"Ich bin kein Coronaleugner und trotzdem hier", steht auf dem Plakat des Mannes. Und weil es so bitter kalt ist an diesem Sonntagnachmittag und der eisige Nordwind Schneeflocken über die Theresienwiese bläst, nimmt er für einen Moment die Frau neben sich in den Arm. "Ich schäme mich für mein Land", hat sie auf das Schild geschrieben, das sie in den dunkelgrauen Himmel an diesem nur kalendarisch ersten Frühlingstag hält. Etwa 300 Menschen demonstrieren mit den beiden gegen den aus ihrer Sicht unverhältnismäßigen Lockdown und fordern "sinnvolle, gerechte und nachvollziehbare Maßnahmen" - trotz rapide steigender Corona-Inzidenzwerte. Die Initiative "Gemeinsam Zukunft" hat zum Protest auf der Theresienwiese aufgerufen.
"Es geht um die Zukunft Deutschlands", ist Organisatorin Susanne Grill überzeugt. Einige Demonstranten sind in Tracht gekommen, das Alphornbläser-Trio Edelweiß begrüßt die Kundgebungsteilnehmer. Es sind keine "Querdenker", die sich da versammelt haben. Mit denen will man auch nichts zu tun haben. Befürchtungen, sie könnten die Versammlung unterwandern, bewahrheiten sich nicht. Ein Corona-Schnelltest für 25 Euro wird gleich neben der Bühne angeboten. Und wer keine FFP2-Maske auf hat, bekommt sofort eine von einem der Ordner überreicht. "Wir sind die Vernünftigen", sagt der Moderator auf der Bühne, "die die Maßnahmen - noch eine Weile - mittragen werden".
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Es soll ein bisschen drohend klingen vor dem Bund-Länder-Gespräch zur Pandemie am Montag. Auch auf der Theresienwiese kommen Politiker zu Wort, gleich zu Beginn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), später sprechen noch Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag, Martin Hagen, Vorsitzender der FDP-Fraktion, und der Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post. Post, der zurzeit mit Teilen seiner eigenen Partei im Clinch liegt, ist ein gern gesehenes Motiv der vielen Fotografen, die zur Theresienwiese geschickt wurden - vor allem, als sich neben ihm eine Pippi-Langstrumpf-Darstellerin in Szene setzt. Grill, die Initiatorin des Protests, hat zudem zahlreiche Redner aus der Wirtschaft gewonnen, darunter Christoph Huber, Mit-Initiator von "Ostbayern sieht Schwarz", und Florian Unterleitner von der Unternehmerbewegung "Wir stehen zusammen". Eine leere Bergbahn-Gondel und eine Bar mit hochgestellten Stühlen flankieren die Bühne. So soll symbolisiert werden, was der Lockdown eben auch bewirkt.
Die Kundgebung auf der Theresienwiese ist der Abschluss eines Demonstrationswochenendes, wie es München sonst höchstens im Umfeld der Sicherheitskonferenz erlebt. 24 Demo-Züge, Versammlungen und Autokorsos waren angemeldet worden, acht davon betrafen die Corona-Pandemie. Ein Überblick:
Viele Demos, viele Themen
Manche Corona-Skeptiker und Pandemieleugner aus München nutzten den Samstag für eine Fahrt zur - verbotenen - Großdemonstration in Kassel. Einige versammelten sich aber auch auf dem Harras, um dort "für Frieden, Wahrheit und Klarheit" zu demonstrieren, oder veranstalteten einen Autokorso durch die Stadt. Auf dem Rotkreuzplatz forderte die "Initiative Familien", unabhängig vom Inzidenzwert die Schulen für alle Kinder zu öffnen.
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Zwischen Münchner Freiheit, Odeonsplatz, Arcisstraße und Königsplatz demonstrierten am Samstagnachmittag bis zu 600 Abtreibungsgegnerinnen und -gegner und etwa ebenso viele Gegendemonstranten. Im Vorfeld hatte die Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus gewarnt: Die Szene, die Schwangerschaftsabbrüche verunmöglichen wolle, rekrutiere sich auch aus christlich-fundamentalistischen und extrem rechten Teilen der Gesellschaft und sei in München besonders aktiv. Aufnahmen vom Samstag zeigen, dass mindestens ein Ordner der Abtreibungsgegner gut sichtbar das Emblem einer rechtsextremistischen kroatischen Miliz trug. Ihr Frauenbild machten Teilnehmer der Kundgebung auf Plakaten sichtbar, auf denen zu lesen war: "Mutter werden - mehr Frau sein geht nicht."
Für den Sonntag hatte das Kreisverwaltungsreferat die Altstadt zur kundgebungsfreien Zone erklärt und Protestzüge aus Gründen des Gesundheitsschutzes gleich ganz verboten. Königsplatz und Theresienwiese wurden zu offiziellen Versammlungsarealen erklärt - ein Versuch, wie es hieß. Eine Kundgebung der "Querdenker"-Szene, die am Sonntagmittag als Ersatz für den untersagten Demonstrationszug hätte stattfinden sollen, wurde nach Polizeiangaben abgesagt. Dafür versammelten sich knapp 100 Teilnehmer aus demselben Spektrum am späten Nachmittag auf dem Königsplatz. Nur zwei Stunden zuvor hatten am selben Ort wiederum Münchnerinnen und Münchner "Gegen Geschwurbel" der Pandemieleugner Stellung bezogen - gefolgt waren dem Aufruf laut Polizei aber nur sechs Personen. Viel Platz für die zahlreichen Mannschaftswagen der Ordnungskräfte, die zwischen Antikensammlung und Glyptothek parkten.
Demonstriert haben am Wochenende auch Anhänger der in China verfolgten Falun-Gong-Bewegung, Tierschützer und Tamilen. Fast wäre dabei untergegangen, dass der Sonntag auch der "Internationale Tag gegen Rassismus" war. Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns hatte zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaft zu einer Kundgebung auf dem Odeonsplatz aufgerufen.
Das Problem der Abgrenzung
Mit der "Querdenker"-Szene wollten die Veranstalter der Kundgebung "Gemeinsam Zukunft" auf der Theresienwiese nichts zu tun haben. Doch wie schwer diese Abgrenzung ist, erlebten die Organisatoren selbst: Als einen der Redner hatten sie ursprünglich den Pandemieleugner Andreas Reuter angekündigt. Am Freitagabend wurde der AfD-Politiker dann wieder ausgeladen. Er und seine Organisation seien nicht erwünscht, machte die Initiatorin der Kundgebung klar. Auf einer noch am Donnerstag verbreiteten alphabetischen Teilnehmer- und Rednerliste hatte Andreas Reuter ganz oben gestanden. Der ehemalige Stadtratskandidat der AfD und Kreisvorsitzende im Münchner Norden war als Bayern-Leiter von "Eltern stehen auf" angekündigt worden. "Ich ärgere mich maßlos über diesen Fehler", räumte Initiatorin Grill am Samstag ein. Die Gruppierung "Eltern stehen auf" sei auf sie zugekommen und habe Reuter als Redner benannt. Was Grill, wie sie sagt, nicht gewusst habe: Reuter schreibt auf Twitter, dass Corona "ein Greisen-Virus ist und nicht tödlich". Er will "alles endlich aufmachen und die Diktatur beenden". Genau von solchen Rednern wolle man sich aber abgrenzen, betonte Grill.
Andere hatten weniger Berührungsängste mit radikalen Corona-Leugnern. Beobachter berichteten, dass die Abtreibungsgegner auf dem Odeons- und dem Königsplatz ein Fahrzeug der Landshuter "Querdenker" für ihre Kundgebung nutzten. Im Lastwagen saß als Dekoration ein Skelett mit Mundschutz und dem Aufdruck "Diktatur". Als Redner trat ein Mann aus Österreich auf, der auf seinem Twitter-Account die Zahl der Corona-Toten herunterspielt und Impfungen ablehnt. Die Auflagen für die Kundgebung bezeichnete er als "nicht sehr demokratische Maßnahmen". Fragen der SZ zu möglichen Verbindungen in die "Querdenker"-Szene ließen die Verantwortlichen des "Marschs fürs Leben" am Sonntag unbeantwortet.
Die Rolle der Behörden
Das Kreisverwaltungsreferat hatte nach eigenen Angaben "Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen, vor allem auch vom vergangenen Wochenende" gezogen und für den Sonntag strikte Beschränkungen erlassen. "Weil etliche Demonstranten unsere zum Gesundheitsschutz zwingend nötigen Auflagen verhöhnen, ist die Polizei ständig in einem Balanceakt", schrieb Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle im Vorfeld. "Eine gewaltvolle Eskalation will niemand."
Auch die am vergangenen Wochenende massiv kritisierte Münchner Polizei hatte diesmal ein "konsequentes Vorgehen" für den Fall bewusster Verstöße und Provokationen angekündigt. "Nachsicht in diesem Bereich zu üben, wäre wegen der damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung weder zu vermitteln noch zu vertreten", betonte Polizeivizepräsident Michael Dibowski. Allein am Sonntag war das Präsidium mit bis zu 500 Beamten im Einsatz, die die Einhaltung von Auflagen genau überprüften. Keine Chance für Maskenverweigerer.
Am Rande des "Marschs fürs Leben" gerieten am Samstag Polizei und Gegendemonstranten aneinander. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstock ein. Unter anderem soll ein Demonstrant versucht haben, einem Polizisten die Dienstwaffe zu entreißen. Feministinnen der Antisexistischen Aktion München sprachen dagegen von "massiver Polizeigewalt" und mehreren Verletzten.