Film:"Das Leben ergibt keinen Sinn, das Sterben auch nicht"

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Unruhiger Geist: Klaus Lemke war oft unterwegs, wenn auch oft nur auf der Leopoldstraße. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Filmemacher Klaus Lemke ist tot. Begegnungen mit einem charmanten Einzelgänger, der nicht ins "subventionierte Massengrab" der deutschen Filmindustrie hinabsteigen wollte.

Von Sabine Buchwald, Josef Grübl, Susanne Hermanski und Barbara Hordych; , München

Klaus Lemke hat die tollsten Liebeserklärungen der Welt gemacht. Solche, die Menschen umwerfen, die sie nie vergessen, die sie für immer auf ihren Handys und in ihren Herzen eingeschrieben haben werden. Als wir ihn 2018 bei der SZ-Nacht der Autoren auf der großen Bühne im Künstlerhaus interviewten, kam so eine öffentlich, vor allen Leuten. Sie richtete sich diesmal nicht an eine tolle Frau, sondern an uns Journalisten. Meine Kollegin und ich, die wir moderierten, fielen fast von den Stühlen. Wer nicht glaubt, dass einer mit Worten so zaubern konnte, möge lesen, was mir Judith Jelena Paus zu Klaus' Tod geschrieben hat, die in dreien seiner Filme spielte: "Er hat an mich geglaubt wie kein anderer Mensch auf dieser Welt. Manchmal mehr als an sich selbst: ,Irgendwann werden sie eine Straße nach Dir benennen und dann kann ich mit Dir angeben', hat er mal zu mir gesagt." Jetzt lebt der Zauberer für immer.

Obwohl Klaus Lemke in den Siebzigern als "König von Schwabing" galt, drehte er 1978 "Amore" in Haidhausen. Der Grund für den No-Budget-Independent-Filmer: Peter Kienberger, der den verwitweten Film-Vater von Cleo Kretschmer spielte, besaß dort eine Kneipe. "Ist doch toll", dachte sich Lemke, "dann können wir dort drehen und auch immer kostenlos saufen". Das erzählte er bei einer von mehreren Begegnungen vor gut vier Jahren in seiner Stammkneipe in der Schwabinger Türkenstraße. Weil es in meinem geplanten SZ-Artikel um die Gegenüberstellung von Drehorten einst und jetzt gehen sollte, machten wir uns eines sonnigen Nachmittags in Haidhausen, vom Weißenburger Platz aus, auf die Suche nach dem Café, in dem in "Amore" Cleo Kretschmers Film-Freundin Bärbel arbeitete. Das Ganze war seinerzeit eher eine bayerische Boazn, denn dort standen nachmittags schon die Männer hinter ihrem Bier herum, einerlei, wann die "Konditorei" mit der orangefarbenen Markise ins Bild rückt, Kuchen isst dort niemand. In welchem Haus genau dieses Lokal war, daran konnte sich Klaus Lemke 40 Jahre und gefühlt ebenso viele Filme später nicht mehr genau erinnern. Also klapperten wir, nachdem wir die entsprechenden Einstellungen im Film mehrmals vor- und zurückgespult hatten, die in Frage kommenden Lokale in der Sedan-und Metzstraße ab. Fündig wurden wir im "Cafe Fortuna", wie das Lokal heute heißt. Die Besitzerin Christiane Jenewein wusste unterdessen genau, dass ihr Café einst Star in "Amore" war. Sie hatte den Film sogar schon zweimal abends dort gezeigt und dafür eigens wunderschöne Postkarten mit Filmbildern gedruckt.

Cleo Kretschmer und Klaus Lemke 1980 beim Deutschen Filmball. (Foto: Heinz Browers/Imago)

Klaus war sehr gerührt von so viel cineastischer Zuneigung. Hatte schon bei anderen Vorführungen ziemlich erstaunt festgestellt, wie sehr die Münchner genau diesen Film lieben. "Er hat seine Frische bis heute behalten und trifft sie mitten ins Herz", erklärte er sich das Phänomen. Vermutlich hatte es auch mit der Amore zwischen dem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin zu tun. Im Vorgängerfilm "Idole" hatte sich Kretschmer noch von einer Landpomeranze in ein Glamour-Girl verwandelt, "das war eigentlich auch ihre eigene Geschichte", sinnierte Klaus. In "Amore" läuft sie hingegen die meiste Zeit höchst uneitel in einem blauen Overall herum, gibt sich schnodderig und schlagkräftig, schließlich muss sie volle Obstkisten wuchten vom Großmarkt ins Auto und in den Laden. Aus weiblicher Sicht umso erfreulicher, dass sie am Ende trotzdem den umschwärmten Schönling Pietro (Pietro Giardini, "nach ihm waren damals wirklich alle Frauen in Schwabing verrückt", erinnerte sich Lemke, weshalb er ihn in genau dieser Funktion für seinen Film castete) für sich gewinnt. Ihm selbst sei es mit Cleo ziemlich ähnlich ergangen, räumte Klaus ein. "Vor Cleo war ich immer mit so Model-Mädchen zusammen. Weshalb sich meine Freunde schlapp lachten, als ich auf einmal mit so einer kleinen, pummeligen Schwarzhaarigen vom Land ankam." Aber er habe bei ihr sofort gewusst: "Cleo ist etwas Besonderes, aus ihr wird etwas".

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13 Quadratmeter Freiheit: Wenn Klaus Lemke nicht gerade filmte, war er "auf dem Holz". So nannte er die hölzerne Terrasse vor der Akademie der Bildenden Künste in der Maxvorstadt. Hier blinzelten die "Art Girls" schläfrig in die Sonne, hier entdeckte er auch seine Filmliebe zu München wieder: Nachdem er eine Zeit lang in der Hauptstadt gedreht hatte ("In Berlin endet alles in einer Katastrophe, man rettet sich aber immer in die nächste Katastrophe", behauptete er), kehrte er 2016 mit "Unterwäschelügen" zurück in sein angestammtes Revier. Den Film hatte er ein Jahr zuvor schon einmal in Berlin gedreht - und danach weggeworfen. Er sei nicht gut genug gewesen, fand er. Fertige Filme wegwerfen konnte wohl nur er, der mit wenig Geld auskam, der seine Stars auf der Straße entdeckte und nicht ins "subventionierte Massengrab" der deutschen Filmindustrie hinabsteigen wollte. "Ich brauch' kein Geld mehr, das ist vorbei", sagte er einmal. Es zähle nur noch der Rhythmus, mit dem man durchs Leben gehe. Und zu diesem Rhythmus zählten seine regelmäßigen Streifzüge durch Schwabing und die Maxvorstadt, vorbei an den Art Girls der Akademie. Dann sagte er: "Das Leben ergibt keinen Sinn, das Sterben auch nicht."

Reaktionen zum Tod von Klaus Lemke
:"Dieser unangepasste Cowboy fehlt. Er fehlt. Er fehlt."

Sterben war für Klaus Lemke keine Kategorie, denn Filmhelden leben für ihn weiter. Wegbegleiter erinnern sich an den "König von Schwabing", einen Mann, der radikal lebte und arbeitete.

Als vor einigen Monaten ein anderer unkonventioneller und ungeheuer kreativer Münchner Künstler und Filmemacher diese Welt verlassen hatte, fragte man Klaus Lemke, ob er ein paar Worte für ihn übrig hätte. "Achternbusch? Ein großer, ein guter", sagte Lemke damals spontan am Telefon. Sie hatten nie miteinander gearbeitet, waren sich aber vor Jahrzehnten immer wieder am Starnberger See begegnet und sicher auch in München. Wenige Minuten später schickte Lemke eine SMS unter anderem mit folgenden Worten: "Deutsche Filme - da gibt's keinen Hunger drauf. Und kein Sattwerden." Beides hatte auch er als Regisseur erfahren. Und er verneigte sich vor der Arbeit des anderen, nannte sie "bombe", eines seiner Lieblingswörter und schrieb am Ende: "Danke bro!" Das sagen wir jetzt ebenfalls zu Klaus Lemke.

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