SZ Kultursalon zum Bergson Kunstkraftwerk:Kulturwunder in tristen Zeiten

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Beim SZ Kultursalon im Kunstkraftwerk Bergson sprach Susanne Hermanski, Leiterin der Kulturredaktion München und Bayern, mit Roman Sladek und Maximilian Maier (v. li.). Im Publikum saß unter anderem CSU-Politiker Kurt Faltlhauser (re.). (Foto: Stephan Rumpf)

Die künstlerischen Leiter des neu eröffneten Bergson in Aubing stellen ihre Pläne vor. Dabei geht es um heimische Fledermäuse, die Geschichte des Gebäudes - und den neuen Konzertsaal.

Von Josef Grübl

Ganz ohne Zwischennutzung geht es auch im Bergson nicht, so ist das nun mal in München. Hier wird jede leer stehende Räumlichkeit sofort anderweitig genutzt, als Pop-up-Club, Yoga-Quartier oder provisorische Dirndl-Boutique. Dem erst vor wenigen Tagen eröffneten Bergson Kunstkraftwerk im Westen der Stadt bleibt derlei zum Glück erspart, Zwischennutzer gibt es trotzdem: Unterm Dach lebt ein Turmfalkenpärchen, durch den feuchtwarmen Keller flattern Mopsfledermäuse - allerdings nur im Winter, im Sommer zieht es die Tiere hinaus in die umliegenden Wälder. "Lebewesen, die vor uns da waren, dürfen bleiben", sagt Roman Sladek am Donnerstagabend beim Kultursalon der Süddeutschen Zeitung, für die stark gefährdeten Zwischennutzer im Keller habe man sogar eigens ein Habitat gebaut.

Der ausgebildete Posaunist Sladek ist Gründer der Jazzrausch Bigband und künstlerischer Leiter im Bergson. Oder wie er selbst sagt: "Ich bin der Hofnarr." Altmodisch könnte man auch "Intendant" sagen, fügt er hinzu. Es ist ein ebenso lockeres wie launiges Gespräch, das die Leiterin der SZ-Kulturredaktion München und Bayern, Susanne Hermanski, am Donnerstagabend auf der Empore dieser 25 Meter hohen Kulturkathedrale moderiert. Draußen geht die Sonne unter und durchflutet die ehemalige Kesselhalle noch einmal mit Licht, drinnen sind alle Plätze belegt: Die Neugier auf dieses "Wunder in ziemlich tristen Zeiten" (wie es die Moderatorin nennt) ist eben ziemlich groß.

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Das sieht man auch im Atrium, das sich im Laufe des Abends immer weiter füllt. Oben neben Roman Sladek sitzt Maximilian Maier, er ist Programmkurator im Bergson, offiziell trägt er den Titel "Director of Programming and Public Relations". Inoffiziell bezeichnet er sich als "Dramaturg". Aber es gehe hier nicht so sehr um Dienstbezeichnungen und Hierarchien, sie seien als Gespann angetreten, versichert Maier. "Das ist eine siamesisch verwachsene Liebe zwischen uns beiden."

Optisch könnten die beiden Mittdreißiger kaum unterschiedlicher sein, aber das ist bei vielen Künstler-Kuratoren-Lieben so, egal ob siamesisch oder nicht. Der Grund, warum diese Männer so entspannt auftreten (in feinen Lederschuhen beziehungsweise klobigen Ugly Sneakers), warum sie Witze machen und einander auf den Arm nehmen können, hat auch etwas mit Organisationsformen zu tun: Das Bergson ist rein privatwirtschaftlich finanziert, die künstlerischen Leiter müssen sich also weder vor Ausschüssen noch vor Gremien oder öffentlichen Bedenkenträgern rechtfertigen. Ihre Chefs sind die Unternehmerbrüder Michael und Christian Amberger, denen die Tankstellenkette Allguth gehört - und seit 2005 auch das ehemalige Aubinger Heizkraftwerk, das sie in jahrelanger Renovierungsarbeit in einen modernen Kunst-, Kultur- und Kulinariktempel verwandelt haben.

Die Gäste bestaunen die Architektur mit den gewaltig hohen Decken, so wie Schauspieler Götz Otto und seine Frau Sabine. (Foto: Stephan Rumpf)

Um die Geschichte dieses Bauwerks geht es an diesem Abend natürlich auch, sie reicht zurück bis in die Zwanzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts. In jener Zeit entwarf ein unbekannter Architekt die Pläne für ein Heizkraftwerk - wo es gebaut werden sollte, stand damals noch nicht fest. Ende der Dreißiger kam Bewegung in das Bauvorhaben, als die Nationalsozialisten den Münchner Hauptbahnhof in den Westen verlagern wollten und dafür ein Gebäude für die Energieversorgung benötigten. 1940 begannen die Bauarbeiten, zwei Jahre später endeten sie kriegsbedingt. Fertig wurde dieses Projekt also nie, es hätte ursprünglich noch viel größer werden sollen.

Die Deutsche Bahn nutzte es ab 1955 als Heizwerk, in den Achtzigerjahren wurde es stillgelegt. Der Bau verfiel, es fanden Techno-Partys, Underground-Shootings und andere nicht ganz legale Veranstaltungen statt. Als sie die neuen Besitzer kauften, war die riesige Halle wohl in einem erbärmlichen Zustand. Ein Münchner Berghain wollten sie aber keines daraus machen, trotz der Namensähnlichkeit mit dem berühmten Berliner Techno-Club (der ebenfalls in einem stillgelegten Heizwerk residiert). Das Bergson in Aubing hat seinen Namen von der nahe gelegenen Bergsonstraße, die sich wiederum auf den französischen Philosophen und Nobelpreisträger Henri-Louis Bergson bezieht.

Als sie die neuen Besitzer kauften, war die riesige Halle wohl in einem erbärmlichen Zustand. Jetzt ist sie ein beeindruckender Kulturort. (Foto: Stephan Rumpf)

"Über uns sind die Kohlesilos", erklärt Sladek während des Bühnengesprächs. Daraufhin wandern Dutzende Augenpaare in die Höhe, um die monumentalen Trichter zu bewundern. Verweise auf die ursprüngliche Nutzung der Halle gibt es einige, Sladek und Maier wollen sie spielerisch integrieren. In die Silos soll von Mai an eine Galerie einziehen, im Atrium fand bereits vor Tagen mit Sergej Prokofjews "Peter und der Wolf" das erste Konzert des Bayerischen Staatsorchesters statt. Es gibt eine Bar und ein Restaurant, das ebenfalls schon Gäste empfängt.

Ansonsten sei noch einiges im Entstehen, erklärt Maier im Gespräch: Im Juni wird der Neubau nebenan eröffnet, dann können im Bergson auch Privat- oder Firmenveranstaltungen stattfinden, es wird eine große Galeriefläche und einen Biergarten geben. Auch ein eigener Ort für Konzerte oder Lesungen ist im Entstehen, benannt ist er nach den Zwischennutzern im Keller: Die Mopsfledermaus alias Barbastella barbastellus ist Namenspate für den Live-Club "Barbastelle" im Keller des Bergson.

Die Bergson-Pläne dürften für Gesprächsstoff sorgen

Und dann wäre da noch der Konzertsaal mit 476 Sitzplätzen, dessen Eröffnung für Oktober angesetzt ist. Ein neuer Konzertsaal? In München? Da hören die Gäste (unter ihnen der ehemalige bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser, die Kunstmanagerin und Moderatorin Judith Milberg, der Filmproduzent Philipp Kreuzer oder der Schauspieler Götz Otto) natürlich genauer hin. Das ist ja nicht erst seit der "Denkpause" um das Konzerthaus im Werksviertel, der Generalsanierung des Gasteigs und der renovierungsbedürftigen Staatsoper ein Politikum.

Die Bergson-Pläne dürften für Gesprächsstoff sorgen, sie verleiten Sladek auch zur wohl provokanteste Aussage des Abends: "Ich als professioneller Musiker höre da keinen Unterschied." Gemeint ist das neuartige Raum- und Akustikkonzept des Konzertsaals: Es gebe ja nur noch sehr wenige Menschen, die ausschließlich klassische Musik hören würden, sagt er, also richte man den Saal dank einer elektronisch verstärkten Akustik für verschiedenartigste Musikarten aus. Unter anderem auch für seine Jazzrausch Bigband, die viel unterwegs ist, die ebenso in der Hamburger Elbphilharmonie auftritt wie im Staatstheater Nürnberg oder auf Schloss Elmau - und die als "Orchestra in Residence" die Hausband des Bergson ist.

Nach der Diskussion fanden sich die Gäste zum ungezwungenen Gespräch, wie etwa Prinz Wilhelm Ernst von Sachsen Weimar (li.) und Bergson-Architekt Markus Stenger. (Foto: Stephan Rumpf)
Ebenso im Gespräch: Thomas Greinwald und Angelika Nollert, Leiterin der Neuen Sammlung in München. (Foto: Stephan Rumpf)

"Das ist wie ein perfektes Tonstudio, nur in einem Saal", fährt Sladek fort, der Schall werde anders absorbiert, man könne die Raumakustik sogar von Stück zu Stück verändern, einfach per Knopfdruck. Ob er bei Klassik-Puristen damit punkten kann, wird sich zeigen - ob diese vielleicht doch einen Unterschied heraushören wollen, ebenfalls. Zur Eröffnung im Herbst ist eine eigene Produktion geplant, die die akustischen Besonderheiten des Raums erlebbar machen soll.

Die Erwartungen, nicht nur bei den Gästen des SZ-Kultursalons, sind also hoch, eine Sache liegt Maximilian Maier aber noch auf dem Herzen: "Auf die Konzertsaal-Diskussion wollen wir uns nicht einlassen." Man werde beweisen, dass das Angebot im neuen Konzertsaal auf Nachfrage trifft. Im Einzelgespräch wird er später am Abend auch noch von der geplanten Bergson Akademie erzählen, mit der man den öffentlichen Dialog über aktuelle Themen fördern wolle. So soll es ab Juni eine Vortragsreihe über den Nahen Osten geben, mit Experten wie dem Historiker und Publizisten Michael Wolffsohn, der Journalistin Natalie Amiri oder dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann.

Bei so vielen hochtrabenden Plänen und angesichts der hochwertig renovierten Räumlichkeiten stellt sich noch die Frage nach dem Investitionsvolumen. Diese beantwortet Maier auf der Bühne erdenklich knapp: "Nein, ich weiß es nicht." Sein Kompagnon Sladek deutet an, dass er vielleicht etwas mehr wisse, dies aber nicht öffentlich sagen dürfe. Das ist eben auch der Vorteil dieses privatwirtschaftlich betriebenen Kulturtempels, dieses Wunders in tristen Zeiten. Hier legt ein gar nicht mal so kleines Team aus hauptsächlich jungen Leuten los, um etwas Neues zu schaffen. Natürlich sei das eine große Herausforderung, gibt Maier zu, auch wirtschaftlich, man werde Geduld haben müssen und Ausdauer. Diese wünscht man den Betreibern auch, es ist ein Investment, das sich wohl erst langfristig auszahlen dürfte.

Auf dem Rückweg zur nahegelegenen S-Bahn-Station Langwied spaziert man an grauen Brücken und Betonmauern vorbei, auf einer davon steht: "Alles Gute, du Sau". Passt zwar nicht ganz zu den tierischen Bewohnern dieses Kunstkraftwerks, einstimmen in diese Gratulation will man aber trotzdem.

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