Münchner Norden:"Die gymnasiale Versorgung ist dramatisch schlecht"

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Leer bleibt an den Münchner Gymnasien kein Klassenzimmer mehr - denn die Zahl der Kinder, die nach der Grundschule übertreten wollen, steigt stetig. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Weil immer mehr Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium gehen, wird der Platz knapp. Besonders in einem ohnehin schon sozial benachteiligten Viertel.

Von Kathrin Aldenhoff

Und wieder sind es mehr: Im kommenden Schuljahr werden 329 Münchner Kinder mehr als im Vorjahr eine fünfte Klasse an einem Gymnasium besuchen. Dieses Jahr haben sich an den 16 städtischen Gymnasien rund 1900 Schülerinnen und Schüler eingeschrieben, an den 27 staatlichen etwa 3900. Das entspricht einer Zunahme von rund sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Referat für Bildung und Sport mitteilt. Zurückzuführen sei das womöglich darauf, dass deutlich mehr Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse ein Übertrittszeugnis erhalten haben, das die Eignung für das Gymnasium ausweist.

"Wir haben mit einer Steigerung der Einschreibezahlen gerechnet, aber dass sie so stark ausfällt, haben wir nicht erwartet", sagt Gerhard Maier. Maier ist seit August vergangenen Jahres Ministerialbeauftragter für die Münchner Gymnasien. Vorher waren zwei Ministerialbeauftragte zuständig, einer für Ost, einer für West. Einer seiner Vorgänger hatte ihn gewarnt: Die Einschreibewoche ist eine ganz besondere. Und dass es jedes Jahr schwieriger werde.

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München wächst und der Trend zum Gymnasium hält an. All diese Kinder zu versorgen, das stellt Stadt und Freistaat vor eine Herausforderung. Die Übertrittsquote ans Gymnasium ist in München über die vergangenen Jahre hinweg angestiegen - sie liegt längst nicht mehr bei einem Drittel, wie das früher einmal der Fall war. Wo genau sie dieses Jahr liegt, wird an diesem Freitag feststehen.

Humanistische Gymnasien und Mädchenschulen haben noch freie Plätze

In diesem Jahr wurden 350 Kinder an ihrer Wunschschule abgewiesen - mehr als im vergangenen Jahr, sagt Maier. "Es gibt Gymnasien, die einen deutlichen Überhang verzeichnen. An der Mehrzahl gibt es aber noch freie Plätze", sagt Gerhard Maier. Freie Plätze gibt es an den humanistischen Gymnasien, die werden aber wohl nur sehr zurückhaltend in Anspruch genommen. Auch an den Mädchengymnasien gibt es noch freie Plätze.

Kann ein Kind an der gewünschten Schule nicht angenommen werden, telefonieren die Schulleiter mit den Eltern der abgewiesenen Kinder, weisen sie auf freie Plätze an anderen Gymnasien hin. Diese Platzverteilung läuft noch, der Probeunterricht endete am Donnerstag. Die Kinder, die bis Ende dieser Woche nicht untergekommen sind, erhalten kommende Woche eine Zuweisung des Ministerialbeauftragten für ein Gymnasium.

"Dramatisch schlecht" nennt ein Lokalpolitiker die Situation

Besonders schwierig ist die Situation im Münchner Norden, dort ist der Andrang besonders groß. "Die gymnasiale Versorgung im Münchner Norden ist dramatisch schlecht", sagt Klaus Mai, Fraktionssprecher der SPD im Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl. Der Bezirksausschuss beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema.

"Besonders die Kinder im Hasenbergl fallen bei der Verteilung der Plätze an den Gymnasien hinten runter, weil sie sowohl vom Feldmochinger Gymnasium als auch vom Gymnasium München-Nord zu weit weg wohnen", sagt Mai. Ausgerechnet also die Kinder, die in einem der sozial am meisten benachteiligten Viertel der Stadt leben. Mai sieht das als Versäumnis der Landesregierung: Diese habe die Einwohner im Münchner Norden jahrzehntelang ungleich behandelt.

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Mitunter müssten die Kinder aus dem Münchner Norden lange Fahrten oder einen umständlichen Weg zu einem Landkreis-Gymnasium in Kauf nehmen. Er kenne Fälle, sagt Mai, in denen Eltern ihre Kinder dann doch nicht aufs Gymnasium geschickt haben, weil der Weg zu weit war. "Wir wollen eine Chancengleichheit. Den Kindern, die eine Eignung fürs Gymnasium haben, müssen wir auch die Gelegenheit dazu geben. Das darf nicht von Wohnort- und Vermögensverhältnissen abhängig sein."

Werden viele neue Kinder aufgenommen, wird es für die enger, die schon da sind

Martin Netter leitet das Gymnasium in Feldmoching. Im Moment lernen die Schülerinnen und Schüler in einem Containerbau, auf dem Lerchenauer Feld soll demnächst der Neubau für das Gymnasium entstehen. Der Containerbau wurde dreizügig geplant - nun hat der Schulleiter aber schon im dritten Jahr in Folge jeweils fünf fünfte Klassen angenommen. Und trotzdem musste er dieses Jahr einige Schüler abweisen. Wen er aufnimmt, entscheidet er nach der Entfernung des Wohnortes von der Schule. Wer weiter weg wohnt, muss sich ein anderes Gymnasium suchen.

Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (4. v. li.) am Dienstag beim Spatenstich für das Karlsfelder Gymnasium im Landkreis Dachau, das Hunderte Münchner Schüler besuchen können - allerdings erst von Herbst 2025 an. (Foto: Toni Heigl)

Das Gymnasium, das im Moment in Karlsfeld im Landkreis Dachau gebaut wird, und an dessen Baukosten sich die Stadt München zu einem Drittel beteiligt, soll jeweils zwei Klassen mit Münchner Schüler besetzen - bei insgesamt fünf Klassen pro Jahrgang. Der Schulleiter des Gymnasiums Feldmoching glaubt nicht, dass das eine große Entlastung bringen wird. "Entlasten würde uns ein neues Gymnasium nördlich von uns", sagt Netter. "Oder ein schneller Neubau." Der ist sechszügig geplant. Wann sein künftiges Gymnasium fertig sein soll, dazu hat der Schulleiter noch keine Informationen erhalten. Und ob dann ein sechszügiges Gymnasium noch ausreicht, weiß er auch nicht.

Im kommenden Jahr könne er jedenfalls keine fünf Eingangsklassen mehr anbieten, sagt Netter. Denn er habe auch den Schülerinnen und Schülern gegenüber, die schon an der Schule sind, eine Verantwortung. Wenn er auf Dauer zu viele Fünftklässler aufnimmt, werde es mit den Fachräumen eng.

Das Problem wird es auch in den nächsten Jahren geben

Die Situation in Münchens Norden beschäftige ihn seit den ersten Wochen im Amt, sagt der Ministerialbeauftragte Gerhard Maier. Es habe viele Gespräche gegeben, Strategien wurden erörtert. Schulleiter sagten trotz Raumnot eine weitere fünfte Klasse zu, manche Kinder werden ein Gymnasium im Landkreis besuchen. So hätten sie in diesem Jahr deutlich weniger Kinder an den Gymnasien im Norden abweisen müssen, sagt Mai.

Aber die Plätze reichen eben nicht aus, und das wird auch in den kommenden Jahren so bleiben: Zwar entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne ein Gymnasium, München-Nord wird erweitert und das Gymnasium Feldmoching wird auf dem Lerchenauer Feld gebaut. "Die Stadt ist aktiv. Aber die nächsten Jahre werden wir Interimslösungen brauchen", sagt Mai. Das Ziel jedenfalls ist klar: "Jedes Kind, egal wo es wohnt, muss dieselben Chancen haben, auf ein Gymnasium gehen zu können."

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