Proteste in der Pandemie:Begegnungen der inkompatiblen Art

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In Bad Tölz, Wolfratshausen und Penzberg treffen Kritiker und Befürworter der Corona-Politik aufeinander. Nur selten kommt es zu Dialogen. Inhaltlich gibt es keine Annäherung

Von Alexandra Vecchiato, Klaus Schieder und Felicitas Amler

Die als "Spaziergänge" betitelten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen erhalten in der Region Gegenwind, breiten sich aber in der Fläche aus. Am Montagabend blieben etwa 150 Gegner der Corona-Politik in Geretsried, etwa 120 in Lenggries, rund 80 in Eurasburg und circa 40 in Reichersbeuern unter sich, während in Wolfratshausen, Bad Tölz und Penzberg auch Befürworter der Maßnahmen auf die Straße gingen.

Wolfratshausen

Eine als Demonstration angemeldete Menschenkette mit Transparenten fürs Impfen und gegen Nazis auf der einen Seite; die nicht deklarierte schweigende Mehrheit mit Kerzen und Papierherzen auf der anderen: Die Wolfratshauser Marktstraße ist am Montagabend Schauplatz einer Begegnung zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Politik. Laut Polizei sind es auf der einen Seite 430 Personen, auf der anderen 920 - so exakte Zahlen bekommt man sonst selten geliefert.

Respektvoll und friedlich soll es zugehen, so der Appell der Initiatoren der "Menschenkette für Solidarität: WOR tolerant". Eine von ihnen, BVW-Stadträtin Ulrike Krischke, berichtet, sie sei an diesem Tag von einigen "Spaziergängern" angerufen worden und darüber sei sie sehr froh, "denn in einer Demokratie muss man im Dialog bleiben".

Zu Dialogen kommt es abends nur sehr selten. Die Teilnehmenden des aus dem Stadtteil Nantwein herangekommenen "Spaziergangs" - im Gegensatz zu ihren Gegenübern ohne Masken - wollen sich überwiegend auch auf direkte Fragen nicht zu ihren Motiven äußern. Als die SZ sich erkundigt, wofür oder wogegen sie auf die Straße gehen, wird sie teils schroff abgewiesen, teils verspottet. Ein Corona-Protestierer sagt, den Zeitungen könne man heutzutage nicht mehr glauben. Ein anderer erklärt: "Wir demonstrieren gegen eine Zwangsimpfung." Denn, so seine Behauptung, der Impfstoff gegen Covid-19 "wäre weder getestet noch freigegeben worden ohne epidemische Notlage". Auf die Frage nach seinen Quellen sagt er: "Dem Doktor Bhakdi vertraue ich halt mehr als einem Tierarzt und einem Herrn Lauterbach." Mit dem Tierarzt meint er Lothar Wieler, Direktor des Robert Koch-Instituts. Der hochumstrittene Virologe Sucharit Bhakdi gilt als Antisemit und Verbreiter von Corona-Falschnachrichten. Ein "Spaziergänger", der sich - mit Maske - mit Krischke unterhält, vertritt die Ansicht, es gebe hierzulande weder eine freie Presse noch freie Meinungsäußerung. So werde über Impftote nicht berichtet. Auf mehrere Nachfragen betont er: "Ich behaupte nie, dass es so ist, aber es fühlt sich für mich komisch an."

Die Polizei ordnet die Demo, greift aber nicht ein. Dass die Corona-Protestierer in einem äußerst dichten Pulk ohne Masken gehen, könnten sie nicht ändern, erklärt die Einsatzleiterin, solange das Landratsamt keine Auflagen erlasse. Und auch dann wäre es wegen der großen Zahl schwierig, sagt sie.

Unter den Teilnehmenden der Menschenkette sind auch Wolfratshausens Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne), die Vorsitzende des Historischen Vereins, Sybille Krafft, und der Münsinger Hausarzt und Kreis-Corona-Koordinator Jörg Lohse. Bevor sich die insgesamt friedliche Menge auflöst, begibt sich einer der "Spaziergänger" auf die andere Seite. Er trägt ein auffällig großes Schild, das auf der einen Seite den Satz "Solidarität für gentechnikfreie Menschen" zeigt, auf der anderen "Toleranz für Schwurbler wie Karl Lauterbach". Auf Nachfragen tut er so, als gehöre er zur Menschenkette, um anschließend unter "Super!"-Rufen seiner Spaziergängerfreunde zu erklären, wie er "die Süddeutsche" gefoppt habe.

Bad Tölz

Filiz Cetin hat sich nahe vor die Polizeibeamten gestellt, die in der Tölzer Fußgängerzone zwischen der Bäckerei Wiedemann und der Commerzbank zwei Reihen bilden. "Hinter Ihren Spaziergängen stecken teilweise Rechtsradikale, das müssen Sie wissen", ruft die SPD-Kreisrätin über die Köpfe der Polizisten hinüber zu den etwa 700 "Spaziergängern", die in Vierer- und Fünferreihen mit Kerzen und Laternen in der oberen Marktstraße ohne Abstand und Masken im Kreis laufen. Von dort schreit ein älterer Herr zurück: "Ihr Vollidioten". Ein paar andere skandieren kurz: "Frieden, Freiheit - keine Diktatur." Ansonsten bleibt an diesem Abend in der Tölzer Fußgängerzone alles friedlich.

Andreas Richter aus Bad Tölz hat die Gegendemo organisiert. Die hat er - anders als die sogenannten Spaziergänger - ordnungsgemäß angemeldet. Deren Aktionen seien illegal, sagt Richter. "Wir leben noch immer in einem Rechtsstaat." Die Demonstration der etwa 150 Impfbefürworter, die sich am Marienbrunnen versammelt haben, versteht er als "ein Bollwerk gegen Irrationalität, Egoismus und Ignoranz". In Deutschland gebe es mittlerweile 114 000 Corona-Tote, das sei könne man doch nicht als Grippe bezeichnen, so Richter. Aber durch eine "krude, antidemokratische Ideologie" würden Familien und Freunde gespalten. Es gebe nur einen Weg zurück zur Normalität - "und der heißt Impfung". Die Impfgegner jedoch verwehrten allen diese Rückkehr.

Einige Teilnehmer halten Plakate hoch. "Wer mit Rechten demonstriert, hat von Freiheit nichts kapiert", steht auf einem Pappschild. Auf einem anderen ist das "Quer" in "Querdenken" durchgestrichen und durch ein "Nach" ersetzt. Eine 40-jährige Grafikerin aus Bad Tölz hat mit ihrem Mann Karten und Plakate gestaltet. Darauf ist beispielsweise der Engel Aloisius zu sehen. "Ziagd's eich o und geht's impfen - zefix! Da herobn kon i eich ned bracha", schimpft der "Münchner im Himmel". Die Grafikerin möchte nicht namentlich genannt werden. Der Grund: Vorigen Montag sei sie schon in der Tölzer Marktstraße gewesen und habe versucht, mit Impfgegnern ins Gespräch zu kommen. "Es gab Beschimpfungen, Beleidigungen, mir wurde mit dem Tod gedroht", erzählt sie.

Unter den Kritikern der Corona-Politik, die eine Stunde lang meist schweigend ihre Runde drehen, sind zwei Frauen, eine ist 63 Jahre alt und aus Lenggries, ihre Begleiterin ist 50 und aus Wackersberg. Beide möchten ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen, geben aber Auskunft. "Ich sehe Freiheit und Demokratie dahinschwinden", sagt die Lenggrieserin ob der staatlichen Corona-Maßnahmen. Die sollten aufgehoben oder zumindest gelockert werden, findet sie. Dass auch Rechtsextreme in dem unangemeldeten Protestzug mitmarschieren, stimme nicht. Dem widerspricht ihre Begleiterin. "Da sind bestimmt auch Deppen drunter", sagt die Wackersbergerin. Sie selbst sei keine Corona-Leugnerin oder Impfgegnerin, finde aber die Maßnahmen gegen das Virus hierzulande unangemessen. Das sei in anderen Ländern Europas viel besser. Derweil melden sich die Gegendemonstranten im Chor. Sie skandieren: "Wir sind geimpft" und "Wir sind die Mehrheit". Eben das soll, so Organisator Richter, an den nächsten Montagen zu sehen sein: "Ich hoffe, dass wir die dreifache, vierfache, fünffache Menge an Teilnehmern bekommen."

Penzberg

Montagabend im Zentrum Penzbergs. Wieder einmal versammeln sich die Kritiker der Corona-Maßnahmen auf dem Stadtplatz zu einer "fortbewegenden Versammlung" - ordnungsgemäß angemeldet. Am Ende schätzt Einsatzleiter Armin Ritterswürden von der Penzberger Polizeiinspektion etwa 1000 Kinder, Frauen und Männer. Ehe es um halb sieben losgeht, weist Susanne Herbeck, Mitglied im Kreisverband der Partei "Die Basis", die Ordner ein, die ein Auge darauf haben sollen, dass sich die Versammlungsteilnehmer an Recht und Ordnung halten. So dürften die Protestierenden keine politische Gesinnung äußern - und überhaupt seien "Rechte" unerwünscht. In diese Ecke möchte sich Harbeck nicht gedrängt sehen. Sie sagt von sich, ein "ganz normaler Bürger" zu sein, der sich Sorgen mache. Denn sie fühle sich momentan an Zeiten erinnert, die es schon einmal gab, in denen Menschen für "Dinge" verurteilt worden seien, die "sie gar nicht gemacht haben".

Die Penzbergerin fordert in ihrer Ansprache auf dem Stadtplatz indes zum Dialog auf. Seit eineinhalb Jahren versuche sie, ins Gespräch zu kommen - vergeblich. "Warum kommt der Bürgermeister nicht zu uns?", fragt sie und erntet Beifall. Auch die Penzberger SPD, die Kritik an den Corona-Versammlungen geübt hatte, habe bislang keinen Kontakt gesucht. "Wie sie darauf kommen, dass hier nicht mehrheitlich Penzberger anwesend sind", sei ihr schleierhaft. Ja, betont Herbeck, viele der Teilnehmer kämen aus Murnau, weil dort montags vor dem Penzberger Termin protestiert werde. In der Marktgemeinde wolle man das Personal an der Unfallklinik moralisch unterstützen, das Nein zum Impfen sage. Im Übrigen marschierten, so sagt sie, in Penzberg nicht nur Ungeimpfte mit. Es gehe nämlich bei der Versammlung in erster Linie um Demokratie und Frieden.

Letzteres wird durch die Lieder unterstrichen, die auf dem Stadtplatz erklingen oder von den Teilnehmern auf ihrem Marsch durch die Innenstadt gesungen werden. Freiheit und Liebe sind die Themen. Eine Gruppe hat eine Kuhglocke und Pfeifen dabei, andere Tambourins, wieder andere tragen Kerzen. Nur wenige Plakate sind zu sehen, noch weniger Masken.

Die Polizei beobachtet die Menge. Mitarbeiter des städtischen Bauhofs riegeln die Straßen ab, damit die Demonstrierenden vom Stadtplatz über die Bahnhof- und Friedrich-Ebert-Straße zurück über Sonnnenstraße und Ludwig-März-Straße zum Stadtplatz spazieren können. An der Ecke bei der Sparkasse treffen Corona-Kritiker auf Impfbefürworter. Waren es vergangene Woche nur zwei Frauen, so sind es an diesem Abend etwa zehn Gegendemonstrierende. "Fällt euch auf, ihr seid's die Minderheit", ruft einer aus dem Zug heraus. "Aber nächstes Mal sind wir vielleicht die Mehrheit", schallt es zurück. An diesem Punkt, wo die Friedrich-Ebert-Straße von der Bahnhofstraße abzweigt, wird am deutlichsten, dass der gewünschte Dialog ein schwieriges Unterfangen ist. Argumentativ nähern sich die beiden Lager nicht an. "Einer meiner Mitarbeiter ist an der Impfung gestorben", ruft der Mann mit der Kuhglocke, während ihm ein Plakat mit der Aufschrift "Impfen rettet Leben" entgegengehalten wird.

Keine Zwischenfälle, bilanziert Ritterswürden, während auf dem Stadtplatz das Lied "Hallelujah" zu hören ist.

© SZ vom 12.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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