Dirk Steffens im Interview:"Wir sind überhaupt nicht machtlos"

Lesezeit: 12 min

Für die "große Geo-Story" ergründet Dirk Steffens die Zusammenhänge der Lebensmittelindustrie. Hier ist er mit Sabine Armsen auf dem Heuschreckenmarkt in Uganda. (Foto: privat)

Der Ickinger Fernsehjournalist Dirk Steffens widmet sich in seiner neuen "Geo"-Doku der Ernährung. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin und Regisseurin Sabine Armsen erklärt er, wie alle dazu beitragen können, die Welt besser zu machen - egal ob Veganer oder Fleischliebhaber.

Interview von Claudia Koestler, Icking

Für Reihen wie "Terra X" reiste er um die Welt, zuhause ist Dirk Steffens aber seit etwa drei Jahren in Icking. Nun hat der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalist und Dokumentarfilmer, der im Mai 2022 vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu RTL gewechselt ist, ein neues Projekt: Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Regisseurin Sabine Armsen widmet er sich den großen Themen der Zeit - gleichzeitig in Filmen, Büchern, Zeitschriften, Radio und sozialen Medien, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Sie stellen unkomplizierte und leicht umsetzbare Ideen vor, wie man die Welt ein Stück besser machen kann. Gleich zu Beginn geht es buchstäblich um die Wurst: Der erste Teil der neuen Reihe "Die große Geo Story" auf RTL am Donnerstag, 19. Oktober, dreht sich um die Ernährung, wie auch Steffens' neues Buch. Warum er dafür nackt auf einem Ickinger Acker stand, welche Hürden es hinter den Kulissen gab und warum sie manchmal gerne unterm Radar durchfliegen, verraten Steffens und Armsen im Interview.

SZ: Herr Steffens, Sie sind gerade im Zug unterwegs nach Hamburg - schon im Bordrestaurant eine Currywurst gegessen?

Dirk Steffens (lacht): Nein. Aber ich habe heute Morgen tatsächlich eine Bio-Weißwurst gefrühstückt.

Sie sind also kein Veganer?

Steffens: Nein. Das ist ja eine der Kernaussagen, die wir haben. Wir streiten oft über die falschen Dinge. Es geht gar nicht unbedingt darum, was Sie essen, sondern die entscheidende Frage ist, wie sind diese Lebensmittel produziert worden. Und das ist - das ist jetzt keine pathetische Übertreibung, sondern Wissenschaft - das größte Ökoproblem auf diesem Planeten. Wir streiten über SUV-Autos, über das Telefonieren mit Handys, über Urlaubsfliegerei oder Heizungssysteme. Das sind alles wichtige Fragen, ganz sicher. Aber die größte Frage von allen ist, wie wir Nahrungsmittel produzieren. Und da wir bei der Rettung der Welt - um es jetzt doch mal pathetisch zu sagen - , also bei der Lösung der Umweltprobleme sehr unter Zeitdruck stehen, macht es sehr viel Sinn, sich dem größten Problem zuerst und am entschlossensten zuzuwenden. Was kann man da tun, was sind die Probleme, wie sind die Zusammenhänge? Das ist genau das Thema von Film und Buch.

Auf den Spuren der Wurst: Dirk Steffens in der Doku. (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Steffens: Weil Sabine und ich wie so viele andere Menschen da draußen nicht noch mehr schlechte Nachrichten, nicht noch mehr erhobene Zeigefinger, anprangernde, vorwurfsvolle Umweltgeschichten hören können - da ist das Aufnahmemaß erreicht - , haben wir eine völlig andere Erzähl-Haltung als die üblichen Umweltdokumentationen. Es ist ein positiver Film, und das, obwohl er sich mit dem größten Umweltproblem befasst. Dahinter steht unsere Überzeugung, dass man mit Resignation und Pessimismus kein einziges Problem lösen kann. Ich tingle ja seit vielen Jahren durchs Land und spreche mit vielen Menschen aus allen Schichten. Die Frustration und die Verzweiflung sind so groß. Viele sagen, es bringt doch nichts, wenn ich zuhause eine Energiesparlampe einschraube, aber in China alle zwei Wochen ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht.

Das Gefühl der Machtlosigkeit, das einen beschleichen kann.

Steffens: Ja, deshalb erzählt unser Film eben auch die Geschichte einer persönlichen Ermächtigung. Wie wir alle etwas tun können, welchen Einfluss wir haben über die Wirkketten in der Nahrungsmittelindustrie. Überlegen Sie mal, wo Ihr Essen herkommt. Ihr Steak kommt aus Argentinien, Ihr Kaffee aus Äthiopien, Ihre Schokolade aus Peru, die Mango von den Philippinen, die Tomaten aus Spanien, das könnte ich jetzt eine halbe Stunde lang weiter aufzählen. Wenn Sie auf Toilette gehen, ist das eine Sitzung der Vereinten Nationen, mal flapsig gesagt. Und weil das so ist, sind Sie jeden Tag mit Ihrem Essen und Trinken mit der ganzen Welt verbunden, und was Sie tun, hat überall auf der Welt Folgen. Das aufzuzeigen, diese Wirkketten klarzumachen, ist ganz wichtig und zeigt auch: Wir sind überhaupt nicht machtlos. Wir brauchen keine neuen Parteien, keine Verbote, keinen Verzicht, keine höheren Steuern. Wir können selbst eine Menge machen.

Geo-Naturjournalist Dirk Steffens am Dallol Vulkan in Äthiopien. Um die Wirkketten der Nahrungsmittelproduktion aufzuzeigen, reiste er erneut um die Welt. (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Dafür sind Sie aber samt Crew durch die ganze Welt geflogen, was Kritiker auf den Plan rufen könnte.

Steffens: Mit solcher Kritik ist es ein bisschen so wie damals, als rechte Kreise Greta Thunberg kritisiert haben, dass sie auf einer Bahnfahrt mal ein Pausenbrot aus einer Plastikfolie ausgewickelt hat. Diese Art von Vorwürfen haben weniger das Ziel, die Umwelt zu schützen, als das Ziel, denjenigen, der da was sagt, zu desavouieren. Eine typische Kommunikationsstrategie von Populisten.

Fliegen sehen Sie also nicht als Problem?

Steffens: Doch. Aber gar nicht fliegen ist eine ganz dumme Forderung. Zum einen können wir aus der Corona-Krise ableiten, was passiert, wenn niemand mehr um die Welt fliegt. Die Naturschutzgebiete der Welt haben jährlich um die acht Milliarden Besucher, stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn die da nicht mehr hinfahren. Fliegen ist schlecht fürs Klima, aber Nicht-Fliegen ist schlecht für die Umwelt. Die richtige Forderung wäre: umweltschonender fliegen, neue Treibstoffe finden, keine sinnlosen Ballermann-Flüge für 19 Euro. Wollen Sie in einer Welt leben, in der Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, Kulturinteressierte und ganz normale Leute, die mehr von der Welt kennenlernen wollen, nicht mehr um die Welt fliegen? Was für eine absurde Idee ist das denn. Ich freue mich aber insgeheim, wenn diese Art von Kritik kommt, weil sie oft aufdeckt, wie unqualifiziert die Absender argumentieren.

Dirk Steffens auf dem ATTO-Tower im brasilianischen Regenwald. Der Turm wird als Observatorium genutzt, um den Regenwald zu erforschen. (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Wie kamen Sie auf das Thema Ernährung?

Steffens: Es war beim Mountainbike-Fahren, als wir zusammen einen Berg hochkeuchten. Da sind wir auf die Geschichte der Bratwurst gekommen - des Deutschen Lieblingsessen - an der man sehr gut exemplarisch erzählen kann, was auf dieser Welt gut und was eben schlecht läuft.

Dazu gab es Dreharbeiten in Uganda, Brasilien, Indonesien, das klingt anstrengend. Haben Sie sich schon mal gedacht, was mache ich eigentlich hier?

Sabine Armsen: Ständig - vor allem auch wegen körperlicher Hürden. Einer unserer ersten Drehs war in Uganda, da gibt es zweimal im Jahr eine riesige Heuschreckenjagd, eine dort hochgeschätzte, teure Delikatesse - sehr lecker im Übrigen. Die fangen die mit skurrilen Lichtfallen, sehr hellen Glühbirnen, die nachts die Heuschrecken anlocken. Wir haben da viele Stunden nachts gedreht und dann haben wir gemerkt, dass wir alle blind werden. Diese Lampen hatten uns so angestrahlt, dass die Hornhaut unserer Augen verbrannt ist. Da kann man nichts mehr machen. Wir lagen einen Tag und zwei Nächte lang heulend und unter Höllenschmerzen im Hotelzimmer und mussten warten, bis sich die Hornhaut regeneriert hatte. In Indonesien bekamen wir keine Drehgenehmigung, und in Brasilien sind wir in eine sehr heikle Situation gekommen, weil wir auf illegalen Sojaplantagen drehen wollten, wo das Tierfutter für unsere deutschen Schweine herkommt. In Amazonien tobt der Sojakrieg, da werden Menschen umgebracht, da werden Völker enteignet. Und wir mussten weglaufen und die Polizei bestechen, damit wir da noch heil rauskommen.

Häuptling Manuel im Gespräch mit Dirk Steffens (r.). (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Was hat Sie emotional am meisten aufgewühlt?

Steffens: Wir sind zum Beispiel nach Saudi-Arabien gefahren, da steht eine der größten Milchfabriken der Welt. Da stehen 50 000 Holsteiner Milchkühe mitten in der Wüste, in einem Land ohne einen einzigen Fluss und ohne eine einzige Wiese. Man muss nicht Agrarökologie studiert haben, um sich vorzustellen, dass das irgendwie ein Wahnsinn ist. Obwohl man sich als Journalist ja einer Sache unvoreingenommen nähern muss, gebe ich zu, dass ich da sehr voreingenommen war. Man möchte diese Entwürdigung von Leben schlimm finden. Aber wenn man dann durch die Ställe läuft, stellt man fest, dass es den Kühen da wahrscheinlich besser geht als manchen Artgenossen in deutschen Ställen. Das verwirrt einen. Die haben Freilauf, viel Platz, eine Kuh-Kühlung. Was aber sehr schlimm ist, ist der Öko-Fußabdruck. Als Futter müssen 1300 Tonnen pro Tag aus anderen Erdteilen in die Wüste gekarrt werden, damit die Kühe ernährt werden und damit die 800 000 Liter Milch am Tag geben. Von der Melkstation geht die Milch direkt in einer Fabrik, die auf demselben Gelände steht, wo dann in Kooperation mit Danone für die gesamte Golfregion Joghurts und Fitnessgetränke hergestellt werden. Diese Industrialisierung der Landwirtschaft, in der Tiere wirklich nur noch Investitionsgüter sind und keine Lebewesen mehr, hat der Nahrung jede Natürlichkeit genommen. Die perversen Übersteigerungen der Industrialisierung der Landwirtschaft sind schwer verdaulich.

Dirk Steffens besucht die Al Safi-Milchfarm Saudi Arabien. Dort stehen 50 000 Holstein Kühe mitten in der Wüste. (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Effizienz durch Technologie in der Landwirtschaft ist doch aber eine Lösung, um die wachsende Menschheit weiter zu ernähren.

Steffens: Die Industrialisierung der Landwirtschaft war erst ein Segen, aber sie wird langsam zum Fluch. Die Globalisierung ist überspannt, wir haben jeden Kontakt zur Nahrung verloren, deren Produktion ist dabei, unsere Erde zu zerstören, und es ist höchste Zeit, gegenzusteuern.

Wer hat da die besseren Hebel: die Industrie, der Verbraucher, oder doch der Landwirt?

Steffens: Grundsätzlich ist Bauern-Bashing eine ziemlich hirnlose Methode. Zum einen ist ungefähr die Hälfte unseres Landes in Bauernhand. Das heißt, Umweltschutz ohne Landwirte ist überhaupt nicht machbar. Landwirtschaft muss der wichtigste und aktivste Umweltschützer sein, den wir haben. Und es liegt ja im ur-eigenen Interesse der Bauern, von denen wacht schließlich niemand morgens auf und überlegt, Mensch, wie kann ich denn heute möglichst viel Natur zerstören. Sondern die Leute fragen sich, wie kann ich meinen Betrieb profitabel weiterführen und verhindern, dass ich pleitegehe. Ein sehr menschlicher und guter Gedanke, den ich auch hätte.

Wie kann dann da gegengesteuert werden?

Steffens: Wir müssen uns klar werden, dass unsere nationale Landwirtschaft unter vielen Sachzwängen steht. Die können kaum anders handeln als sie es tun, durch Preisdruck, durch die Globalisierung, da ist es schwierig, rauszukommen. Da brauchen sie Hilfe von zwei Seiten, einmal sind das wir, die Verbraucher, und die Politik mit den Rahmenbedingungen. Wenn wir die Landwirtschaft in die Lage versetzten, die wissenschaftlichen Erkenntnis umzusetzen, die wir schon haben, wäre das gut für die Natur. Wir Menschen haben ja immer eine Lösung mehr, als Probleme da sind. Das ist die frohe Botschaft. Aber wir müssen die Bauern ermächtigen, das auch anzuwenden und sie nicht in die Pleite treiben, in dem wir immer nur die billigste Ramsch-Bratwurst kaufen. Für acht konventionelle Bratwürste geht im schlimmsten Fall ein Quadratmeter Regenwald drauf. Sie müssen Soja anbauen, Mastbetriebe brauchen Proteinfutter, und das können wir nur verhindern, wenn wir anders einkaufen. Für eine Biobratwurst geht kein Regenwald drauf. Man muss auf Fleisch nicht verzichten, aber es sollte weniger, bewusster konsumiert und nachhaltig produziert sein.

Es herrscht aber auch Inflation, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, nicht jeder kann sich bio leisten.

Armsen: Da wäre es gut, Kostenwahrheit herzustellen. Denn die Subventionen, die in eine nicht nachhaltige Landwirtschaft fließen, sollten lieber in eine regenerativere Form gehen. Die Kosten, die entstehen, wenn wir billige Bratwürste kaufen, trägt ja der Steuerzahler und nicht der Konsument der Bratwurst. Wenn wir Regenwälder vernichten, um billiges Soja zu bekommen, wird die Klimakrise schlimmer und am Ende zahlen wir Milliarden für Klimaschäden, wie zum Beispiel nach der Ahrtal-Flut. Da ist die Politik gefragt.

Steffens: Im Übrigen sind wir auch der Meinung, biologische Landwirtschaft ist eine tolle Möglichkeit. Aber Ziel müsste sein, die konventionelle Landwirtschaft so gut zu machen, dass wir kein Biosiegel mehr brauchen. Das ist die bessere Lösung.

Wissenschaftsjournalist Steffens erzählt in einer neuartigen Kombination aus Dokumentarfilm und Bühnenshow die Geschichte der globalisierten Lebensmittelproduktion. (Foto: Geo Film/RTL/oh)

Haben Sie denn positive Beispiele in der konventionellen Landwirtschaft gesehen?

Steffens: Oh ja. Ich bin 55 Jahre alt. Als ich in den 1970er-Jahren in der Norddeutschen Tiefebene aufgewachsen bin, war die Landwirtschaft viel rücksichtsloser als heute. Da wurde viel ungehemmter gedüngt und gespritzt. Und gepflügt. Da ist schon viel Gutes passiert.

Inzwischen leben Sie in Icking. Ist dort die Welt noch in Ordnung oder sehen Sie auch hier Probleme?

Steffens: Icking ist schon eine Insel der Glückseligen. Nicht nur, weil es hier besonders schön ist. Die Landwirtschaft hier ist weniger industriell, das hat was mit Tradition und Kultur und der Topografie der Landschaft zu tun. Es hat halt nicht die Dimensionen, wie wir sie in der norddeutschen Tiefebene haben. Der Wohlstand südlich von München hilft natürlich. Aber wir haben das Problem exportiert. Wir sind so wohlhabend, dass die Dinge, die wir konsumieren und im Supermarkt kaufen, oft woanders hergestellt werden. Zum Beispiel wieder die Bratwurst. Wenn Sie deutsche Schweine nur mit deutschem Futter mästen wollten, könnten wir nur noch halb so viele Tiere haben, weil wir die gar nicht satt machen könnten. Im angeblich regionalen Fleisch vom Bauern nebenan steckt sehr oft Soja aus Brasilien. Für unser Schweinefutter wird in anderen Erdteilen Natur zerstört, aber das spüren wir erst einmal nicht in unserem Alltag. Wir haben die Verbindung zu unserem Essen verloren. Deshalb fühlen wir nicht, welche Probleme da dranhängen.

Welche Rolle spielt dann die Umgebung in Ihrer Arbeit und im Alltag?

Steffens: Man muss nicht immer ans Ende der Welt fahren, Landwirtschaft findet überall statt. Auch Icking kommt im Film vor, in der kuriosen Situation, dass ich mich auf einem Acker ausziehe, und zwar auch die Unterhose. Das hat aber einen wissenschaftlichen Hintergrund: Der Zersetzungsgrad von Biobaumwollunterhosen zeigt an, in welchem ökologischen Zustand sich die Erde befindet. Es gab ein großes Bürger-Forschungsprojekt dazu, mit insgesamt 2000 Unterhosen. Privat genießen wir die wunderschöne Natur hier, gehen gerne in den Isarauen radeln oder übernachten dort auch mal mit den Kindern. Ein Ruhepol also.

Der Isarspitz, wo die Loisach in die Isar mündet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Hofladen, Bioladen oder Supermarkt? Wo kaufen Sie ein?

Steffens: Supermarkt, aber das Bioangebot dort wächst jedes Jahr. Und es gibt eine Familienregel: Wann immer es ein Produkt mit Biosiegel gibt, nehmen wir das. Und nur wenn es das nicht gibt, kaufen wir das andere.

Wie sieht es bei Steffens zuhause aus: Wird das eigene Gemüse angebaut?

Steffens: Es wachsen Tomaten, Gurken, Pflaumen, Äpfel, Rucola, wir sind aber keine Selbstversorger, das ist mit unseren Jobs auch nicht zu leisten. Außerdem hat Sabine, obwohl sie promovierte Botanikerin ist, den braunen Daumen (lacht). Wir versuchen, mit Hirn einzukaufen, aber wir wollen kein Dogma aufstellen. So holt man Leute nicht ab, genauso wenig wie mit dem Satz: Du darfst kein Fleisch mehr essen.

In Icking werden immer wieder Umweltthemen heiß diskutiert. Werden Sie da gefragt, sich zu positionieren?

Steffens: Ich wohne ja erst seit knapp drei Jahren dort und finde, ich habe noch nicht das Recht, mich da laut zu Wort zu melden. Da leben viele Menschen länger, die sich besser auskennen. Außerdem habe ich den Eindruck, Icking ist eine Gemeinschaft von Menschen, die aus allen Teilen des Landes kommen und oft sehr gebildet sind und mitten im Leben stehen. Die brauchen meinen Rat nicht. Ich bin da ganz froh, da ein bisschen unter dem Radar zu fliegen.

Welche Erkenntnis aus Ihrem jüngsten Projekt hat bei Ihnen zuhause zu Veränderungen geführt?

Steffens: Der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zuhause. Wir haben fünf Milliarden Hektar landwirtschaftliche Fläche und acht Milliarden Menschen, jetzt wächst die Menschheit und die Fläche wird immer kleiner. Das Problem ist offensichtlich. Da muss man etwas tun, auf weniger Fläche genug Essen für alle Menschen herstellen. Wenn man dann weiß, dass von allen Lebensmitteln, die wir global produzieren, ein Drittel wieder weggeworfen wird, dann hat man den größten individuellen Hebel für den leistbaren Umweltschutz entdeckt. In Deutschland sind es etwa elf Millionen Tonnen essbare Lebensmittel pro Jahr, die vorwiegend von Privathaushalten weggeschmissen werden. Die Wissenschaft hinter unserem Film ist, wenn Sie den Leistungsdruck auf die Böden um zehn Prozent minimieren, könnten sich die Böden wahrscheinlich dauerhaft von selbst regenerieren. Und diese zehn Prozent weniger Leistungsdruck könnte man rein rechnerisch erzeugen, indem wir deutlich weniger Lebensmittel wegschmeißen.

Ist das also die Formel zur Rettung der Welt?

Steffens: Ja, das ist die Macht der Privathaushalte. Es ist also wichtiger und entscheidender, was Sie im Kühlschrank haben, als was für ein Auto vor Ihrer Tür steht. Werfen Sie weniger weg, nehmen Sie das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht so ernst, vertrauen Sie Ihren Sinnen, die sind zuverlässiger, und kaufen Sie geplant ein.

Armsen: Fast 60 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel werden von Privathaushalten weggeworfen. Der Löwenanteil.

Steffens: Die schöne Nachricht daran ist: Es kostet nichts. Man kann morgen früh damit anfangen. Kein Verbot, kein Verzicht. Sie müssen keine andere Partei wählen, nicht auf eine andere Regierung warten oder auf eine EU-Verordnung. Aber: Sie haben eben auch keine Ausrede. Wenn Sie ein Teil der Lösung sein wollen auf dieser Welt, fangen Sie an, den Kühlschrank besser zu managen. Dann sind Sie zumindest schon einmal nicht mehr Teil des Problems.

Haben Sie einen konkreten Tipp für besseres Kühlschrankmanagement?

Armsen: Wir kaufen nicht mehr so viel auf Vorrat und sortieren, was weg muss, kommt nach vorne. Und wir verwerten viel mehr. Wenn das Brot nicht mehr frisch ist, machen wir Croutons und Semmelknödel zum Beispiel.

Steffens: Und Sie finden bei uns immer eine Pappschachtel mit Essen aus Restaurants. Es ist selten, dass dort die Menge passt, das ist dann unser Snack am nächsten Tag. Auch das ist ein Hebel.

Dirk Steffens und Sabine Armsen, hier in Indonesien, wollen bald in Tölz heiraten. (Foto: privat)

Noch einmal zurück zu Ihren Projekten. Was erhoffen Sie sich als Wirkung oder Reaktion?

Steffens: Das Schönste wäre, wenn das, was wir drei gerade beginnen, sich fortsetzt und sich ein konstruktiver öffentlicher Diskurs entspinnt. Darüber, wie wir Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie so umgestalten können, dass die Menschheit in 20 oder 50 Jahren auch noch gut leben kann. Es ist existenziell wichtig, wir müssen darüber reden, aber bitte ideologiefrei! Keine Glaubenskriege zwischen öko und konventionell, zwischen vegan und Fleischessern, das sind die falschen Frontlinien, da vergeuden wir unsere Kraft. Wir streiten da über die falschen Dinge und nicht das Entscheidende.

Armsen: Jetzt sind wir Filmemacher und Journalisten und keine Landwirte oder Politiker, aber wir haben dieses schöne Mittel, Menschen zu erreichen, die sich vielleicht nicht unbedingt freiwillig mit diesen Themen beschäftigt hätten. Ihnen etwas an die Hand zu geben, ihnen zu zeigen, was in ihrer Macht liegt, damit wären wir sehr, sehr glücklich.

Klingt nach viel Optimismus.

Steffens: Jetzt haben Sie mir unfreiwillig die Vorlage für mein Lieblingszitat geliefert vom Philosophen Karl Popper: ,Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative.' Das ist die Haltung unseres Projekts. Es soll Vergnügen bereiten.

Und was ist Ihr nächstes Großes Projekt?

Steffens: Wir heiraten demnächst. Nachdem wir diesen Film fertig haben, dachten wir, das Schönste, was wir jetzt tun können, ist heiraten. In drei Wochen, in Bad Tölz.

"Die große Geo Story - Wie wir die Welt gesund essen", läuft am Donnerstag, 19. Oktober, von 20.15 Uhr an auf RTL und ist im Anschluss über RTL+ Streaming abrufbar. Das Buch "Eat it - die Menschheit ernähren und dabei die Welt retten" ist im Penguin Verlag erschienen, ISBN: 978-3-328-60321-4

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