Ausstellung in München:Diverser und politischer

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Das gewaltige Gemälde von Jana Euler "Venice Void" von 2022 empfängt die Besucher der neuen Sammlungspräsentation im Museum Brandhorst. (Foto: © Jana Euler, Courtesy the artist and Galerie Neu, Berlin, Foto: Marco Cappelletti)

Das Museum Brandhorst zeigt mit der neuen Sammlungspräsentation "Von Andy Warhol bis Kara Walker" nicht nur einen Teil seiner Neuerwerbungen, sondern auch, wohin der Weg der Kunst führt.

Von Evelyn Vogel

Was für ein irres Gesicht! Eine Phantasmagorie? Ein Rorschachtest? Die Augen wirken ja noch halbwegs normal, wenn auch schon ein wenig seltsam. Doch die Ohren, sie sind in die Mitte gerückt. Dazu flankieren zwei Nasen einen Mund, der zwar freundlich zu schmunzeln scheint, aber ganz offensichtlich verkehrt herum steht. Und in der Mitte dieses seltsamen Antlitzes gähnt eine kreuzförmige Leere, in die sich nicht weniger als sechs Extremitäten hineinschieben. Letzteres erkennt man allerdings erst so recht, wenn man vor dem riesigen Original steht, das im Museum Brandhorst schon im Flur den Auftakt bildet zur neuen Sammlungspräsentation "Von Andy Warhol bis Kara Walker".

Zwei Meter hoch und vier Meter breit ist das Gemälde von Jana Euler aus dem Jahr 2022. Und sie scheint dem Mann auf dem Bild von den Fersen bis zu den Zehen gleichsam die Haut von hinten über den Kopf gezogen zu haben. Der Betrachter blickt von oben hinein in diese umgestülpte menschliche Hülle mit der zentralen Leere. Einer Hülle, deren Äußeres innen zu liegen scheint. Allein der Titel "Venice Void" deutet darauf hin, dass es ihr nicht um die Hülle, sondern um genau diese zentrale Leere geht. Als ob Euler, Jahrgang 1982, ausgebildet an der Städelschule in Frankfurt und im schottischen Glasgow, mit Lebensmittelpunkt in Brüssel, die inhaltliche Leere der Kunst oder vielleicht des Kunstzirkus' kritisieren wollte. Das riesige Bild war zusammen mit einem ganzen Tableau aus ihrer Serie von Haie ("Great White Fear") bei der Venedig-Biennale "The Milk of Dreams" vergangenes Jahr in den Giardini ausgestellt. Nun hängt es also im Museum Brandhorst. Es ist eine der Neuerwerbungen dort.

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Dass man sich auf Sammlungen nicht ausruhen darf - und mögen sie noch so gut sein -, haben die meisten Museen längst erkannt. Es gilt, sie immer wieder unter neuen Gesichtspunkten zu erschließen. Sei es durch kleine Gegenüberstellungen, wie man es beispielsweise in der Reihe "Spot on" im Brandhorst tut, wo man 2020 Jana Euler und Thomas Eggerer beleuchtete. Sei es durch große Sammlungspräsentationen unter einem bestimmten Motto, wie es bei "Future Bodies from a Recent Past - Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er-Jahren" vom Sommer vergangenen bis Mitte Januar diesen Jahres geschah. Sei es durch Neupräsentationen wie in der Jubiläumsausstellung zum zehnjährigen Bestehen des Museum vor gut drei Jahren mit dem Titel "Forever Young", wo der schon um ein vielfaches erweiterte Bestand neu gemischt wurde.

Seither hat das Museum mit Hilfe der Brandhorst-Stiftung weitere 66 Werke zeitgenössischer Kunst angekauft. Möglich ist dies durch den Vertrag, den Udo Brandhorst nach dem Tod seiner Frau Anette im Jahr 1999 mit dem bayerischen Staat geschlossen hat. Kritiker des Museums, die gerne davon sprechen, dass Brandhorst sich vom Freistaat ein Museum für seine Sammlung habe bauen lassen, damit diese gut untergebracht sei und konservatorisch betreut werde, wissen schlichtweg nicht - oder vergessen es in ihrer Ablehnung gerne -, dass die Brandhorst-Schenkung nicht nur die wertvolle Sammlung, sondern zudem auch auch ein großes Vermögen enthielt. Mit Hilfe der Stiftung ist über Jahrzehnte hinaus der Etat gesichert. Dem Museum stehen jährlich drei bis vier Millionen Euro für Ankäufe zur Verfügung. Davon können viele große Museen weltweit nur träumen.

Zu den aktuellen Neuerwerbungen gehören Werke von Keith Haring, Louise Lawler, Raymond Saunders, Pope L., Kara Walker und Nicole Eisenman (der im Brandhorst von März an eine Einzelausstellung gewidmet sein wird). Außerdem eine 118 Stücke umfassende, dreiteilige große Installation von Mark Leckey, die im vergangenen Jahr in der Schau "Future Bodies from a Recent Past" gezeigt wurde. Hinzu kommen sieben Schenkungen, unter anderem von Albert Oehlen/Martin Kippenberger, Günther Förg und Emily Mae Smith.

In der aktuellen Neupräsentation ausgestellt werden von den insgesamt 74 Neuzugängen (wenn man die 118-teilige Installation von Mark Leckey als eine Arbeit versteht) 24 Werke, also rund ein Drittel. Die meisten der anderen neuerworbenen Werke sollen im Laufe der nächsten eineinhalb Jahre ebenfalls gezeigt werden.

Eines der vielen Werke von Andy Warhol: "Rolling Stones - Love You Live (Mick Jagger)" von 1975 aus der Udo und Anette Brandhorst Sammlung. (Foto: © 2023 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York.)

Unter den All-Time-Highs in der aktuellen Ausstellung nimmt Andy Warhol eine herausragende Stellung ein. Kaum ein Museum besitzt so viele Warhols - ein Pfund, mit dem das Brandhorst zu Recht wuchern kann. So steht man im ersten Raum gleich vor einer ganzen Wand mit Werken des Pop-Art-Künstlers in Petersburger Hängung. Das hat Wucht, da kann man nicht meckern. Besonders schön aber mutet die linke Stirnseite an, auf der Warhols goldene "Round Marilyn" mit Adaptionen von Louise Lawler umgeben ist und fast wie ein Flügelalter wirkt. Wo der Pop-Artist auf die Wirkung unvergänglicher Schönheit im Tod und über den Tod hinaus setzte, thematisiert die zeitgenössische Künstlerin den Umgang mit Ikonen durch den Kunstmarkt.

Ein starker Raum ist der mit Bildern von Basquiat und Raymond Saunders, in deren Werken es um Rassentrennung und Lynchjustiz geht. Von schwarzer und feministischer Selbstbehauptung handeln die Werke von Kara Walker, deren Zeichnungen und Scherenschnitte seit den Neunzigerjahren eine herausragende Stellung einnehmen. Ihre Arbeiten, unter anderem das große gezeichnete Diptychon "Yesterdayness in America today", das vor zwei Jahren in der großen monografischen Schau im Kunstmuseum Basel zu sehen war, gelten ebenso als Standortbestimmung schwarzer Kunstschaffender wie die von Arthur Jafa, dessen Objekt Rassismus und Gewalt zum Ausdruck bringt.

Einer der Scherenschnitte, für die Kara Walker bekannt ist, "Miss Rona's Hello" von 2020, ist eine Neuerwerbung der Udo und Anette Brandhorst Sammlung. (Foto: Kara Walker, Courtesy Sprüth Magers and Sikkema Jenkins & Co./Stephen White)

Beeindruckend und beklemmend ist der Künstlerraum von Pope L., der sich mit Performance- und Installationskunst, Gemälden und Zeichnungen dem Thema schwarzer Selbstbehauptung in sich verändernden gesellschaftlichen Realitäten widmet. Das Video des kriechenden Künstlers auf seinem Weg von der Freiheitsstatue über den "Great White Way", den Broadway, bis hin zur Bronx spiegelt Unterdrückung und Unterwerfung, Widerstand und Selbstbehauptung wider - und ist bisweilen absurd komisch.

Andere Räume wirken vordergründig stiller, auch wenn es um harte Themen geht. So werden es Arbeiten von Lawler, Nauman, Gober und Simms trotz der Thematik "Offene und versteckte Gewalt" womöglich schwer haben, sich zu behaupten. Hier muss man schon etwas länger verweilen, damit die Bezüge zur Gänze erfahrbar werden. Das Alex-Katz-Zimmer relativ am Anfang des Rundgangs wird alle Katz-Fans entzücken, berührt aber im Vergleich zu anderen wenig. Dafür setzen am Ende Werke von Polke, Warhol, Humphries und Eggerer, die unter dem Titel "Zeichen des Protestes" arrangiert sind, noch einmal einen starken politischen Akzent.

Auch wenn Kunst von weißen Männern noch immer die Sammlung dominiert: Das Brandhorst holt in Sachen Diversität und politischer Aktionskunst auf. Das zeigt die neue Sammlungspräsentation.

Von Andy Warhol bis Kara Walker, Szenen aus der Sammlung Brandhorst, Museum Brandhorst München, bis 14. Juli 2024

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