international konkurrenzfähiger machen. Die Wirtschaft sollte auf jüngere Berufseinsteiger zurückgreifen können, eine längere Lebensarbeitszeit die Rentenkassen entlasten. In der Praxis überwogen in der Elternschaft aber bald die Kritikpunkte: Überfrachtete Lehrpläne, so die Klage, führten zu Stress bei Schülerinnen und Schülern.

Ja zur Reform der Reform, aber nicht "im Schweinsgalopp"

Unter Stress setzt der Reformdruck nun die Politik. Das werde "keine easy Nummer" sagte Schopper im Landtag. Kretschmann, einst selbst Lehrer, betonte diese Woche wieder, dass man die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium nicht isoliert betrachten dürfe. So hat die Regierungsspitze in den vergangenen Wochen versucht, den Baden-Württembergern den etwas sperrigen Fachterminus "Schülerstromlenkung" näherzubringen. Die Schüler strömen nämlich schon in Massen aufs Gymnasium, über 40 Prozent eines Jahrgangs machen Abitur. Kretschmann fürchtet, dass die Rückkehr zum G9 einen zusätzlichen Sog entwickelt, für den die Gymnasien gar nicht gewappnet sind. Weder räumlich noch personell.

Die Landesregierung will deshalb einerseits die Empfehlung der Grundschule für eine weiterführende Schulart verbindlicher machen, andererseits auch die anderen Schularten attraktiv halten. Ein recht großes Unterfangen bei nicht ganz so vollen Kassen. Allein die G9-Reform wird mittelfristig einen höheren dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr kosten.

Ein konkretes Konzept liegt bislang nicht vor. Grüne und CDU ringen noch um Details wie die Frage, inwieweit Schülerinnen und Schüler auch künftig die Möglichkeit haben sollen, bereits nach acht Jahren das Abitur zu machen. Man werde nicht den gleichen Fehler wie vor 20 Jahren machen und die Reform "im Schweinsgalopp" durchziehen, sagte Schopper.

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