Westend:"Es ist kein Selbstläufer"

Lesezeit: 3 min

Vom Rand zurück ins Leben: Arbeitslose aufzufangen, ihnen einen Austausch zu ermöglichen, ist "kein Selbstläufer", sagt Seelsorger Gallen. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Deutschlands einziger hauptamtlicher Arbeitslosenseelsorger geht nach 24 Jahren in den Ruhestand: Mit viel Engagement hat Mike Gallen ein Netzwerk geschaffen. Doch es ist fraglich, ob das Ordinariat seine Stelle erneut besetzt.

Von Lea Hruschka, Westend

Mike Gallen wollte immer eine "Stimme für Arbeitslose sein". Im Westend, wo er große Treffen organisiert hat, aber auch "über München hinaus". 24 Jahre lang hat er für die Erzdiözese München und Freising als Deutschlands einziger hauptamtlicher Arbeitslosenseelsorger gearbeitet, Ende August wird er in Rente gehen. Er ist bereits im Juli verabschiedet worden, seit Februar arbeitet er nur noch an einem Tag pro Woche, um den Übergang zum Nachfolger zu erleichtern. Doch wird es überhaupt einen Nachfolger geben? Gallens Posten als Arbeitslosenseelsorger hat das Erzbistum bis heute jedenfalls nicht neu ausgeschrieben, geschweige denn besetzt.

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Sibylle Stöhr (Grüne), Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe, sieht darin ein Problem. "Ich bitte Sie vielmals, lassen Sie die arbeitslosen Menschen nicht alleine", schreibt sie in ihrem Brief an Kardinal Reinhard Marx. Darin bittet sie ihn, die Stelle zeitnah wieder auszuschreiben und die Arbeitslosenseelsorge im Westend fortzusetzen. Eine endgültige Entscheidung über die Wiederbesetzung hat das Erzbischöfliche Ordinariat laut Pressesprecher Hendrik Steffens aber noch nicht getroffen. Der genaue Stellenumfang werde noch geprüft. Wenn sich Gallen Ende August endgültig verabschiedet, steht den Arbeitslosen im Westend bis auf Weiteres also lediglich der Fachbereich Betriebsseelsorge des Bistums zur Verfügung.

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"Wenn die Stelle nicht neu besetzt werden würde, wär' ich g'scheid sauer", sagt der aktuelle Leiter der Betriebsseelsorge, Christian Bindl. "Das kann man in dieser Zeit einfach nicht bringen", ergänzt er in Anspielung auf die Probleme von Arbeitslosen gerade während der Pandemie. Dass der Bedarf an pastoraler Begleitung arbeitsloser Menschen angesichts der Corona-Krise gestiegen ist, sei auch dem Erzbischöflichen Ordinariat bewusst, betont Pressesprecher Steffens. Es werde deshalb, wie bei einem Unternehmen, "intensiv geprüft, wie diesem Bedarf bestmöglich und nachhaltig personell entsprochen werden kann". Bindl kämpft zusammen mit Thomas Hagen, dem Leiter der Abteilung Seelsorge, mit "guten Argumenten" dafür, dass der Posten erhalten bleibt. "Ich gehe davon aus, dass es klappt."

Was passiert, wenn das Bistum anders entscheidet, will er sich gar nicht vorstellen. Dann müssten Ehrenamtliche und Bindls Abteilung abfangen, was sonst Gallen übernommen hat. Das dreiköpfige Team und die drei ehrenamtlichen Helfer könnten die Arbeit eines engagierten Mitarbeiters jedoch nicht ersetzen, erklärt Bindl. Besonders in der "Vernetzungsarbeit" fehle ihnen die Expertise, die sich Gallen über die Jahre angeeignet habe. Mit dem Ziel, eine "Anwaltsfunktion für die Arbeitslosen" zu übernehmen, hat Gallen beispielsweise den Austausch mit Arbeitslosen- und Caritas-Zentren gepflegt und sich zweimal jährlich mit Anette Farrenkopf, Geschäftsführerin des Jobcenters München, getroffen.

Mike Gallen hat im Westend ein Netzwerk für Arbeitslose aufgebaut und immer wieder Veranstaltungen organisiert. 2003 rief er eine Theatergruppe ins Leben, die jetzt wegen der Corona-Auflagen pausieren muss (Foto: Lisa Schmaus/EOM)

Denkt Gallen heute über das Ende seines Wirkens nach, führt ihn das zurück zu dessen Anfang. Vor 24 Jahren hatte er den Dienst als Arbeitslosenseelsorger selbst initiiert. "Ich habe versucht, viele Veranstaltungen zu organisieren", erinnert er sich, "es ist anfangs nur eine Person gekommen." Nach zwei Jahren seien es dann etwa acht regelmäßige Besucher gewesen. Es folgen Oasentage, Aktionen zur Öffentlichkeitsschaffung, Bildungsseminare und Einzelberatungen. Gallen wollte in erster Linie Raum zum Austausch schaffen. Im Westend, dem "Kern", wie er das Viertel bezeichnet, ist ihm das gelungen: In diesem Jahr kommen alle zwei Wochen zwischen 25 und 35 Menschen in der Kirche am Gollierplatz zusammen. Mit rund 50 arbeitslosen Menschen stand Gallen zuletzt in regelmäßigem Kontakt.

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Aus der einzelnen Person vom Anfang sei inzwischen also eine "Basis" geworden, erklärt er. Nun sieht er die "Gefahr, dass das jetzt ausstirbt". Denn eine lange Pause zwischen seiner eigenen Arbeit und der eines Nachfolgers könnte zum Schwinden dieser Basis führen. "Es ist kein Selbstläufer." So schwer es damals für ihn war, eine feste Gruppe im Westend aufzubauen, so schwer werde es auch für seinen Nachfolger werden, wenn der Übergang zu lange andauert - "extrem schwer", wie Gallen immer wieder betont.

2003 hat Mike Gallen auch eine Theatergruppe ins Leben gerufen, alle 14 Tage kamen arbeitslose Menschen zusammen, einmal im Jahr probten sie bei einem Intensivseminar sogar vier Tage am Stück. "Der Sinn davon war nicht, aufzutreten, es ging darum, dass die Leute zusammenkommen, sich begegnen." Aktuell muss die Theatergruppe wegen der Corona-Bestimmungen pausieren. Solange die Besetzung des Postens des Arbeitslosenseelsorgers unklar ist, ist auch ihre Zukunft ungewiss.

© SZ vom 18.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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