Tara Turunen stand seit Langem ganz oben auf dem Wunschzettel der "Rock Meets Classic"-Macher: Kaum jemand verkörpert die bombastische Fusion von Symphonie und Gitarrenriff so wie die ausgebildete Sopranistin aus Finnland. Mit ihrer Band Nightwish hat die "Walküre des Symphonic Rock" um die Jahrtausendwende den "Opera Metal" miterfunden. Auch nach der Trennung von Nightwish war Turunen so gefragt bei Projekten zwischen allen Genres, dass für den Crossover-Klassiker "Rock Meets Classic" keine Zeit blieb - bis zur aktuellen Runde, auf der sie nun mit Kollegen von Supertramp, Ultravox und Manfred Man's Earth Band mit großem Orchester spielt.
SZ: Frau Turunen, Sie leben seit acht Jahren in Marbella und waren davor lange in Buenos Aires. Leidet bei all der Sonne nicht die für den skandinavischen Metal so wichtige finnische Melancholie?
Tara Turunen: Ich kann schon auch an düsteren Orten komponieren, bin aber lieber am Strand. Ich brauche das Licht! Für meine Kunst. Für mein Leben. Für meine Gesundheit.
Was ist heute noch typisch finnisch an Ihnen?
Wir Finnen nennen das "Sisu": eine innere Stärke und Sturheit, mit der wir uns durch harte Situationen wie Wasser durch Fels arbeiten. Vielleicht kommt das von den Wikingern.
So arbeiten Sie seit 30 Jahren beharrlich an Ihrer Karriere als klassische Sängerin, dabei sind Sie bei Rock-Fans weitaus bekannter.
Stimmt, die Klassik war immer mein Ziel. Noch zu meiner Zeit als Kirchenmusik-Studentin an der Sibelius-Akademie in Helsinki bin ich Rock-Sängerin geworden, quasi über Nacht. Das stellte mein ganzes Leben auf den Kopf. Rock ist mein Hauptberuf, aber ich werde auch oft für Orchesterkonzerte angefragt. Bald will ich ein klassisches Album aufnehmen, Sibelius oder deutsche Kunstlieder. Ich übe viel klassisch und habe auch noch einen Gesangslehrer in Buenos Aires: Ich habe kein Problem damit, eine klassische Arie zu singen.
Lässt Ihnen das Klassik-Publikum, das als sehr anspruchsvoll gilt, das durchgehen?
Ich habe mich vom Klassik-Publikum immer umarmt gefühlt. Aber tatsächlich bin ich da oft "die Rocksängerin" geblieben. Man sollte auch den Puristen beibringen, dass es nicht nur in der Klassik außergewöhnliche Talente gibt. Bei mir war der Befreiungsprozess ähnlich: Es hat sehr lange gedauert, alles loszuwerden, was ich studiert hatte. Ich war ein Sturkopf beim Komponieren. Es war ein Augenöffner zu erkennen: Du weißt so viel, aber wo ist dein Herz? Manchmal muss man die Regeln brechen, um weiterzukommen.
Auf der anderen Seite sind viele Crossover-Projekte langweilig arrangiert. Immer dieselben Streicher-Rock-Riffs. Werden Sie mit Ihrer Doppelbegabung das "Rock Meets Classic"-Orchester aufmischen?
Haha. Normalerweise mache ich meine symphonischen Arrangements für Alben und Konzerte tatsächlich selbst. Mal schauen, ob die mich lassen, oder ob die mich nur als Sängerin sehen.
Was werden Sie singen, auch Nightwish-Songs?
Ja, auch. Die Setlist ist sehr interessant, aber die Produktion will nicht, dass ich was verrate. Nur so viel: Ich werde mich auch mit einigen anderen dieser großartigen Gäste verbinden, ich werde eine Supertramp-Nummer singen.
Wie steht es um die Beziehung zu Ihrer einstigen Band Nightwish, die sie nach neun erfolgreichen Jahren 2005 gefeuert hatte.
Also, eine Beziehung in dem Sinn gibt es nicht mehr. Ich bin aber befreundet mit der aktuellen Sängerin Floor Jansen. Und mit dem ehemaligen Bassisten Marco Hietala war ich im März in Südamerika auf Tour. Diese gemeinsame Verbindung zurück ist schon wundervoll.
Haben Sie eigentlich verschiedene Persönlichkeiten, wenn Sie Klassik oder Metal singen?
Bei der Klassik kommt mein perfektionistisches Ich durch. Bei Rock-Shows will ich schon auch alles richtig machen, aber da gibt es auch diese andere Stimme in mir, die sagt: Du darfst schon Spaß haben! Aber emotional bin ich immer, auf der Bühne bin ich ein offenes Buch, eine Geschichtenerzählerin - sie werden mich nie ohne Herz singen sehen.
Sie haben ein Buch über das Leben im Musikgeschäft geschrieben - fühlten Sie sich missverstanden?
Eigentlich nicht. Ich habe es für die vielen Frauen geschrieben, die mir folgen, junge und alte. Die sehen mich als ermutigende Frau, die ihren Weg gegangen ist.
Würden Sie jungen Musikern raten, ihrem Beispiel zu folgen, Projekte in so vielen Genres und Ländern, mit so vielen Partnern zu machen? Oder sollen sie sich lieber auf eine Sache konzentrieren?
Mein Weg ist nicht die leichteste Straße. Ich arbeite hart. Ich habe die Kerze oft von beiden Enden angezündet. Dadurch hatte ich schon ernste Gesundheitsprobleme.
2018 erlitten Sie einen Schlaganfall.
Ja. Aber auch da halfen mir meine Wurzeln, das lyrische Singen. Zu denen muss ich immer zurückkommen, auf die muss ich achten, weil wenn die verfaulen, stirbt auch der Rest.
Warum ist die klassische Musik ein Medikament für Sie?
Weil bei ihr der ganze Körper resoniert. Nicht nur die Stimmbänder hier oben. Diese kleinen Muskeln können Sie sehr leicht zerstören. Okay, in der Klassik ist es sogar noch leichter, den Körper zu schädigen, wenn Sie nicht wissen, was Sie tun. Aber wenn man die Technik hat und weiterübt, sein Leben lang, dann ist sie gesünder.
Rock meets Classic mit Tarja Turunen, Sonntag, 14. April, 20 Uhr, München, Olympiahalle; weitere Termine in Bayern: 11. April Kempten, 12. Passau, 13. Regensburg, 18. Ingolstadt, 20. Nürnberg, 21. Würzburg