Der Museumsdirektor sitzt in einem Zimmer der ehemaligen Hausmeisterwohnung mit Blick auf den Innenhof. Wo einst das Badezimmer war, stapeln sich Kartons, lagert Büromaterial, steht der Drucker. Die Mitarbeiter sind auf alle Stockwerke verteilt, ebenso die Ausstellungsräume. Etliche Tage, bevor es im Interimsquartier der Villa Stuck an der Goethestraße losgehen soll, sind überall noch Handwerker zugange, wird gesägt, gehämmert, gebohrt und geschraubt. Es geht zu wie im Taubenschlag, über den ein Mitarbeiter des Aufsichtspersonals, das ebenfalls mit umgezogen ist, stoisch wacht. Und der Direktor?
Michael Buhrs macht keinen unglücklichen Eindruck. "Es war zwar ein echter Husarenritt, denn wir hatten nur drei Monate für die Planung, die baulichen Veränderungen und die Recherche der Projekte, mit denen wir VS mit Leben füllen wollen. Aber ich bin froh, dass wir so schnell ein Ausweichquartier gefunden haben, in dem Ausstellungen, Kunstvermittlung und Personal gemeinsam untergekommen sind", betont der Direktor der Villa Stuck, die kürzlich für eine Sanierung geschlossen hat. Kennt man andere Sanierungsfälle in München wie etwa die Neue Pinakothek oder das Stadtmuseum, wo Personal und Ausstellungsmöglichkeiten - wenn überhaupt vorhanden - auf verschiedene Gebäude und teils auf verschiedene Stadtviertel verteilt sind, versteht man Buhrs' Erleichterung umso mehr.
Allerdings sind das echte Großbaustellen, während die Villa Stuck im Vergleich nur für ein Intermezzo ausziehen muss. Von eineinhalb Jahren Sanierungszeit war bisher die Rede. Der Mietvertrag für die Goethestraße 54 läuft ein Jahr bis 30. April 2025. Und Michael Buhrs ist zuversichtlich, dass man es in dieser Zeit schafft - "vielleicht sogar noch schnell", meint er.
Dass VS nun dieses Haus mit je 450 Quadratmetern auf drei Etagen und einem 80 Quadratmeter großen Rückgebäude als Interimsquartier nutzen kann, hat auch mit dem Schriftführer im Förderverein der Villa Stuck, dem Immobilienentwickler James Legat zu tun. "Die Stadt hatte nichts frei. Aber James sagte, sie hätten eine neue Immobilie, in der aktuell noch nichts passiert. Und der Mietpreis liegt unter dem üblichen Durchschnitt. Also haben wir zugegriffen." Und erst mal den Rahmen der Eingangstür in leuchtendem orange gestrichen, um auf sich aufmerksam zu machen. "RAL 2005 - die Farbnummer kennt inzwischen jeder hier im Haus", schmunzelt Buhrs.
Die Investitionen in das Interimsprojekt VS betrugen laut Buhrs 150 000 Euro. Das Geld wurde in wenige bauliche Veränderungen, vor allem aber in Brandschutz, Elektrik und Technik investiert. Für die Kürze der Zeit kostengünstig ans städtische Wlan angeschlossen zu werden, scheint eine Herausforderung gewesen zu sein, wenn man Buhrs' Worte richtig deutet. "Wir haben aber eine Lösung gefunden", jubelt er. Für Besucherinnen und Besucher wird es zudem ein freies Wlan geben. Außerdem habe man "viel Überzeugungsarbeit" geleistet, um freien Eintritt zu den Ausstellungen und Veranstaltungen zu ermöglichen.
Dass man nun nicht länger an der - zumindest stadteinwärts gesehen - herrschaftlichen Prinzregentenstraße residiert, sondern zwischen Bahnhofsviertel und Klinikviertel, Wiesn und Nußbaumpark sitzt, ficht Buhrs nicht an. Im Gegenteil. Er und sein Team begreifen es als Chance. Die Sammlung zu zeigen, wäre schon aus klima- und sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich gewesen. Also haben sie ein ganz anderes Programm entwickelt. Ein "Community Manager" ist im Viertel unterwegs, um Kontakte zu knüpfen und VS bekannt zu machen. Gemeinsame Projekte sollen folgen. Auf jedem Stockwerk steht der zentrale Raum als Aufenthalts- und Begegnungsstätte offen. Im Erdgeschoss befinden sich ein Film-, ein Lese- sowie ein Vermittlungsraum.
Schon die ersten Projekte beschäftigen sich mit den "Kongenialen Nachbarn", so der Titel einer der Ausstellungen: Im Zentrum stehen die Neue Anatomie, die der bekannte Architekt Max Littmann Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut hat, und die heute Teil der LMU ist, sowie das ehemalige Kunsthaus Brakl von Emanuel von Seidl, das heute als Medizinische Lesehalle genutzt wird. Auch um die Geschichte des Hauses Goethestraße 54 selbst soll es gehen. In der Ausstellung "Was bisher geschah" wird die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in der NS-Zeit bei den Geha-Werken thematisiert, die damals hier ihre Büros unterhielten. Zwangsenteignete jüdische Mitbürger wurden im Erdgeschoss, wo sich die Pension Patria befand, auf dem Weg zur Deportation untergebracht. In den Achtzigerjahren war im Rückgebäude der Verein Rinascita ansässig, der sich um italienische Arbeitsmigranten kümmerte, aber auch ein politisches und kulturelles Programm anbot.
Und schließlich wird es auch noch eine "Library of Artistic Print on Demand" geben, bei der im Wechsel drei Bibliotheken zu Gast sein werden. Alle diese Ausstellungen beginnen mit dem Eröffnungswochenende, das am Freitag, 3. Mai, um 16 Uhr startet und am 4. und 5. Mai jeweils von 12 bis 24 Uhr fortgesetzt wird.
Die Villa-Stuck-Sammlung ist derweil übrigens teilweise auf Reisen gegangen, um für das Museum zu werben. Zwölf Prunkstücke, darunter die "Sünde", der "Wächter des Paradieses" und das "Künstlerfest" wurden nach Sofia an die Nationalgalerie ausgeliehen. Dort sind sie bis Oktober zusammen mit dem "Luzifer" aus dem dortigen Bestand, der als wertvollstes Gemälde Bulgariens gilt, in der Ausstellung "Franz von Stuck between Light and Darkness" zu sehen. An weiteren Stationen wird gearbeitet. Spätestens, wenn's von der Goethe- wieder in die Prinzregentenstraße geht und aus VS wieder Villa Stuck wird, sollen sie aber zurück sein.