Barrierefreier Eingang:Das Recht und die Rampe

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Ob die Rampe, die Ernst Weißgerber braucht, bleiben darf, ist ungewiss. (Foto: Florian Peljak)

Ernst Weißgerber sitzt im Rollstuhl und streitet seit Jahren um den Zugang zu seiner Wohnung. Vor Gericht hat er mehrfach verloren, aber aufgeben will er nicht.

Von Linus Freymark

Ist es jetzt vorbei? Nein, sagt Ernst Weißgerber, vorbei ist es nicht. Auch wenn er wieder einmal verloren hat, zum dritten Mal mittlerweile. Aber aufgeben will Weißgerber deshalb noch lange nicht. "Wir werden sehen, was passiert", sagt er. "Aber ich werde alles dafür tun, dass ich meine Rampe behalten darf."

Die Geschichte von Ernst Weißgerber, 65 Jahre alt, wegen der Folgen einer Kinderlähmung Rollstuhlfahrer, und der Rampe vor seinem Haus - 18 Meter lang, sechs Prozent Steigung, damit er sie aus eigener Kraft mit seinem Rollstuhl emporfahren kann - beginnt im März 2015. Als seine Einschränkungen stärker wurden und er auf den Rollstuhl umsteigen musste, benötigte er eine Hilfe, um die paar Stufen in die Erdgeschosswohnung in Großhadern zu überwinden, in der er seit 45 Jahren wohnt. Lange hat er dafür einen Zuglift benutzt, an dem er sich und den Rollstuhl die Treppen emporziehen konnte. Doch dann ging das nicht mehr, die Kraft in den Armen reichte nicht mehr aus. Weißgerber ließ sich deshalb von der Eigentümergemeinschaft (EG) seiner Wohnanlage den Bau einer Rampe genehmigen, über die er von außen in seine Wohnung gelangen kann.

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Eineinhalb Jahre dauert der Genehmigungsprozess, eineinhalb Jahre habe er seine Wohnung deshalb überhaupt nicht verlassen, sagt Weißgerber, es sei einfach nicht gegangen. Dann, im März 2015, genehmigt ihm die EG mehrheitlich den Bau seiner Rollstuhlrampe. Weißgerber gibt umgehend die Bauarbeiten in Auftrag. Wer nicht mehr aus der Wohnung kommt, will keine Zeit verlieren. Auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass nicht jeder der anderen Eigentümer mit dem Beschluss der Gemeinschaft einverstanden ist. Die Kosten für den Bau der Rampe, knapp 50.000 Euro, übernimmt Weißgerber.

Zudem erklärt er sich bereit, auch die Instandhaltungskosten aus eigener Tasche zu bezahlen.

Dennoch - oder besser: deswegen - geht keine zwei Wochen nach dem Beschluss der EG eine Klage beim Amtsgericht ein. Darin fordert ein Nachbar, die "massive" Rampe, deren Podest er "bei seitlichem Blick aus seiner Wohnung" sehe, müsse weg. Denn Weißgerber, so die Begründung des Klägers, sei nicht berechtigt, die Kosten für die Instandhaltung, Instandsetzung und späterer Montage alleine zu tragen. Vielmehr müssten diese laut Wohnungseigentumsgesetz (WEG) anteilig auf alle Eigentümer verteilt werden. Der Beschluss, mit dem die EG Weißgerber seine Rampe genehmigt hat, sei deshalb nichtig. "Ich hätte nie gedacht, mit welchen Argumenten man da kommt", sagt Weißgerber. Das Gericht gibt dem Kläger recht, abbauen muss Weißgerber seine Rampe zunächst aber nicht.

Im November 2016 hat sich Weißgerber die Rampe ein zweites Mal genehmigen lassen, wieder kommt kurz darauf die Klage. Die "monströse Rollstuhlrampe des Beklagten" sei "optisch-ästhetisch und architektonisch äußerst störend", heißt es darin, wieder wird als Klagegrund die unkorrekte Kostenverteilung angegeben. Zudem argumentiert der Kläger, die Rampe werde vornehmlich nicht von Weißgerber genutzt, sondern von Lieferanten. Weißgerber fragt sich, welche Lieferanten das sein sollen. "Der einzige, der die Rampe benutzt und braucht, bin ich." Zu guter Letzt, so der Nachbar in seiner Klage, gebe es andere Möglichkeiten eines barrierefreien Zugangs zu Weißgerbers Wohnung, etwa einen Hublift, für den eine wesentlich kürzere Rampe notwendig wäre. Weißgerber sagt, alle anderen Lösungen hätten für ihn mehr Nachteile als die Rampe, er habe dies auch mehrfach vor den anderen Eigentümern ausgeführt und begründet. Der Kläger dagegen ist für ein Gespräch nicht zu erreichen.

Die Gräben zwischen den beiden Parteien sind zu tief

Wieder wird der Beschluss der EG für nichtig erklärt. Wieder lässt sich Weißgerber seine Rampe einige Zeit später erneut genehmigen, und wieder gibt es kurz darauf die nächste Klage, diesmal von einem anderen Nachbarn. So geht das nun seit mehr als fünf Jahren, Beschluss, Klage, Beschluss, Klage.

Was ist im Zweifel wichtiger: die Mobilität eines behinderten Menschen oder der Erhalt der Fassade des Mehrfamilienhauses? Weißgerber hat einen Anspruch auf einen barrierefreien Zugang zu seiner Wohnung - die Eigentümergemeinschaft dagegen ein Mitspracherecht bei dessen Ausgestaltung. Und weil die Interessen beider Seiten nicht zu vereinbaren und die Gräben zwischen den Parteien zu tief sind, muss die Frage, wer recht bekommt, das Amtsgericht klären.

Die dritte Beschluss-Klage-Runde hat im vergangenen Sommer stattgefunden, das Urteil fiel im Oktober. Wieder verliert Weißgerber, diesmal jedoch ist die Ausgangslage eine andere: Wegen Corona finden laut Weißgerber derzeit keine Eigentümerversammlungen statt. Sich die Rampe ein weiteres Mal genehmigen zu lassen, geht derzeit also nicht. Und noch etwas hat sich geändert: Zum 1. Dezember ist die Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes in Kraft getreten, Weißgerber und sein Anwalt Lars Winkler von der Kanzlei Viechtl erhoffen sich davon Auswirkungen auf das weitere Verfahren. Denn die Kostenverteilung, bislang maßgeblich entscheidend für Weißgerbers Niederlagen vor Gericht, kann nun von der EG individuell geregelt werden.

Das bedeutet: Stimmt bei der nächsten Versammlung eine Mehrheit der Eigentümer dafür, dass die getroffene Regelung, nach der Weißgerber die Kosten für Instandhaltung, Instandsetzung und die Montage alleine trägt, Bestand hat, könnte dies nicht mehr dafür ausschlaggebend sein, die Genehmigung für Weißgerbers Rampe anzufechten. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in der neuen Fassung des WEG die Rechte von Menschen mit Behinderung gestärkt hat. Und noch etwas macht Weißgerber und seinem Anwalt Hoffnung: Konnten bislang einzelne Mitglieder einer Eigentümergemeinschaft gegen bauliche Veränderungen vor Gericht Einspruch erheben, kann dies nun nur noch die Gemeinschaft als Ganzes. Und weil die Mehrheit der Eigentümer nach Weißgerbers Einschätzung hinter ihm steht, dürfte es für die Gegenseite schwieriger werden, erneut vor Gericht zu ziehen.

Weißgerber hat gegen das jüngste Urteil Berufung eingelegt. Wann der Rechtsstreit um seine Rampe geklärt sein wird, und ob er sie behalten darf oder nicht, weiß er nicht. Nur in einem ist sich Ernst Weißgerber sicher: "Vorbei ist es nicht."

© SZ vom 23.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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