Ausstellung im Lenbachhaus München:Trillern für die Freiheit

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Am Zollhafen von Trapani auf Sizilien besuchte Natascha Sadr Haghighian als Natascha Süder Happelmann ein Flüchtlingsschiff. (Foto: Jasper Kettner)

Natascha Sadr Haghighian hat als "die Künstlerin mit dem Stein auf dem Kopf" bei der Venedig-Biennale vor einigen Jahren Berühmtheit erlangt. Nun sind ihre Arbeiten im Lenbachhaus zu sehen.

Von Evelyn Vogel

Die Trillerpfeife schwebt knallrot und riesig über einem in Erdfarben schillernden, bestickten Stoffbanner. Ausschnitte von fellig-fiedrigen Tieren zu einem Patchwork zusammengesetzt. "Die Füchse der erzwungenen Abschiebung kommen immer nachts, um ein Huhn mitzunehmen", heißt es an einer Stelle. Die Trillerpfeife, in modernen Gesellschaften warnen sich die Demonstrierenden damit. Sie ist aber auch ein Herrschaftssymbol. Dachten wir nicht bis vor ein paar Jahrzehnten dabei eher an den Polizisten, der den Verkehr regelt? Und dann kommt da noch der Leopard mit ins Spiel. Nicht der auf leisen Sohlen, sondern der auf knirschenden, ratternden Ketten. Martialische Kriegsbilder schieben sich vor die Naturidylle.

Und schon ist man mitten drin in der Ausstellung "Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult)" von Natascha Sadr Haghighian im Münchner Lenbachhaus. Dabei hat man gerade erst die titelgebende Arbeit im Zwischengeschoß passiert, hat einen kurzen Blick auf das mit Lego-Platten in blau, grün, blau ausgelegte Tableau im Foyer geworfen, das den kryptischen Titel "Pssst Leopard 2A7+" trägt und in das man - im Wortsinn - hineinhören kann. Womit zwei wichtige Bausteine der Künstlerin angeklungen sind: Worte und Töne und wie sie die Menschen zu neuem Sehen führen können. Später, im Hauptraum der Ausstellung, die gerade eröffnet hat, wird man auf noch mehr Töne treffen - und auf eine Installation aus großen Zungen, die für einen Chor stehen, der in vielen Sprachen spricht.

Natascha Sadr Haghighian mit Zeynab Izadya: das Stoffbanner "Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult)" im Lenbachhaus. (Foto: Courtesy the artists)
Im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale 2019 traf die Kunstfigur Natascha Süder Happelmann auf den damaligen Außenminister Heiko Maas. (Foto: Xander Heinl)

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist die 1967 in Teheran geborene iranisch-deutsche Installations- und Videokünstlerin 2019, als sie den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielte. Wobei die Werke im Pavillon zunächst weniger für Furore sorgten als ihr Auftritt. Als Natascha Süder Happelmann gab sie - den Kopf unter einem Stein aus Pappmaché verborgen - sibyllinische Antworten auf Fragen nach ihrem Woher und Wohin (unter anderem auch in Form von Zeichnungen der Süddeutschen Zeitung ) und begegnete in eben dieser Aufmachung und stoischer Haltung - der Stein ist alt und geduldig - dem damaligen Außenminister Heiko Maas.

Etliche der Biennale-Arbeiten sind nun auch im Lenbachhaus zu sehen. Und spätestens bei der Leopard-Arbeit im Foyer, einer "Klanguntersuchung", an der sie seit 2013 arbeitet, wird einem bewusst, wie aktuell ihre künstlerische Feldforschung ist. Wie ganz anders blickte man doch vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf den Leopard Kampfpanzer. Friedenslieder und Anti-Kriegs-Reden, politische Beschlüsse und Gesprächsfetzen rund um den Ukrainekrieg und aus anderen Krisengebieten sowie aus dem Rüstungsumfeld, aber auch historische, musikalische und literarische Zitate kommen hier zusammen, erschließen sich aber erst, wenn man sich mit den zweipoligen Chinch-Steckern "einklinkt" - noch so ein versteckter Verweis auf das Mehrkanaldenken in den Arbeiten.

Die 48-Kanal-Soundinstallation "tribute to whistle" setzt sich aus sechs von ihr in Auftrag gegebenen Kompositionen unterschiedlicher Länge zusammen, die in unterschiedlichen Anordnungen den Raum beschallen. Ob als Trillerpfeife, als Vogelgezwitscher, als elektronisch verfremdetes Versatzstück - die Zufalls-Komposition spielt mit der aggressiven wie der friedlichen Bedeutung von trillern und pfeifen und ist vielschichtig konnotiert. Wer diesen Hintergrund nicht erforschen will, kann sich einfach hineinstellen in diesen Klanggarten und sich der emotionalen Ebene überlassen - auch die wirkt.

Natascha Sadr Haghighian: Digitale Zeichnung aus Tumult + Accumulation series. (Foto: Courtesy the artists)

Die Werke Natascha Sadr Haghighians leben aber auch und vor allem vom gesellschaftspolitischen Diskurs. Migration, Wanderarbeit, Flüchtlingshilfe, Ausbeutung von Mensch und Natur - als "Stein-Mensch" wanderte sie durch Bayern und durch Italien auf den Spuren geflüchteter Menschen. Es gibt Videos, Fotos, Installationen und Zeichnungen. In ihrer neuesten Arbeit "Uns soll Wir sollen (Kontrafaktur)" beschäftigt sie sich mit den Benin-Bronzen, genauer mit dem Material, aus dem sie hergestellt sind - mit einem überraschenden Ergebnis. Man kann diese Zeichnungen einfach nur als Zeichnung betrachten. Wer ihnen auf den Grund gehen und damit auf den des Meeres folgen will, sollte sich des Begleitheftes bedienen. Es lohnt sich.

Natascha Sadr Haghighian: Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult), Lenbachhaus München, bis 8. Oktober; Projekt "The Broken Pitcher", Gespräch und Filmscreening, Garten des Lenbachhauses, 30. Juni, 7./14./21. Juli, jeweils 19 Uhr

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