Urteil gegen Harvey Weinstein:Ein Signal, kein Triumph

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Der frühere Hollywood-Filmproduzent Harvey Weinstein ist erneut wegen Sexualverbrechen verurteilt worden. Das Strafmaß wird erst noch verkündet. (Foto: Mark Lennihan/dpa)

Harvey Weinstein wird in Los Angeles erneut wegen Sexualverbrechen schuldig gesprochen. Das Urteil zeigt, wie erniedrigend diese Prozesse für die mutmaßlichen Opfer sind - und wie kompliziert eine Verurteilung ist.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Harvey Weinstein dürfte den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Der 70 Jahre alte Filmproduzent, dem insgesamt mehr als 100 Frauen sexuelle Nötigung und noch schlimmere Dinge vorwerfen, wurde am Montag in drei Anklagepunkten, darunter Vergewaltigung, von Geschworenen beim Strafprozess in Los Angeles schuldig gesprochen. Das Strafmaß wird Anfang 2023 verkündet werden, wegen der Gesetzgebung in Kalifornien ist eine Haftstrafe von 18 bis 24 Jahren vorgeschrieben.

Zunächst muss Weinstein noch 21 Jahre in New York absitzen

Es gibt jedoch keine Eile: Weinstein muss noch 21 Jahre seiner 23-Jahre-Haftstrafe in New York absitzen, erst dann würde er nach Kalifornien überstellt werden. Gegen dieses Urteil an der Ostküste haben seine Anwälte Berufung eingelegt, es wird zu einer Verhandlung kommen; und ohne diesen Schuldspruch in Los Angeles wäre es möglich gewesen, dass Weinstein trotz der vielen und heftigen Vorwürfe gegen ihn im Sommer 2023 ein freier Mann gewesen wäre.

"Ich hoffe, dass er in seinem Leben nie wieder aus dem Gefängnis kommt", heißt es in einem Statement eines Opfers, das unter dem Pseudonym Jane Doe 1 ausgesagt hatte und deretwegen Weinstein letztlich verurteilt worden ist. In allen anderen Fällen nämlich konnten sich die Jurymitglieder in neun Tagen Beratung entweder nicht auf ein Urteil einigen oder sprachen Weinstein frei: "Er hat in dieser Nacht im Jahr 2013 einen Teil von mir zerstört, den ich nie zurückbekommen werde. Der Prozess war brutal, seine Anwälte haben mich im Zeugenstand durch die Hölle geschickt."

Ein wegweisendes Urteil

Das Urteil in Los Angeles galt deshalb als wegweisend für diesen neuen Prozess in New York, weil einige Zeuginnen erneut werden aussagen müssen. "Meine Mandantin ist dazu bereit, und zwar zu 100 Prozent", sagte Anwältin Gloria Allred nach der Urteilsverkündung vor dem Clara-Shortridge-Foltz-Gebäude im Stadtzentrum von L.A. Ihre Mandantin hatte als Jane Doe 2 ausgesagt. Die Geschworenen konnten sich in diesem Fall nicht auf ein Urteil einigen; zehn stimmten für schuldig, die zwei anderen für unschuldig; nach insgesamt 41 Stunden Beratung hieß es, dass keine Einigung erzielt werden könne.

Es wäre vermessen, dieses Urteil einen Triumph für die Opfer oder die "Me too"-Bewegung zu nennen; denn, wenn es eines gezeigt hat, dann, wie knifflig es ist, eine strafrechtliche Verurteilung wegen sexueller Delikte zu erreichen. Wie schon erwähnt: Mehr als 100 Frauen haben sich öffentlich gemeldet und ihre Erfahrungen detailliert geschildert; beim Prozess in L.A. ging es nur um vier mutmaßlich Opfer. Die Geschworenen sprachen Weinstein nur in einem Fall schuldig, bei den anderen drei konnten sie sich in neun Tagen Beratung entweder nicht auf ein Urteil einigen oder sprachen Weinstein frei. Vier weitere Anklagepunkte hatte die Staatsanwaltschaft bereits zu Beginn des Prozesses fallen lassen.

Gefühlt wie eine "aufblasbare Puppe"

Das prominenteste mutmaßliche Opfer war Jennifer Siebel Newsom. Die Film-Produzentin und Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom hatte als Jane Doe 4 ausgesagt, dass Weinstein sie 2005 in einem Hotelzimmer vergewaltigt habe. Er habe eine Reihe berühmter Schauspielerinnen aufgezählt, die allesamt mit ihm geschlafen hätten, um ihre Karrieren zu fördern. Sie habe sich wie "eine aufblasbare Puppe" gefühlt: "Ich zittere, ich weine. Er weiß, dass das nicht einvernehmlich ist." Die Anwälte von Weinstein dagegen zeichneten das Bild einer ambitionierten Schauspielerin, die ganz genau gewusst habe, was sie da tat - einer beleidigte sie als karrieregeiles Flittchen, das Sex als Währung benutzt habe, um sich in Hollywood einen Vorteil zu verschaffen: "Tränen sind keine Fakten, Wut sorgt nicht für Wahrheit."

Jennifer Siebel Newsom, Filmproduzentin und Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs, war eine der Zeuginnen im Prozess gegen Weinstein. (Foto: Bill Robles/AP)

"Während der Verhandlung verwendeten Weinsteins Anwälte sexistische, misogyne und einschüchternde Taktiken, um uns Opfer zu entmutigen, zu erniedrigen und zu verhöhnen", heißt es in einem Statement, das Siebel Newsom nach dem Urteil verschickte. In ihrem Fall konnten sich die Geschworenen nicht einigen; acht von ihnen sprachen sich für eine Verurteilung aus, vier dagegen: "Der Prozess ist eine krasse Erinnerung daran, dass wir als Gesellschaft noch viel zu tun haben. An alle Überlebenden da draußen: Ich sehe euch, ich höre euch - und ich stehe euch bei."

Zweierlei hat dieser Prozess noch gezeigt: Wie belastend es für Opfer sein muss, im Zeugenstand Details eines mutmaßlich traumatischen Erlebnisses preiszugeben und dabei von den Anwälten des Angeklagten so lange gegängelt zu werden, bis es womöglich zu Widersprüchen kommt. Das passierte bei Jane Doe 3; Weinstein wurde in diesem Fall freigesprochen - ihre Anwältin Lisa Banks sagte nach dem Urteil, sie hätte sich gewünscht, die Staatsanwaltschaft hätte sie besser vorbereitet auf das, was im Gerichtssaal passieren würde.

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Was nämlich noch passierte bei diesem Prozess: Die Anwälte von Weinstein erklärten ihren Mandaten zu einem, der lediglich profitierte von einem allseits bekannten System der sogenannten Besetzungscouch in Hollywood; bei dem Sex wie selbstverständlich als Tauschmittel gegen Rollen oder anderweitige Förderung angeboten wurde. Weinstein sei nun mal so mächtig gewesen, dass Frauen freiwillig mit ihm schliefen, um die Karriereleiter ein wenig schneller nach oben zu klettern. Das heißt: Die mutmaßlichen Opfer wurden öffentlich degradiert zu Frauen, die mitgemacht hätten bei diesem perfiden Spiel. Weinstein zeichneten sie als einen, dem übel mitgespielt wurde von Frauen, die seine Stellung ausgenutzt und dann, als es mit der großen Karriere nicht klappte, all die Vorwürfe nur erfunden hätten, um das eigene schlechte Gewissen zu betäuben und als Opfer berühmt zu werden.

"Sie haben alles getan, um sie einzuschüchtern und unglaubwürdig erscheinen zu lassen"

"Niemand sollte durchmachen müssen, was meine Mandantin hat aushalten müssen", sagte Anwalt Dave Ring über Jane Doe 1, deretwegen Weinstein verurteilt wurde: "Sie haben alles getan, um sie einzuschüchtern und unglaubwürdig erscheinen zu lassen; aber sie hat durchgehalten. Ihr Leben ist unglaublich schwierig, seit sie sich 2017 öffentlich zur Vergewaltigung geäußert hatte." Jane Doe 1 sagte: "Ich wusste, dass ich bis zum Ende würde durchhalten müssen; das habe ich getan."

Weinstein nahm das Urteil gegen sich ohne erkennbare Regung zur Kenntnis, seine Anwälte verließen das Gerichtsgebäude ohne Statement. Er wird nun nach New York überstellt; in Großbritannien wird ebenfalls ein Prozess gegen ihn angestrengt. Er dürfte den Rest seines Lebens im Gefängnis bleiben. Oder, wie Siebel Newsom sagte: "Harvey Weinstein wird nie wieder eine Frau vergewaltigen können."

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