München:"Wir wollen es nicht bei Solidarität und Appellen belassen"

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Zeichen setzen für die Bedrängten in Afghanistan: Am Montagabend bereits gab es auf dem Mariahilfplatz eine entsprechende Demonstration. (Foto: Stephan Rumpf)

In einem ersten Schritt könnten 260 Menschen, die vor den Taliban fliehen müssen, in München unterkommen, erklärt Bürgermeisterin Dietl (SPD) und erntet dafür Zuspruch von CSU und Grünen - Hilfsorganisationen mahnen zur Eile.

Von Heiner Effern und Sophia Oberhuber, München

Die Stadt München kann und wird bei Bedarf sofort Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen. Das erklärte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), die in der Urlaubszeit gerade die Geschäfte im Rathaus führt. Sie werde noch am Dienstag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) offiziell das Angebot unterbreiten, 260 Menschen eine Bleibe zu geben, erklärte sie schriftlich. "Bei Bedarf darüber hinaus sind wir immer gesprächsbereit" fügte sie an. "Wir wollen es nicht bei Solidarität und Appellen belassen." Es gehe im Moment nicht um Schuldzuweisungen oder Versäumnisse, es brauche schnelle und humanitäre Maßnahmen. Die Bundesregierung müsse "alles in ihrer Macht Stehende" tun, die Menschen nicht im Stich zu lassen.

Die drei großen Fraktionen im Rathaus begrüßten das Angebot der Stadt, schnell und unbürokratisch zu helfen. "Das ist ein wirklich gutes Zeichen der Offenheit und Humanität", sagte Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Seine Kollegin von der SPD, Anne Hübner, hofft, dass es nun dazu kommt, Geflüchtete aufzunehmen. Das sei aber bereits der übernächste Schritt. "Nun muss es erst einmal gelingen, die gefährdeten Ortskräfte zum Flughafen zu bringen und auszufliegen." Auch CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl steht zum Angebot der Stadt. "Für mich ist es moralisch eine absolute Selbstverständlichkeit, dass man Menschen nicht im Stich lässt, die uns viele Jahre in Afghanistan geholfen haben", sagte er.

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Alle drei zeigten sich geschockt von den Nachrichten und Bildern aus Kabul. Roth und Hübner nahmen am Montagabend an einer Solidaritätskundgebung für die Menschen in Afghanistan teil, zu der das Bündnis Seebrücke aufgerufen hatte. München habe eine große afghanische Community, sagte der Grünen-Fraktionschef, viele hätten Angehörige, die um ihr Leben fürchteten. Bürgermeisterin Dietl hat den Kreis der Personen, den die Stadt aufnehmen könnte, so definiert, dass er deutlich über die Ortskräfte hinausgeht.

Sie bezog ausdrücklich auch Frauenrechtlerinnen, Mitglieder der LGBTQI-A+-Community, Demokraten und Künstler ein, die nun unter dem Regime der Taliban in akuter Lebensgefahr schwebten. München sei Mitglied im Bündnis "Sicherer Hafen" und wolle nun mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan wieder "ein deutliches humanitäres Zeichen" setzen, erklärte Dietl. Neben München erklärten sich in Bayern auch Erlangen Nürnberg, Schwabach, Regensburg, Straubing, Würzburg und Aschaffenburg dazu bereit.

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Der Bayerische Flüchtlingsrat forderte zudem, Druck auf die Landesregierung auszuüben, ein eigenes bayerisches Aufnahmeprogramm für Geflüchtete zu starten. "Andere Bundesländer haben das bereits initiiert, Bayern aber noch nicht", sagt Stephan Dünnwald, der auch im Vorstand des Bellevue di Monaco sitzt. Die Forderung ist nicht neu. Ein Bündnis aus Vereinen hatte unter dem Hashtag Bayern nimmt auf bereits im November vergangenen Jahres eine Petition gestartet. Sie richtete sich bisher darauf, Flüchtlinge von den griechischen Inseln nach Bayern zu holen. Die Forderung bleibt bestehen, bezieht sich nun aber auch auf Menschen, die aus Afghanistan fliehen.

Bis die Ersten ankämen, müsse sich die Stadt vorbereiten, sagte Dünnwald. Es brauche Dolmetscher und Freiwillige, die den Menschen beim Ausfüllen von Formularen helfen können. Das Amt für Wohnen und Migration müsse sein Beratungsangebot aufstocken. Wichtig sei aber vor allem, Unterkünfte vorzubereiten - nicht nur temporäre, sondern langfristige Bleiben. Die Ortskräfte, die zunächst nach Deutschland kommen werden, hätten eine Aufenthaltsgenehmigung. Dadurch könnten sie auch in privaten Wohnungen untergebracht werden. "Wir überlegen, dazu aufzurufen." Eine Kampagne mit dem Namen "Platz da" ist im Jahr 2016 entstanden.

Für die Hilfsorganisationen ist es selbstverständlich, dass nicht nur die Ortskräfte aufgenommen werden

Sie setzt sich dafür ein, Flüchtende statt in Massenunterkünften im privaten Raum aufzunehmen. Wilhelm Dräxler, Fachreferent für Migration des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising, bereitet die Wohnungssituation ebenfalls Sorgen. "Wenn die Menschen kommen, und sie werden kommen, stehen wir vor einer neuen Herausforderung", sagte Dräxler. Die öffentliche Hand sollte auch darauf vorbereitet sein, dass es plötzlich "pressieren" könnte. Hallen müssten beispielsweise zur Verfügung stehen, um notfalls Geflüchtete temporär unterbringen zu können.

Für die Hilfsorganisationen ist es selbstverständlich, dass nicht nur die Ortskräfte aufgenommen werden. "Wir müssen Menschen, die an diese neue afghanische Gesellschaft geglaubt haben, Bürgermeisterinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen, irgendwie da raus bekommen", sagte Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. Für Andrea Betz von der Diakonie München und Oberbayern zählt jetzt politischer Wille, Dinge auch umzusetzen. Wichtig sei etwa, dass man legale und sichere Wege schaffe, damit Flüchtende nach Europa, Deutschland und eben auch nach München kommen könnten, sagte sie. Der Regensburger Verein "Sea-Eye" fordert in einer Online-Petition die Bundesregierung genau dazu auf. Knapp 180 000 Menschen hatten bis Dienstagnachmittag im Netz unterschrieben.

© SZ vom 18.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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