Aktionen gegen das Tanzverbot in Bayern:Bass- und Bet-Tage

Lesezeit: 4 min

Maskierter Mönch der Techno-Tempel: Der DJ Holy Priest legt beim "Heathens Rave" am Karfreitag in der Nachtgalerie auf. (Foto: Simon Bay)

Eine Musik-Demo auf dem Königsplatz, ein Riesen-Rave und 47 Partys in den Clubs - in der Karwoche 2024 wird in München so viel gefeiert wie noch nie. Trotz Tanzverbots. Kippen die Stillen Tage in Bayern?

Von Michael Zirnstein

Kirche oder Techno-Tempel? Für Hunderte Demonstrierende vor einem Jahr auf der Theresienwiese war die Marschrichtung klar: "Lasst uns tanzen. Amen!", schrieben sie auf die Plakate. Und: "Bibel gegen Mixer tauschen." Sie skandierten: "Bass statt beten." Jeder wie er mag, möchte man meinen. Aber eben nicht in Bayern. Hier bestimmt das Gesetz, dass es neun Stille Tage im Jahr gibt, und an denen darf nicht getanzt oder sich vergnügt werden. Daran hat auch die Aktion der Techno-Kollektive vor einem Jahr in München nichts geändert. Und auch nicht die Verhandlungsversuche der Veranstalter- und Gastronomen-Vertreter gegen die Spaßbremse der CSU, die sich gerade im bayerischen Wahljahr Lockerungen beim Tanzverbot erhofft hatten.

Genau deswegen wird auch heuer wieder außer dem Osterfest ein weiteres Ritual zelebriert: das Protest-Fest der Tanzfreunde. Und das wird in München größer denn je: mit einer Demonstration, einem zweitägigen Riesen-Rave und insgesamt 47 Partys an den wichtigsten kirchlichen Trauertagen des Jahres. Es dürfen sich aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtes alle ungehemmt amüsieren, die sich als anti-christlich bekennen. Zumindest für die Dauer der Party.

Schon am Gründonnerstag, ein Stiller Tag obwohl auch ein Arbeitstag, wird es laut werden: Zu einer Demonstration werden von 16 Uhr an auf dem Königsplatz 1000 Teilnehmer erwartet. Der Schlachtruf lautet: "Holy Shit. Let us rave!" Die Initiative stammt wieder von Ravestreamradio, einem Zusammenschluss von 40 jungen Kulturkämpfern, die sich für elektronische Club-Musik starkmachen - mit Events, Medienbeiträgen, Musik und eben Demos. Dem Versammlungsleiter Richard Meinl ist - logisch, als Techno-Veranstalter - die "veraltete Regelung" in Bayern "ein Dorn im Auge", oder besser: im Ohr. Aus seiner Sicht strotzt die staatliche Fürsorge für die trauernden Christen in einem säkularen Land vor Widersprüchen: "Auf die Muslime nimmt im Ramadan auch niemand Rücksicht", führt er beispielsweise an.

Mit Musikwägen zog 2023 die Demonstration gegen das Tanzverbot durch die Stadt. Aus logistischen Gründen bleibt man 2024 stationär am Königsplatz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Woran soll sich ein gläubiger Christ stören, wenn eine Party in einem geschlossenen Raum stattfindet?", das wird Assunta Tammeleo auf der Demo wieder fragen. Die Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit (BFG) hatte 2016 mit ihrer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eine Ausnahmeregelung erstritten für Feiern an kirchlichen Feiertagen, die sich explizit weltanschaulich gegenüber dem Christentum abgrenzen. Der Staat dürfe niemanden Vorschriften machen, wie er an einem Feiertag seine Freizeit verbringt, sagt sie: "Wir zwingen ja auch niemanden, mit uns zu tanzen."

Viele Clubs und Kulturveranstalter haben sich den Forderungen der Demonstranten angeschlossen, zum Beispiel Rote Sonne, Harry Klein und Muffatwerk. Das Kulturzentrum, eines der wichtigsten und größten der Stadt, schreibt: "Die stillen Feiertage liegen in den beiden Hauptzeiten von Konzerttourneen, im Frühling und Herbst, was (...) so manches kulturell wertvolle Konzert in München scheitern lässt." Zwar dürften Künstler als Kompromiss auftreten, wenn ihre Aufführungen dem Sinne des Feiertags gerecht würden. "Aber es ist kaum möglich, einem Künstler dies zu erklären, ohne das Wort Zensur in dem Gespräch zu hören zu bekommen."

Richard Meinl von Ravestreamradio wird als Versammlungsleiter bei der Demonstration am Gründonnerstag sprechen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Außer Reden wird auch Musik zu hören sein auf dem Königsplatz, denn die sei "das wichtigste Kundgebungsmittel", sagt Richard Meinl. Ein starkes Soundsystem werde "sicherstellen, dass die Botschaft der Demonstranten laut und deutlich gehört wird". Und danach geht es am Gründonnerstag und Karfreitag, jeweils von 21 bis 5 Uhr, beim "Heathens Festival" in Nachtgalerie und Nachtwerkclub (Landsberger Straße 185) weiter. Der größte Rave dieser Art hat jeden Abend Platz für jeweils 2500 Gäste. Lokale und internationale DJ-Stars werden mit einer eigens aus Schwerin angekarrten Monster-Sound-Anlage und zu einer gigantischen Laser-LED-Licht-Show auflegen, etwa DLV, Luciid, Raxeller, Encountear oder der maskierte Techno-Mönch Holy Priest; es gibt eine Kunstgasse, Foodtrucks und zwischendrin Live-Musik und Reden.

Auch andere Clubs öffnen unter dem Deckmantel des BFG, als ob es Stille Tage gar nicht gäbe: 14 Clubs wie Freiheitshalle, Neuraum, Milchbar, 089, Sweet, Pacha, schließen sich mit einem Sammelticket für eine "Clubrevolution" am Gründonnerstag zusammen. Auch in Backstage, Bahnwärter Thiel, Rote Sonne, Import Export, Unter Deck, Keg Bar - und wo eigentlich nicht? - wird bis Ostersonntag gegen das Tanzverbot angefeiert. Aber alle müssen pro forma alle zwei Stunden Redebeiträge einbauen. Viele nehmen das Anliegen allerdings nicht so ernst wie er, schätzt Richard Meinl; er beklagt den "mangelnden Support vieler aus der Szene bei der Demo".

Feiern und Protestieren gehört schon 2023 in der Nachtgalerie zusammen. (Foto: Leonhard Simon)
Dieses eigens aus Schwerin angekarrte Sound-System ist auch einer der lauten Stars des "Heathens Festival 2024". (Foto: Ravestreamradio)

Tatsächlich ist das Lager der Tanzverbotsgegner uneins in den Mitteln. Alexander Baehr, Leiter für Musik und Szene beim Gastronomenverband Dehoga, wird zwar selbst seine Lokale Schlagergarten, Rockkeller und Kölschbar im Werksviertel aufsperren. Denn bei den Gesprächen mit Politikern sei man abgeblitzt ("Nö, in Bayern wird das nichts", soll Markus Söder ihm gesagt haben), aber fürs Überleben müsse man seine Läden eben aufschließen dürfen, gerade die drei stillen Samstage im November schmerzten. "Aber eigentlich bin ich nicht gegen die Kirche, ich bin nur für die Vernunft", sagt er. Deswegen will er dieser Tage zusammen mit Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer Münchens Erzbischof Kardinal Marx besuchen und vielleicht ein "Gentleman Agreement" aushandeln: "Am Karfreitag ist 24 Stunden zu, fertig. Vielleicht kommt er uns dann an anderen Tagen entgegen."

Der Verband der Münchner Kulturveranstalter (VDMK), der die Demo unterstützt, probiert es ebenfalls weiter mit Hinterzimmer-Diplomatie, setzt auf den Generationenwandel in der neuen CSU-Fraktion. Man würde sich mit einigen Feiertagen begnügen und könnte etwa auf den staatlichen Volkstrauertag und katholischen Karfreitag verzichten und so in deren Wahrnehmung sogar noch schärfen, erklärt der VDMK-Geschäftsführer David Boppert. Was ihm nicht behagt, ist, dass sich der BFG ein Feier-Monopol schaffe. "Viele Münchner Clubs wollen da aber nicht andocken, weil sie sagen: Da muss ich mich gegen die Kirche stellen, das ist nicht mein Weg." Allerdings nutze ja auch die CSU solche Tricks, um zu veranstalten: Die spritzigen Reden am politischen Aschermittwoch seien doch auch nichts weiter als ein bierseliges Volksfest.

"Lasst uns tanzen. Amen!": Protest-Party gegen das Tanzverbot an den sogenannten Stillen Tagen auf der Theresienwiese 2023. (Foto: Alessandra Schellnegger)
"Bass statt beten" wollten diese Demonstranten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die CSU ist in einer Zwickmühle. Stephan Oetzinger, der Landesvorsitzende des Arbeitskreises Hochschule und Kultur, nennt es ein "Dilemma". Er kennt "das nicht unbegründete Interesse der Clubs und Kulturtreibenden", er weiß, dass neun stille Tage in Bayern mehr sind als in anderen Bundesländern. Er weiß aber auch, wie heilig den evangelischen und katholischen Glaubensgemeinschaften etwa Karfreitag und Buß- und Bettag sind. Wolle das Volk am Volkstrauertag die Gefallenen überhaupt noch betrauern, was in diesen Kriegszeiten ja durchaus angebracht wäre, fragt er sich. Was er noch nicht weiß: Wie die Fraktion mit einem Drittel neuer Abgeordneter dazu steht. Bei Kamingesprächen, etwa einem Arbeitskreis mit dem "Rock-Soziologen" Rainer Sontheimer, habe man "Gesprächsfäden" aufgenommen. Er will alle Beteiligten an einen Runden Tisch holen, "aber so weit sind wir noch nicht".

Nach einer baldigen Lockerung hört sich das nicht an. Und so lange bilden Tanz und Protest an kirchlichen Stillen Tagen eine - unheilige - Allianz. Dass die Reden das Feiern nicht stören, hat Ravestreamradio-Richi bei der Party 2023 erstaunt bemerkt: "Die Menge hat noch mehr als auf der Demo voll Bock gehabt, zwischendrin laut zu skandieren. Etwa: An Feiertagen wollen wir? - Feiern!" Vielleicht werden sie erhört, und vielleicht heißt es dann irgendwann: "Bass UND Beten!"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusVolkstheater-Ensemble
:Wie steht es um die Gleichberechtigung am Theater?

Gendern ist an vielen Theatern selbstverständlich geworden, aber heißt das, die Bedingungen sind für alle gleich? Ein Gespräch mit Liv Stapelfeldt und Anton Nürnberg anlässlich der Premiere von "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2", ein Stück, in dem die Männer aussterben.

Interview von Yvonne Poppek

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: