Jedes Mal, wenn er in seine Wohnung will, ist es für Sigi Rothemund, "als würde ich den Himalaja besteigen, eine Tortur". Der Filmregisseur, der unter anderem die Fernsehserie "Timm Thaler", den Film "Piratensender Powerplay" mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk und 24 Donna-Leon-Verfilmungen gedreht hat, wohnt seit 30 Jahren in einer Wohnung im vierten Stock eines denkmalgeschützten Hauses an der Grillparzerstraße 53, direkt neben der Polizeiwache am Prinzregentenplatz.
Doch Rothemund, 76, leidet an Skoliose, einer Verschiebung der Wirbelsäule, "siebenmal wurde ich in den vergangenen drei Jahren am Rücken operiert", erzählt er. In seine Wohnung kommt er nur über 99 Treppenstufen, einen Aufzug gibt es nicht. Es darf ihn nicht geben, zumindest nicht so, wie ihn die Bewohner des Hauses wollen. Seit Jahren liegen sie darüber mit dem Denkmalschutz im Streit. Es ist eine Geschichte, die auch davon handelt, wie sich der Erhalt von Baukultur und altersgerechtes Wohnen entgegenstehen können.
Sigi Rothemund und seine fünf Miteigentümerinnen und Miteigentümer, die allesamt selbst in dem 1908 erbauten Jugendstilhaus wohnen und von denen die meisten älter als 70 sind, planen schon seit bald zehn Jahren den Einbau eines Aufzugs. Sie wollen ihn im Inneren, dem "Auge", des Treppenhauses einbauen, 200 000 Euro haben sie dafür eingeplant. Es sind allerdings erhebliche Eingriffe nötig, um Platz für den Aufzug zu schaffen, unter anderem müssten die Stufen auf einer Seite des Treppenhauses von 1,38 Meter auf 1,03 Meter verschmälert werden, das kunstvoll geschreinerte Geländer müsste teilweise versetzt und ergänzt werden.
"Wir würden das natürlich originalgetreu machen", sagt Günter Ippendorf, 75, der die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vertritt. Aber es wären zu viel der Eingriffe in das "besondere und vollkommen originale Treppenauge", befindet der Denkmalschutz. Das Treppenhaus sei von ganz entscheidender Bedeutung für das Denkmal, sein Erhalt sei von öffentlichem Interesse.
Ein Sprecher des Planungsreferats der Stadt München, bei dem die zuständige Untere Denkmalschutzbehörde angesiedelt ist, beruft sich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts von 2016, das die Ablehnung des Aufzugs im Treppenhaus bestätigte. Er verweist zudem darauf, dass ein Außenaufzug genehmigungsfähig sein könne.
Das aber findet Ippendorf widersinnig. Um den Zugang zu einem Außenaufzug zu schaffen, müssten die Wände des Treppenhauses teilweise aufgebrochen sowie historische Fenster und grüne Wandfliesen teilweise zerstört werden. Das sei ebenfalls ein erheblicher Eingriff in die historische Substanz des Treppenhauses, findet Ippendorf. Zudem würden Räume in den Wohnungen erheblich verdunkelt. Dennoch sei diese Lösung die "geringere Beeinträchtigung", findet der Denkmalschutz.
Ippendorf verweist auch darauf, dass Ein- und Ausstieg bei einem Außenaufzug nur im Zwischengeschoss möglich wären. Für Menschen, die keine Treppen mehr laufen können, müsste also zusätzlich ein Treppenlift eingebaut werden - was aus Sicht des Denkmalschutzes denkbar wäre. Aber warum wäre eine Kombination von Außenaufzug plus Treppenlift, hinter dem das historische Treppengeländer teilweise verschwinden würde, weniger schlimm als der Innenaufzug? Darauf antwortet der Sprecher des Denkmalschutzes auf zweimalige Anfrage nicht.
"Vor der Kommunalwahl war wieder überall zu lesen, dass die Politik sich für das Thema ,Alt werden in München' einsetzen will", sagt Günter Ippendorf. "Für uns aber stellt sich die Frage, ob wir bald aus unseren Wohnungen ausziehen müssen, wenn wir nicht mehr hoch- und runterkommen." Wie steht es also um die Interessen von Hausbewohnern und die so oft eingeforderte Barrierefreiheit, wenn sie im Konflikt mit dem Denkmalschutz stehen? Es ist eine Abwägungsfrage, die die Denkmalschutzbehörde zu treffen hat. Die Behörde erklärt zu diesem Fall, die Belange der Eigentümer müssten "zurückstehen, auch wenn dies im Alter im schlimmsten Fall zu einer Aufgabe der Wohnung führen könne". Andernfalls würde "immer der Denkmalschutz ausgehebelt, was aber Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers widerspräche".
Günter Ippendorf will seinen Kampf nicht aufgeben. Kürzlich habe die Eigentümerversammlung beschlossen, neue Anträge für einen Aufzug einzureichen. Und Sigi Rothemund? Seine Wohnung in München könne er kaum nutzen, sagt er, es bleibe ihm nichts anderes übrig als zu "flüchten, zum Glück haben wir noch ein Häuschen in Spanien".