Ausstellung im Museum Brandhorst:Reich mir die Hand, mein Chat-Bot

Lesezeit: 4 min

Stephanie Dinkins (unten rechts) führt seit Jahren Gespräche mit Bina48 (oben links) und zeichnet sie auf. Daraus entstanden ist die Video-Spiegelarbeit "Conversations with Bina48", von der hier "Fragment 11, Fourth Mirror" von 2018 zu sehen ist. (Foto: Stephanie Dinkins)

Künstler waren schon immer fasziniert vom technischen Fortschritt. Wie diese Faszination ihre Vorstellung von Körper und Skulptur beeinflusst hat, zeigt die Ausstellung "Future Bodies from a Recent Past" im Museum Brandhorst in München.

Von Evelyn Vogel

Bina48 macht sich Gedanken. Gedanken über Leben und Tod, Rassismus und Einsamkeit, über den freien Willen und die Fähigkeit künstlicher Intelligenz, Gefühle zu empfinden und sich zu artikulieren. Darüber spricht sie seit 2014 regelmäßig mit der amerikanischen Künstlerin Stephanie Dinkins. Dinkins hat diese Gespräche in Videos aufgezeichnet und in Spiegelinstallationen übersetzt. Das Besondere an diesem Gedankenaustausch - abgesehen von Dinkins' künstlerischer Praxis?

Bina48 ist ein humanoider Roboter mit philosophischen Kenntnissen und der Fähigkeit, eigene Gedanken und Emotionen zum Ausdruck zu bringen - was sie schon in Interviews mit der New York Times oder den CBS Morning News getan hat. Die amerikanische Technologie-Unternehmerin Martine Rothblatt hat Bina48 als synthetischen Klon ihrer Frau Bina Aspen erschaffen lassen. Hinter der menschlich anmutenden Roboterbüste steckt ein Sprachassistent mit Chatbot-Funktion, ähnlich der von Siri und Alexa. Auch wenn die Mimik etwas künstlich wirkt, die Gedanken sind komplex, und die Sprache ist eloquent. Zudem reagiert Bina48 nicht nur, sie agiert, setzt neue Themen, übernimmt die Gesprächsführung, bringt Gefühle zum Ausdruck. Ihre intellektuelle und emotionale Lernfähigkeit ist derart groß, dass die Grenze zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz fließend und das Resultat auf manche Betrachter geradezu beängstigend wirkt. Dinkins versucht in ihrer künstlerischen Umsetzung, diese Grenze dennoch deutlich zu machen. Faszination ja, kritiklose Tech-Gläubigkeit nein.

Der Körper als Schauplatz politischer Kämpfe und feministischen Widerstands

Dinkins' "Conversation mit Bina48" ist eine der aktuellsten und spannendsten Arbeiten in der von Patrizia Dander und Franziska Linhardt kuratierten Ausstellung "Future Bodies from a Recent Past" im Museum Brandhorst in München. Die Schau gleicht einer Zeitreise durch Materialität, Form und Ausdrucksweise der Skulptur der vergangenen 70 Jahre. Einer Skulptur, die als Projektionsfläche für unsere eigene Körperlichkeit dient. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie haben die technologischen Entwicklungen in diesen Jahrzehnten die Vorstellungen von Körpern verändert? Wie gehen Künstlerinnen und Künstler mit neuen Materialien und technischen Entwicklungen wie 3D-Druck oder KI um? Verherrlichen sie technikeuphorische Positionen, wie es die Futuristen in den Zwanzigerjahren getan haben? Oder spüren sie mehr der subkutanen Wirkung des technologischen Wandels nach?

Eine Reise zurück ins Space-Age? Pawel Althamers "Bródno People" von 2010 im Museum Brandhorst. (Foto: Thomas Dashuber/Pawel Althamer)

Anhand von mehr als 100 Werken und Rauminstallationen von etwa 60 Künstlerinnen und Künstlern aus Europa, den USA und Japan - zu 90 Prozent Leihgaben - versucht das Brandhorst eine Antwort zu geben. Dafür hat das Museum zwei von drei Etagen freigeräumt und die Sammlung weitestgehend ins Depot verbannt. Nur Cy Twombly, der Signature-Brand des Hauses, durfte im Obergeschoss verbleiben. Der chronologisch-thematische Parcours beginnt mit der großen Installation "Bródno People" von Paweł Althamer im Erdgeschoss. Mit seiner silbrig glänzenden, teils gesichtslosen Personengruppe scheint er das Space Age zurückzuholen. Doch der polnische Künstler, der jüngst mit dem Lovis-Corinth-Preis ausgezeichnet wurde, benutzt die Nostalgie des Raumfahrt-Zeitalters nur als popkulturelles Vehikel, um sozialkritische Themen zu verdeutlichen.

Viele Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich mit der Vermessung, Fetischisierung und Domestizierung des Körpers und der Frage, wie technische Errungenschaften darauf Einfluss nahmen. Manche blicken ironisch-spielerisch darauf, wie die japanische Künstlerin Atsuko Tanaka mit ihrer Lichtinstallation "Denkifuku" aus den späten Fünfzigern. In vielen Werken wird deutlich, wie sehr manche Utopien - technische wie gesellschaftliche - gealtert sind, wie sie scheiterten und von neuen Entwicklungen überholt wurden. Ein raumhohes Wandtableau mit einer Timeline stellt Bezüge zu epochalen Ereignissen aus Gesellschaft, Technik und Politik her.

"Bye, Bye Baby" von Kiki Kogelnik in der Ausstellung "Future Bodies from a Recent Past - Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er-Jahren" im Museum Brandhorst. (Foto: Museum Brandhorst/Kiki Kogelnik)
Beitrag zur Feminismus-Debatte: Nicola L.: "Little TV Woman: I Am the Last Woman Object", 1969. (Foto: Kyle Knodell/© Nicola L.)

Höchst ergiebig und somit ein Schwerpunkt sind die Sechziger- und Siebzigerjahre. Sie brachten eine Reihe von Werken hervor, die den Körper als Schauplatz sozialer und politischer Kämpfe oder feministischen Widerstands zeigten. So ließe sich Kiki Kogelniks Wandarbeit "Bye, Bye Baby" von 1964 durchaus als Beitrag zur aktuellen Debatte um Körperermächtigung und Abtreibung lesen. Auch das sexpuppenartige Objekt "Little TV Woman: ,I Am the Last Woman Object'" von Nicola L. aus dem Jahr 1969 hat als Beitrag zur Feminismus-Debatte nichts an Aktualität verloren - wirkt jedoch mit dem integrierten alten Sony-TV-Gerät wie ein Relikt aus jener Vergangenheit, die es kritisiert. Leder, Gummi, Netz und Fetisch - ob Nancy Grossman (Potawatami, 1967), Louise Bourgeois (Filette, 1968 - 1999) oder Yayoi Kusama (Sex Obsession, 1976) bis hin zu Kayas "Kaftan_Schnaken" von 2015 und Alexandra Birckens "New Model Army" von 2016 - der Körper schreit förmlich danach, in eine zeitgemäße Form über- mitunter durch künstliche Teile ersetzt zu werden.

Wie viel Mensch und wie viel technische Ersatzteile stecken in einem Cyborg? Aleksandra Domanovic: Mayura Mudra, 2013. (Foto: Gunter Lepkowski/Courtesy die Künstlerin und Tanya Leighton, Berlin und Los Angeles)

So tauchen in jüngerer Zeit vermehrt Cyborg-Themen auf wie bei Dinkins oder Aleksandra Domanović. Biotechnologie und der Zwang zur Selbstoptimierung werden wichtig. Äußerst erfrischend - in jeder Hinsicht: Matthew Barneys Vaseline-Drückbank in einem Kühlraum. Die körperliche Perfektionierung und permanente Sichtbarkeit - auch in den sozialen Medien - gewinnt an Bedeutung. Und die Kunst wirkt wie ein Sensor, dessen Schwingungen von Künstlerinnen und Künstlern - mal fasziniert, mal eher kritisch - in Skulptur, Objekt und Installation übersetzt werden.

Einen besonderen Blick auf die Kunst in Zeiten technischer Reproduzierbarkeit, auf das Internet der Dinge und auf die Vernetzung von Mensch und Technik wirft Mark Leckey mit der dreiteiligen, raumgreifenden Installation "UniAddDumThs". Die drei Tableaus mit den Titeln "Tier", "Mensch", "Maschine" wurden vom Museum vor zwei Jahren angekauft und werden hier erstmals präsentiert. Sie beherrschen förmlich das Untergeschoss, durch das sich zudem wie in Zeitlupe Robert Breers phallusartige Skulptur "Float" bewegt. Leckeys wilder Ritt durch die Jahrtausende lässt Vergangenheit und Zukunft verschmelzen und zeigt: Die Faszination der Kunst für die technologische Transformation des Körpers ist uralt - und dauert an.

Future Bodies from a Recent Past. Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er-Jahren, Museum Brandhorst , bis 15. Januar 2023.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: