Bildungspolitik:"Geld für Personal ist am wichtigsten"

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Seit Jahren verspricht die Politik mehr Bildungsgerechtigkeit - das Startchancenprogramm soll dazu beitragen. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Nach langem Ringen verabschieden Bund und Länder das Startchancenprogramm, mit dem sie sozial benachteiligte Schüler fördern wollen. Was sagen die Schulen dazu? Ein Gespräch mit dem Rektor Detlef Storm.

Von Kathrin Müller-Lancé

Mit einem Jahr Verspätung und nach monatelangen Diskussionen haben sich Bund und Länder auf das "Startchancen" genannte Förderprogramm geeinigt. Es gilt als das wichtigste bildungspolitische Vorhaben der Ampel. Mit zwei Milliarden jährlich wollen Bund und Länder künftig 4000 Schulen in sozial benachteiligten Vierteln unterstützen, über zehn Jahre hinweg. Im Herbst soll es losgehen. Detlef Storm leitet die Rosensteinschule, eine Grund- und Werkrealschule im Stuttgarter Nordbahnhofviertel. Kann das Programm Schulen wie seiner helfen?

SZ: Herr Storm, zusammen mit dem Startchancenprogramm ist oft von "Brennpunktschulen" die Rede. Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen?

Detlef Storm: Dieses Wort ist absolut stigmatisierend. Wir müssen mit Herausforderungen umgehen, ja, aber es brennt nicht immer. Und wenn es tatsächlich brennt, sind wir oft recht gute Feuerlöscher.

Wann brennt es?

Bei Streitigkeiten zwischen Schülerinnen und Schülern, bei Verwahrlosung, wenn die Verhältnisse zu Hause so sind, dass der Schulbesuch nicht gesichert ist. Wir haben eine sehr heterogene Schülerschaft, da wird es im Klassenzimmer auch mal laut. Hier zu unterrichten ist schon etwas, für das sich jede Lehrerin und jeder Lehrer bewusst entscheiden muss.

Das Startchancenprogramm besteht aus drei Säulen: Es sollen Baumaßnahmen und Sozialarbeit gefördert werden, außerdem sollen die Schulen ein Budget bekommen, über das sie individuell entscheiden können. Hilft Ihnen das?

Ob wir wirklich vom Startchancenprogramm profitieren, wissen wir erst, wenn die Schulen ausgewählt wurden. Prinzipiell hilft uns, wenn wir Geld flexibel nach unserem Bedarf einsetzen können. Geld für Baumaßnahmen brauchen wir im Moment eher nicht, wir haben gerade erst einen neuen Anbau bekommen. Bei uns wäre das Geld für Personal am wichtigsten. Für zusätzliche Lehrkräfte, damit nicht nur eine einzelne Person im Klassenzimmer unterrichtet , für Schulbegleiter, die sich um Kinder in der Inklusion kümmern, für Schulsozialarbeiter. Wobei das Problem ja nicht nur ist, dass wir kein Geld für Personal haben - sondern auch, dass es an ausgebildeten Leuten mangelt. Gegen den Lehrermangel hilft das Programm nicht.

Detlef Storm leitet die Rosensteinschule in Stuttgart. (Foto: privat)

Die Pisa-Studie hat Ende des vergangenen Jahres wieder einmal gezeigt: In Deutschland hängt der Bildungserfolg stärker von der Herkunft ab als in vielen anderen Ländern. Was sind die größten Herausforderungen an Ihrer Schule?

Wir haben so viele Aufgaben zu erfüllen, dass wir unmöglich allen gerecht werden können. Hier in der Nähe des Stuttgarter Nordbahnhofs gibt es zum Beispiel drei Flüchtlingsunterkünfte, von denen wir Kinder aufnehmen. Der Anteil an Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, wächst. Ich schätze, er liegt bei uns gerade bei etwa 80 Prozent. Der Anteil an Kindern, die aus Familien mit Migrationshintergrund kommen, liegt insgesamt bei 90 Prozent.

Was bedeutet das in der Praxis?

Dass es für viele Schülerinnen und Schüler erst einmal darum geht, Deutsch zu lernen. Das ist die Basis für alle anderen Fächer. Im Moment haben wir eine größere Gruppe von Kindern mit Roma-Hintergrund, die bei uns zum ersten Mal eine Schule besuchen. In der ersten oder zweiten Klasse ist das relativ unproblematisch, da geht es für alle Kinder erst einmal darum, Lesen und Schreiben zu lernen. Wenn die Schüler zwölf oder 13 sind, wird es schwieriger. Wir haben eigens Vorbereitungsklassen für Schülerinnen und Schüler, die noch nie eine Schule besucht haben. Das ist eine ganz besondere Herausforderung. Oft müssen wir auch erst einmal bei den Eltern das Vertrauen schaffen, dass Schule eine Institution ist, die den Kindern guttut.

Schon seit Jahren verspricht die Politik mehr Bildungsgerechtigkeit. Was hilft Ihrer Erfahrung nach wirklich?

Das wirksamste Instrument, das ich in meiner Schullaufbahn kennengelernt habe, ist der Ganztag. Wir versuchen, das Lernen zur Aufgabe der Schule zu machen. Wenn unsere Schülerinnen und Schüler nach Hause kommen, müssen sie keine Hausaufgaben mehr machen, weil sie vorher acht Stunden in der Schule waren. Wenn man dort genügend ausgebildetes Personal hat - nicht nur Lehrer, sondern auch Erzieher, Sportpädagogen, Sozialarbeiter -, kann man sich wirklich individuell kümmern. Kindern, die zu Hause kein Deutsch sprechen, hilft es auch einfach, acht Stunden lang viel Deutsch zu hören und zu sprechen. Trotzdem kann Schule nicht alles leisten, sie kann kein Ersatz für Familie sein.

Was meinen Sie damit?

Der Großteil unserer Schülerinnen und Schüler hat bestimmt ein Vertrautheits- und Zugehörigkeitsgefühl zur Schule, aber natürlich sind auch die sozialen Umstände, die Familie zentral. Für viele Kinder ist es sehr belastend, wenn die Eltern zum Beispiel schon lange ohne Arbeit sind, wenn Geld fehlt oder die Wohnverhältnisse schwierig sind. Wir versuchen, den Eltern Unterstützung zu vermitteln, aber das alles als Schule abzufedern, ist schwierig.

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