Diskriminierung:Wenn Schüler im Klassenchat Hass verbreiten

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Im Klassenzimmer, auf dem Schulhof und im Klassenchat: 109 diskriminierende und menschenfeindliche Vorfälle an den Münchner Schulen registrierte die Fachstelle für Demokratie im vergangenen Jahr. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Besonders im vergangenen Herbst gab es viele Fälle von Israelfeindlichkeit und offenem Judenhass. Schulleiter meldeten aber auch rassistische Vorfälle, rechte Hetze und LGBTIQ-feindliche Äußerungen. Schülerinnen und Schüler sind sowohl Opfer als auch Täter.

Von Joachim Mölter

An Münchner Schulen ist nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf den Staat Israel im vorigen Oktober und dem Beginn des Krieges im Gazastreifen sowohl die Zahl als auch die Schärfe von antisemitischen Vorfällen gestiegen. Das geht aus dem zweiten Monitoring-Bericht der Fachstelle für Demokratie hervor. Die registrierten Vorfälle "geben uns die Möglichkeit, den Einzelfall rigoros zu verfolgen und immer wieder entschieden für eine tolerante Gesellschaft einzutreten", sagte Stadtschulrat Florian Kraus. Zum Thema "Antisemitismus im Bildungsbereich" ist für kommenden Freitag ein Stadtrats-Hearing anberaumt.

Allein im vierten Quartal des Vorjahres verzeichnete die Anlaufstelle für Diskriminierung und rechten Hass an Münchner Schulen 14 von insgesamt 18 Fällen von Antisemitismus im Jahr 2023. Das entspricht einer Verdreifachung, verglichen mit der vorherigen Bilanz. Die Anlaufstelle war 2022 bei der Fachstelle für Demokratie eingerichtet worden. Bezogen sich die Fälle im Oktober zunächst noch speziell auf Israel, wurde daraus in den folgenden Monaten "in erschreckender Deutlichkeit ein offener Judenhass", heißt es im Bericht.

Der Bericht listet insgesamt 109 Meldungen von diskriminierenden und menschenfeindlichen Vorfällen aller Art an Münchner Schulen auf, fast exakt doppelt so viele wie im ersten Bericht (55). Miriam Heigl, die Leiterin der Fachstelle für Demokratie, führt das auf eine höhere Meldebereitschaft sowie eine größere Bekanntheit der Anlaufstelle zurück, nicht auf eine tatsächliche Zunahme von Fällen: "Wir gehen davon aus, dass es weiterhin ein großes Dunkelfeld gibt, das wieder etwas mehr aufgehellt worden ist."

Nachdem die Anlaufstelle Anfang 2o22 ihre Arbeit aufgenommen hatte, legte sie im vorigen Sommer ihren ersten Bericht vor. Der Überblick über das Kalenderjahr 2023 bestätigt die damaligen Erkenntnisse nun weitgehend. Abgesehen von der Zunahme des Antisemitismus gab es im Hinblick auf LGBTIQ-feindliche Sachverhalte eine bemerkenswerte Entwicklung. Deren Zahl ist zwar annähernd gleich geblieben, aber inhaltlich hat sich der Fokus verschoben von individuellen Angriffen hin zu einer generellen Stilisierung der queeren Bewegung zum Feindbild. Offenbar verfängt die seit Jahren betriebene Kampagne aus dem rechtsextremen Lager allmählich in der Mitte der Gesellschaft.

Beispielhaft nannten Heigl und ihr Team dabei die Drag-Lesung für Kinder im Juni 2023 in einer Münchner Stadtbibliothek, gegen die Politiker von konservativen und vor allem rechten Parteien Stellung bezogen hatten. "Interessant ist", heißt es im Bericht, "dass die Anlaufstelle genau in diesem Zeitraum einen Anstieg von LGBTIQ-feindlichen Sachverhalten an den Münchner Schulen verzeichnete".

Zu Schuljahresbeginn werden die meisten Fälle gemeldet

Wie schon im ersten Bericht spielt Rassismus die größte Rolle bei den gemeldeten Vorfällen: 63 Mal wurden entsprechende Vorwürfe erhoben, 39 Mal ging es um rechte Hetze. Manche Meldungen berührten auch mehrere Aspekte: So wurde auf einen Schüler hingewiesen, der in einem Klassenchat das N-Wort für schwarze Menschen benutzt und zudem Fotos von sich mit Hitlergruß sowie eine transfeindliche Nachricht verschickt hatte. Sein Verhalten wurde in drei Kategorien erfasst - rassistisch, rechtsextrem und LGBTIQ-feindlich. Nicht alle Meldungen waren indes strafrechtlich relevant, nur etwa ein Drittel wurde so eingestuft.

In zwei Dritteln der Fälle waren Schülerinnen oder Schüler Opfer der Diskriminierungen, oft waren sie auch Täter (58 Prozent). Gemeldet wurden die Taten meistens von Schul-Personal (63 Prozent) - was nicht wundert, weil Leiter und Leiterinnen von städtischen Schulen eine Meldepflicht haben. "Die wirkt", wie Heigl anhand der Aufschlüsselung nach Schularten erklärt. Die meisten Meldungen kamen aus Berufsschulen (27 Prozent), die alle unter städtischer Aufsicht stehen. Danach folgten Gymnasien (25 Prozent) und Realschulen (19 Prozent), die teils auch staatlich oder privat geführt werden.

Auffallend bleibt die geringe Zahl von Schülern und Schülerinnen, die Hinweise geben - insgesamt waren es nur acht. "Da besteht offensichtlich die Angst, dass sie negative Konsequenzen erfahren nach einer Meldung", glaubt Heigl, die da "definitiv einen Arbeitsauftrag" sieht: die Jugendlichen stärker auf die anonymen Meldemöglichkeiten hinzuweisen und das möglichst direkt, nicht nur über schulische Einrichtungen. Die sollen im Spätsommer erneut sensibilisiert werden. Denn auch das hat das zweite Monitoring bestätigt: Zu Schuljahresbeginn werden die meisten Fälle gemeldet - wenn Klassen neu zusammengesetzt werden und neue Gruppendynamiken einsetzen. 2023 ging fast die Hälfte der Meldungen (51) in den drei Monaten nach den Sommerferien ein.

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