Typisch deutsch:Ramadama im Ramadan

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Münchner beim Ramadama an der Isar, Höhe Reichenbachbrücke. (Foto: Stephan Rumpf)

In Syrien musste unser Autor die Gassen von Häusertrümmern befreien. Wie Saubermachen in Bayern ein Symbol für Frieden sein kann.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf, München

Benjamin ist Ingenieur. Das hatte er mir zumindest erzählt. Warum trägt er dann plötzlich eine gelbe Weste und sammelt mit einem Greifarm Müll von der Straße auf? Ich grüßte ich ihn nicht, stattdessen verdrückte ich mich. Um zu vermeiden, dass die Situation peinlich wird. Für den "Ingenieur". Oder für uns beide.

Aber doch, es stimmt. Benjamin hat Maschinenbau studiert. Alles korrekt. Ich hatte seinerzeit schlicht nie was von Ramadama gehört. Es findet zeitlich parallel zum derzeitigen Ramadan statt, dem islamischen Fastenmonat. Hat allerdings mit Religion wenig zu tun. Ramadama heißt in Bayern so viel wie: Aufräumen tun wir.

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Als ich ein Kind war, galt die Devise: Müllaufräumen, das machen Hausfrauen und Mütter. Als ich einmal sauber machen wollte, sagte meine Mutter: Komm, geh weg, sonst machen sich die anderen über dich lustig. In meiner früheren Heimat Syrien - vor dem Krieg - gingen Studenten auf die Straße, um Müll zu sammeln, eine kleine Minderheit. Mit den Bomben kamen dann andere Probleme.

In München und drumherum ist der Schnee längst geschmolzen. Und ohne die weiße Schicht offenbart das Land, was zweibeinige Saubären bisweilen so im Freien verstreuen. Plastik, Papier, Elektronik-Schrott, Dosen und Flaschen, ausrangierte Gartenmöbel, ein altes Waschbecken gar. Die Gegenbewegung nennt sich Ramadama - und deren Zentrale ist ein großer Container am Dorfplatz.

In den Jahren des Krieges in Syrien gab es viele gelbe Gesichter. Das sagt man dort, wenn die Menschen voll Angst und Trauer sind. Nach einer Luft-Bombardierung in meiner Stadt Rakka waren alle Häuser kaputt. Wir sammelten den Schutt und die Asche in Haufen zusammen und bauten uns notdürftige Baracken mit Stoffresten als Decke.

In Kirchseeon stehe ich nun seit einigen Jahren im Frühjahr mit gelber Weste und Greifarm auf der Straße. Heuer waren es schon weniger weggeworfene Stoffmasken als 2021. Wenn wir mit der Arbeit fertig sind, gibt es Brezen, Bier und Apfelschorle. Da ich im Ramadan faste, wird mir die Brotzeit freundlicherweise eingepackt, damit ich sie nach Sonnenuntergang vertilgen kann.

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Als in Rakka eine Bombe in der Straße explodierte, begann mein Bruder, die Überreste zu sammeln. Da fiel eine zweite Bombe und zerstörte sein rechtes Auge. Später schlug eine Rakete ein, es verschwanden 20 Kinder unter den Trümmerhaufen. Als wir den Schutt entfernten, um die Kinder zu retten, fanden wir bei einigen nur noch ihre Socken.

Nach den Luftbombardierungen hätten wir schweres Gerät gut brauchen können, um die Gassen von den Häusertrümmern zu befreien. Hier brauchen wir nichts anderes als Müllzangen, Säcke und Handschuhe.

In Kirchseeon traf ich neulich einen meiner Schüler, den ich betreue. Er trug die gelbe Weste. Ich ging zu ihm hin, da sagte er servus und meinte dann: "Ich kann jetzt nicht quatschen, ich muss aufräumen!"

Die Kinder hier machen in aller Ruhe das Ramadama und kehren nach Hause zurück. Wie schön wäre es, wenn die Menschen in Syrien und in der Ukraine auch einfach heimkehren und dort ein ganz gewöhnliches Ramadama machen könnten.

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