Ehrenamt:"Unsere Klientel ist schwieriger geworden"

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Die Mittelschulen wie hier in Geretsried waren in der Corona-Zeit monatelang geschlossen. Die Lerndefizite von Jugendlichen, die vom Verein "Arbeit für Jugend" unterstützt werden, haben sich dadurch verschärft. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Verein "Arbeit für Jugend", der Mittelschüler mit Lerndefiziten unterstützt, kämpft gegen die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. So sind weniger Ehrenamtliche aktiv, die jungen Leute häufiger demotiviert.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Corona ist durch andere Krisen aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten, aber die Folgen der Pandemie sind noch immer spürbar. Das gilt vor allem für Probleme von Schülerinnen und Schülern, die ohnedies schon unter Lerndefiziten leiden, ebenso aber auch für den Verein "Arbeit für Jugend", der in der Corona-Zeit mit ihren monatelangen Schulschließungen viele seiner ehrenamtlichen Coaches verloren hat. Beides führt dazu, dass der Verein nun vor der wohl größten Herausforderung seiner 25-jährigen Geschichte steht.

"Unsere Klientel ist schwieriger geworden", sagt Horst Niegel, Vereinsvorsitzender von "Arbeit für Jugend". "Die Pandemie hat sozial viel mit den Jugendlichen gemacht." Sie seien wahrnehmbar demotivierter geworden, zeigten sich am Coaching-Angebot weniger interessiert. Als Beispiel erzählt Niegel, wie die Achtklässler an der Geretsrieder Mittelschule reagierten, als der Verein seine Arbeit zum vorletzten Schuljahr vorgestellt habe. "Wir bieten danach immer die Möglichkeit für Einzelinterviews an", sagt er. "Nur drei Schülerinnen wollten mit uns sprechen, früher haben wir 25, 30 Interviews geführt." Der stellvertretende Vorsitzende Rainer Kebekus berichtet von einer Schülerin, die Nachhilfe im Fach Mathematik bräuchte. Doch ein Termin zur siebten Schulstunde kam für die Jugendliche nicht infrage. Die Begründung: Da brauche sie ihre Mittagspause, so Kebekus.

Viele der betreuten Mittelschüler kämpfen mit belastenden Umständen in der Familie

Solche Reaktionen erklären der Vereinsvorsitzende und sein Stellvertreter aber auch mit den Lebensumständen der Jugendlichen. Ihre Situationen seien von komplexeren Belastungen geprägt. "Die haben noch ganz andere Sorgen als die Schule", sagt Niegel. Wer im Elternhaus kaum unterstützt werde, was die Bildung betrifft, tue sich schwer. Zudem gebe es viel mehr Mittelschülerinnen und Mittelschüler mit Migrationshintergrund als früher. Somit seien die Deutschkenntnisse häufiger schlecht.

Der Vereine "Arbeit für Jugend" besteht seit 25 Jahren. Vorsitzender Horst Niegel (li.) und Rainer Kebekus suchen derzeit neue Coaches. (Foto: Hartmut Pöstges)

Aufgeben wollen Niegel und Kebekus allerdings nicht. Zu motivierend ist es für sie, wenn es ihnen gelingt, Jugendliche erfolgreich bis zum Schulabschluss zu führen und bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz zu unterstützen. Für diese zentralen Ziele engagieren sich alle Coaches des Vereins. Damit sind sie seit der Gründung auch ziemlich erfolgreich gewesen. An den Mittelschulen in Geretsried, Wolfratshausen mit Waldram und Königsdorf begleiteten die Ehrenamtlichen bisher viele hundert Jugendliche mit Lernschwierigkeiten bis zum Abschluss. Nur fünf Prozent der betreuten jungen Leute scheiterten. 75 bis 85 Prozent von ihnen gelang es, eine Ausbildungsstelle zu finden.

Damit Ehrenamtliche wissen, was sie erwartet, wurde ein neuer Workshop entwickelt

Um daran anzuknüpfen und zu den derzeit 18 bis 20 Coaches neue hinzuzugewinnen, hat der Verein laut Niegel einige Veränderungen angestoßen. So hätten sie im Team inzwischen einen Workshop entwickelt, der auf schwierige Situationen im Umgang mit den jungen Leuten vorbereite, sagt er. Gerade Coaches, die neu dazugestoßen seien, seien oft ziemlich verunsichert, wenn einer ihrer Schützlinge abbreche, so Kebekus. "Die fragen sich dann, ob das an ihnen liegt." Wer aber wie er selbst schon länger engagiert sei, der wisse, dass ein Abbruch aus vielfältigen Gründen immer passieren könne. Unter anderem dafür solle der Workshop Handlungsleitfäden geben. Für alle Ehrenamtlichen gebe es zudem Einzel-Supervisionen.

"Um mehr Ehrenamtliche zu gewinnen, versuchen wir, mehrere Kanäle zu bedienen", sagt Niegel. So habe seine Frau, die bis zu ihrem Ruhestand in der Werbebranche arbeitete, etwa Präsentationen erstellt, um Unternehmen und ihre Mitarbeitenden auf die Vereinsarbeit aufmerksam zu machen und zum Engagement zu bewegen. Dafür wolle der Verein auch an Multiplikatoren wie die Industriegemeinschaft Geretsried (IGG), die Unternehmervereinigung Wirtschaftsraum Wolfratshausen (UWW) oder Andreas Ross vom Wirtschaftsforum Oberland herantreten, so Niegel. Zudem sei daran gedacht, sich künftig auch in den Sozialen Medien zu präsentieren. "Wir haben einen eigenen Arbeitskreis gebildet, um unsere Öffentlichkeitsarbeit zu verstetigen", so Niegel.

So soll es gelingen, wieder mehr Coaches zu gewinnen. Die werden vom Verein dringend gesucht. Derzeit hat er nur noch halb so viele wie vor der Pandemie, allein deshalb können weniger Jugendliche betreut werden. Dass dies manchmal mühsam sei, will Niegel nicht verschweigen. Doch das Erfolgserlebnis, einem der jungen Leute helfen zu können, wiege das wieder auf.

Der Verein "Arbeit für Jugend"

Der Verein hat sich aus der 1998 von Ilse Nitzsche und vier Unterstützern gegründeten Agenda-Gruppe gleichen Namens entwickelt. Seit 2010 ist Horst Niegel Vorsitzender. Ehrenamtliche Coaches sind an den Mittelschulen in Königsdorf, Geretsried sowie in Wolfratshausen am Hammerschmiedweg und in Waldram aktiv. Ziel ist es, Schüler mit schlechten Noten - ein Schnitt von 3,5 und schlechter gilt als Richtgröße - soweit zu unterstützen, dass sie den Abschluss schaffen und eine Ausbildungsstelle bekommen. Dafür setzt der Verein auch Nachhilfelehrer ein. Eine wichtige Rolle spielen Lebens- und Wertebildung und Strukturvermittlung. Weitere Informationen unter www.arbeit-fuer-jugend.de

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