Gespräch über Energiekrise:"Uns steht eine erhebliche Versorgungslücke bevor"

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Führende Wirtschaftsfachleute des Oberlands erklärten, wie es hierzulande um die Energieversorgung steht und welche Potenziale es gibt (v.li.): Jan Dühring (Stadtwerke Geretsried), Andreas Roß (Wirtschaftsforum Oberland), Walter Huber (Stadtwerke Bad Tölz), Reinhold Krämmel, (Wirtschaftsforum Oberland), Marinus Krämmel (Isar-Transportbeton), Kilian Willibald (Wirtschaftsforum Oberland) und (nicht im Bild) Nicolas Holdschik (ecobility). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die steigenden Energiepreise beschäftigen die Unternehmen. Das Wirtschaftsforum Oberland diskutiert Lösungsansätze. Zentraler Punkt: der Umstieg auf heimische erneuerbare Energien.

Von Tobias Bug, Wolfratshausen

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Russland haben die Energiepreise in Deutschland steigen lassen. Der Strompreis ist im Vergleich zum Vorjahr um fünf Cent pro Kilowattstunde teurer. Noch krasser ist der Anstieg beim Gaspreis: Kostete im vergangenen Jahr die Kilowattstunde noch 6,65 Cent, liegt sie dieses Jahr schon bei 14,15 Cent - ein Plus von mehr als 110 Prozent.

Diese Entwicklungen bergen große Risiken für die Versorgungssicherheit, für private Haushalte und für Unternehmen. Um auf diese großen Herausforderungen aufmerksam zu machen, hatte das Wirtschaftsforum Oberland am Montag zu einem Austausch ins Krämmel Forum in Wolfratshausen eingeladen. Das Ziel: die aktuelle Situation objektiv darzustellen, die Folgen einzuordnen und zu versuchen, geeignete Lösungsansätze aufzuzeigen, mit denen Betriebe und Bürger auf diese Herausforderungen reagieren können.

"Unser heutiger Wohlstand basiert auf jahrzehntelang billiger Energie", sagte Reinhold Krämmel, Aufsichtsratsvorsitzender im Wirtschaftsforum Oberland. Nun gebe es eine Zeitenwende, auf die man reagieren müsse. Die Politik mache derzeit "abenteuerliche Vorschläge" zum Energiesparen, wie zum Beispiel kalt zu duschen. "Ob das die großen Probleme lösen wird, sei mal dahingestellt." Ein Black-Out, also ein kompletter Zusammenbruch des Stromnetzes, sei keine Horrorszenarium mehr, sondern möglich, gerade im kommenden Winter.

Die stark ansteigenden Strompreise, ergänzte Walter Huber, Geschäftsführer der Stadtwerke Bad Tölz, hätten das Potenzial, "Firmen umzubringen". Auch die Bürger müssten sich bei der nächsten Abrechnung auf saftige Nachzahlungen einstellen. "Das wird teuer werden", jeder solle schon mal Geld dafür beiseite legen. "Uns steht eine erhebliche Versorgungslücke ins Haus", sagte Jan Dühring, Leiter der Geretsrieder Stadtwerke. Noch niemand könne abschätzen, wie es diesen Winter um die Versorgungssicherheit stehen wird. Den Stadtwerken komme die Aufgabe zu, schnelle Lösungen für die bevorstehenden kalten Monate zu finden. "Kurzfristig werden wir die Gasversorgungslücke aber nicht schließen können. Wir müssen eine Übergangslösung finden für den Winter, aber auch langfristige Lösungen." Um kurzfristige Engpässe zu überwinden, sagte Reinhold Krämmel, müssten die verbliebenden Atomkraftwerke länger als geplant am Netz gehalten werden, "bis die Probleme gelöst sind". Es dürfe kein Tabu sein, aus ideologischen Gründen solche Themen nicht anzusprechen. Auch für Pumpspeicherkraftwerke sei das Potenzial in der Region groß.

Das Wirtschaftsforum Oberland sieht Potenzial für Pumpspeicherkraftwerke in der Region. 2014 wurde schon einmal über ein solches Projekt am Jochberg diskutiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Zentraler Punkt für die langfristige Strategie: der Umstieg auf heimische erneuerbare Energien wie Wind- und Wasserkraft, Geothermie, Hackschnitzel oder Biomasse. "Dieses Ziel ist ja nicht neu", sagte Dühring, "aber es gewinnt in der aktuellen Krise stark an Bedeutung." Insgesamt sei eine gemeinsame Anstrengung von Unternehmen und Bürgern notwendig, um die Energiekrise zu überwinden.

"Die Energiewende in der Region ist möglich", sagte Stefan Drexlmeier, Vorstandsvorsitzender der Energiewende Oberland. Es gebe im Oberland die natürlichen und ökonomischen Voraussetzungen, um die Energiewende bis zum Jahr 2035 zu schaffen und daraus einen ökonomischen Vorteil für die Region zu generieren. Aktuell allerdings werden noch drei Viertel der Gebäude im Oberland mit Öl oder Gas beheizt, zudem sind nur ein Bruchteil der dafür nutzbaren Dachflächen mit Photovoltaik-Anlagen bestückt. Außerdem sei die Akzeptanz für Wind- und Sonnenenergie-Anlagen noch nicht groß genug, so Drexlmeier. Überall würden neue Golfplätze, Fußballfelder und Spazierwege gebaut, für Solarzellen oder Windkraft sei dagegen kein Platz. "Das muss sich dringend ändern, wenn wir unabhängig werden wollen", sagte Drexlmeier. Nur 0,15 Prozent der Fläche des Oberlandes sei für Photovoltaik-Anlagen nötig, um den Strombedarf mit Solarenergie decken zu können.

Nur ein Bruchteil der dafür nutzbaren Dachflächen ist laut Stefan Drexlmeier, Vorstandsvorsitzender der Energiewende Oberland, bereits mit Photovoltaik-Anlagen bestückt. (Foto: Manfred Neubauer)

Bereits seit zwei Jahren steige aber bei Unternehmen und Haushalten im Oberland die Nachfrage nach Heizungen auf Basis erneuerbarer Energien und nach Photovoltaik deutlich. Wegen der hohen Preise für Strom und Wärme rechnet Drexlmeier für die kommenden Jahre mit einem zusätzlichen "Run". Er rät allen, die auf Erneuerbare umstellen möchten, die Anlagen schon jetzt zu bestellen, selbst wenn die dann erst kommendes Jahr installiert werden könnten. Nicolas Holdschik, Leiter der Ecobility GmbH, bemängelte den großen bürokratischen Aufwand bei der Zertifizierung neuer PV-Anlagen. Eine von seiner Firma gebaute Anlage, die noch im August fertiggestellt wird, könne wegen der langwierigen Abläufe erst kommendes Jahr in Betrieb gehen.

Kilian Willibald, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender im Wirtschaftsforum, sagte: "In den letzten 20 Jahren wurde uns durch die Subventionen suggeriert, dass Klimaschutz Geld bringen muss. Jetzt wird klar: Das kostet Geld." Doch kurzfristig teure Investitionen in eine autarke Energieversorgung von Unternehmen zahle sich langfristig aus. Marinus Krämmel von der Krämmel GmbH sagte, die Unternehmen müssten mit gutem Beispiel vorangehen. Seine Firma habe an ihrem Hauptsitz auf Wärmepumpe umgerüstet und PV-Anlagen auf dem Dach verbaut, bei Neubauten setze sie sowieso auf nachhaltige Energiekonzepte.

Um das Thema weiter zu vertiefen und Lösungsvorschläge in noch größerer Runde zu besprechen, wird das Wirtschaftsforum am 12. September eine Podiumsdiskussion veranstalten. Denn eines ist sicher: Die Energiekrise wird Unternehmen und Haushalte noch eine Weile beschäftigen.

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