S-Bahn in München:Zweite Stammstrecke: Söder ruft zum Krisengipfel in die Residenz

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Dauerbaustelle mitten in der Stadt: Passanten gehen am Marienplatz an einem Schild mit der Aufschrift 'Großprojekt 2. S-Bahn-Stammstrecke München' vorbei. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Wie kann ein Verkehrskollaps im Großraum München abgewendet werden? Darüber berät Bayerns Ministerpräsident kommende Woche mit OB Reiter, Landkreis-Spitzen und der Deutschen Bahn. Die dürfte dabei einen schweren Stand haben.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Der Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz ist eigentlich für Konzerte, Bankette und Festakte gedacht. Doch wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dort kommenden Mittwoch ausgewählte Gäste willkommen heißt, gibt es nichts zu feiern. Im Gegenteil: Krise ist angesagt, dieses Mal bei der S-Bahn in München. Die Staatskanzlei will mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), den Spitzen von zahlreichen Landkreisen aus Oberbayern und der Deutschen Bahn besprechen, wie ein Verkehrskollaps im Großraum München noch abgewendet werden kann. Eigentlich sollte die zweite Stammstrecke der S-Bahn dafür sorgen, dass die Staus in München nicht überhand nehmen, sondern mehr Leute denn je umwelt- und klimafreundlich zum Arbeitsplatz, in die Schule, die Uni, zum Einkaufen oder Ausgehen kommen. Doch die zweite Stammstrecke wird viel später fertig und viel teurer als geplant.

Konzertbesucher etwa in der Residenz müssen also weiter die pannenanfällige, fünf Jahrzehnte alte S-Bahn nehmen. Dass die Staatskanzlei zum Krisengipfel in den Max-Joseph-Saal der Residenz lädt, hat übrigens nichts mit Söders Vorliebe für Schlösser und schöne Bilder von ihm und seinen Gästen zu tun. Sondern nach Angaben aus dem Kreise der Eingeladenen schlicht und einfach damit, dass dort in Zeiten hoher Corona-Zahlen genügend Platz ist, damit die Abgesandten von Stadt, Land, Landkreisen und Bahn weit auseinander sitzen können. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass das Nobelrestaurant Käfer die Bewirtung übernimmt wie öffentlichen Veranstaltungen in diesem Saal üblich. Das würde auch nicht zum Thema passen, für den Ausbau der S-Bahn wird jeder Euro gebraucht.

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Verkehrsminister Bernreiter hat dem Kollegen in Berlin abgerungen, bei der Bahn vorstellig zu werden

Söders Staatsregierung wird bei dem Krisengipfel mit den wichtigsten Ministern in Sachen Nahverkehr vertreten sein. Darunter natürlich auch der neue Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Der kann dann aus erster Hand und im Detail berichten, was sein Besuch bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) an diesem Mittwoch in Berlin brachte.

Das wichtigste Ergebnis: Wissing soll Druck machen, damit das Staatsunternehmen Bahn als Bauherr der zweiten Stammstrecke endlich Zahlen vorlegt, wie teuer das Großprojekt denn nun werden dürfte. Intern kursieren bei der Bahn längst Zahlen, die in Richtung jener 7,2 Milliarden Euro gehen, die Bernreiter zuletzt genannt hatte. Angeblich rechnet und rechnet die Bahn aber noch und braucht bis zum Herbst, um Genaueres sagen zu können.

Mit dieser Auskunft dürfte Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel, der auch zu Söders Krisengipfel geladen ist, dort aber einen schweren Stand haben. Damit dürften sich OB Reiter, die Vertreter der Landkreise und Bayerns Regierung nicht zufrieden geben. Und das erst recht nicht, nachdem Bernreiter Wissing offenbar abgerungen hat, bei der Bahn vorstellig zu werden. Ansonsten bekräftigte Wissing in dem Gespräch, was er am vergangenen Wochenende schon im SZ-Interview gesagt hatte: Der Bund stehe zu dem Projekt und werde sich entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auch an den Mehrkosten beteiligen.

Wie geht es weiter mit der U9?

Wenn Bund und Land sich nun auch auf die Finanzierung der zusätzlichen nötigen Milliarden geeinigt haben, muss aber noch eine entscheidende Frage geklärt werden, bevor es weitergehen kann: Wird am Hauptbahnhof wie geplant der Rohbau für eine Station der neuen U9 eingezogen? "Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Stadt München zur weiteren Finanzierung", betonte Bernreiter deswegen nach dem Gespräch in Berlin. Doch auch hier sind noch ein paar Drehungen und Wendungen zu erwarten, bis Klarheit herrscht.

Grundsätzlich hat die Stadt den Bau der neuen U-Bahn-Linie durchs Zentrum bereits beschlossen. Diese kann aber nachträglich nicht mehr unter dem Hauptbahnhof hindurchgefädelt werden. Der Halt muss mit dem Bau der zweiten Stammstrecke weitgehend errichtet werden. Die 500 Millionen Euro dafür müsste die Stadt bezahlen, und sie wäre auch bereit dafür. Doch nur, wenn "es eine verlässliche, schriftliche Zusage des Bundes und gegebenenfalls des Freistaats zur grundsätzlichen Förderfähigkeit" der gesamten U-Bahnlinie gibt, betonte OB Reiter am Mittwoch. Das müsse verbindlich gelten, auch wenn das Nutzen-Kosten-Verhältnis nicht das erforderliche Ergebnis erreiche. "Ein Vorhaltebauwerk für knapp eine halbe Milliarde Euro zu bauen, ohne zu wissen, dass hier jemals auch eine U-Bahn andockt, ist nicht zu verantworten."

Ursprünglich sollte die Röhre 2010 fertig sein und 700 Millionen Euro kosten. Jetzt ist von 2037 die Rede, und mehr als sieben Milliarden Euro

Das Bundesverkehrsministerium will weiterhin bis zu 60 Prozent jener Kosten übernehmen, die laut Gesetz zuschussfähig sind. Sollte sich der Kosten-Nutzen-Faktor der zweiten Stammstrecke wegen der nun deutlich höheren Ausgaben aber verschlechtern, dann kann es sein, dass auch deutlich weniger Geld aus Berlin kommt. Der Freistaat Bayern müsste dann deutlich mehr für das Großprojekt ausgeben.

Ursprünglich sollte die zweite Stammstrecke 2010 fertig sein und 700 Millionen Euro kosten. Jetzt ist von 2037 die Rede, und mehr als sieben Milliarden Euro. Pendlerinnen und Pendler im Großraum München müssen also mehr als ein halbes Arbeitsleben auf einen besseren öffentlichen Nahverkehr warten. Mehr Autoverkehr statt mehr Umwelt- und Klimaschutz - für dieses Desaster will niemand verantwortlich sein. Damit will Bayerns Ampelopposition die Landesregierung und Ministerpräsident Söder aber nicht durchkommen lassen.

Söder solle sich noch diese Woche im Landtag zu dem Desaster erklären, verlangt Florian von Brunn, Fraktions- und Landeschef der SPD. "Anstatt von Volksfest zu Volksfest zu tingeln, sollte Herr Söder jetzt lieber Rede und Antwort stehen." Brunn verweist darauf, dass Söders Staatskanzlei nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits Ende 2020 vom bayerischen Verkehrsministerium in einem "Brandbrief" vor einem Desaster beim Bau der zweiten Stammstrecke gewarnt worden sei. Die Staatskanzlei versucht, die Bedeutung dieses Briefes herunterzuspielen, gerät damit aber bei der Landtagsopposition an die falsche Adresse.

Söder dürfe sich nicht wegducken, sagt Brunn. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann wirft dem Regierungschef vor, das Desaster verschleiern zu wollen. Und der Abgeordnete Sebastian Körber von der FDP will als Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Landtag erreichen, dass dort alles auf den Tisch kommt. Die SPD fordert derweil, dass alles getan wird, um den Bau der zweiten Stammstrecke zu beschleunigen. Dabei dürfe man sich nicht auf die Deutsche Bahn verlassen. Unabhängige Fachleute sollten "kritisch überprüfen, wie es gelingen kann, den Bau der zweiten Stammstrecke massiv zu beschleunigen. Es wäre erstaunlich, wenn sich die Planungen der Bahn nicht beschleunigen ließen", sagt Brunn. Und es müssten "Übergangslösungen" geprüft werden, mit denen der Nahverkehr im Großraum München zwischenzeitlich deutlich verbessert werden könne.

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