Bahnausbau München-Ost:"Völlig aus der Zeit gefallen"

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Die SPD lehnt den Plan der Deutschen Bahn AG, den Ausbau der Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen oberirdisch auszuführen, rundweg ab und spricht sich klar für einen Tunnel aus

Von Nicole Graner, München

Nun ist das offiziell, was eigentlich schon lange kein Geheimnis mehr war: Die Deutsche Bahn AG (DB) wird den viergleisigen Ausbau des Streckenabschnitts von Daglfing nach Johanneskirchen oberirdisch planen. Der Bund hat dafür grünes Licht gegeben. Die Variantenuntersuchung, die die Universität Innsbruck durchgeführt hat, sei, wie der DB-Gesamtprojektleiter für den Bahnausbau München, Bernd Pfeiffer, am Freitag auf einer Pressekonferenz (PK) sagte, "eindeutig". Der ebenerdige Ausbau koste 0,9 Milliarden Euro, der Trog 2,2 und der Tunnel 2,4 Milliarden Euro - eingerechnet sei die jährliche Teuerung über die Projektlaufzeit. Die Bauzeit oberirdisch dauere sechs, der Trog zehn und der Tunnel zwölf Jahre. Während die Bahn nun die Stadt am Zug sieht, kommen von der Münchner SPD gerade einmal eineinhalb Stunden nach der Bahn-Pressekonferenz harsche Vorwürfe - man sieht sich vor vollendete Tatsachen gestellt.

Nach Kriterien wie Verkehr und Technik, Raum und Umwelt, Kosten und Risiken seien die drei Varianten mit einem Punktesystem bewertet worden, erklärt Norbert Barth, der für den Abschnitt verantwortliche Bahn-Projektchef. "Die oberirdische Variante hat um Haaresbreite vor dem Tunnel gelegen." Auch habe man die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Osten mit in die Berechnungen einfließen lassen.

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Neu ist es nicht, dass die Bahn ausschließlich mit den Zugzahlen arbeitet, die der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 vorgibt. "Ja", sagt Pfeiffer, "das ist die Kernaussage, die ich wie ein Mantra auch immer wieder betone." Der BVWP werde von externen Gutachtern alle fünf Jahre neu plausibilisiert. Die Zahlen der Züge, die in beiden Richtungen in 24 Stunden zwischen Daglfing und Johanneskirchen laut Bahn verkehren werden, sind 229 Züge des Schienengüterverkehrs und 280 S-Bahnen. Macht insgesamt 509 Züge - 109 mehr als die durchschnittlich angenommene Bemessungsgrundlage für das Inntal von 400 Zügen. Die Bahn rechnet mit einer fünf Kilometer langen Ausbaustrecke - also von der A 94 bis zum Heizkraftwerk Nord. Die Länge des Tunnels wird auf 2,7 Kilometer bemessen.

Schon jetzt ist das Zugaufkommen für die Anwohner zum Beispiel im Truderinger Gleisdreieck zu Stoßzeiten mit 800 Zügen pro Tag enorm. Aber Pfeiffer betont: Da es jetzt gar keinen Schallschutz gebe, werde es mit den gesetzlichen Vorgaben von Schallschutzwänden und passiver Dämmung, also zum Beispiel entsprechenden Fenstern in den Häusern und Wohnungen an der Gleisstrecke, in jedem Fall "leiser". 7990 Wohnungen gebe es laut Bahn jetzt im Bereich des Gleisausbaus. Bei der oberirdischen Variante müssten 1570 Wohneinheiten, deren Nachtgrenzwert 49 Dezibel übersteige, mit passivem Schallschutz ausgestattet werden, beim Trog 1050, beim Tunnel 750. Geben werde es außerdem bei der ebenerdigen Variante Schallschutzwände - an die "Bebauung angepasst", wie Pfeiffer erklärt.

Die Bahn sieht die Tür für eine Tunnellösung "nach wie vor offen", sagt Barth. Man müsse jetzt seitens der Stadt "nur noch durch sie hindurchgehen". Die Stadt München hatte in einem Stadtratsbeschluss von 2018 klar signalisiert, die Fein-Variantenuntersuchung für den Tunnel, also die Planungskosten dafür, zu übernehmen. "Wenn die Stadt München den Tunnel will, dann planen wir auch den Tunnel", sagt Pfeiffer. Man sei in Verhandlungen für einen Finanzierungsvertrag. Man mache der Stadt keine Vorgaben, ergänzt Barth, "aber wir gehen unseren Weg und planen zunächst die ebenerdige Variante weiter". Der "richtige Weg" könne laut Pfeiffer nur sein, dass die Stadt noch dieses Jahr unterschreibe.

"Wie die Bahn vorgeht, ist nicht demokratisch", erklärte dagegen die SPD-Bundestagsabgeordnete und Münchner SPD-Chefin Claudia Tausend in dem Pressegespräch, das die SPD/Volt-Stadtratsfraktion direkt im Anschluss einberufen hat. Es könne keine Variantenfestlegung ohne ordentliche Öffentlichkeitsbeteiligung und parlamentarische Entscheidung geben. Die Bahn sei eine Bundesbehörde. Eine Bundesbehörde könne nicht den Oberbürgermeister und die Stadt zu Gesprächen auffordern, sagte Tausend. Da werde eine Bahn-PK einberufen und die Vorzugsvariante präsentiert, ohne vorab mit der Stadt, mit den Abgeordneten oder den betreffenden Bezirksausschüssen zu sprechen. Es gehe nicht an, Tatsachen festzuzurren und Druck auszuüben, sondern darum, die Varianten ehrlich zu diskutieren und sich die Lasten zu teilen.

Ganz klar spricht sich die SPD für den Tunnel aus - wie auch die CSU in einem parallel verschickten Antrag, in der der Abschluss einer Planungs-Vereinbarung für die Tunnelvariante unter Beteiligung von Bund und Bahn gefordert wird. 20 Millionen Euro hat die Stadt für die Feinplanung bereitgestellt. Eine Million könnte jetzt schon abgerufen werden, betonte Nikolaus Gradl (SPD), Sprecher im Mobilitätsausschuss. Die Bahn verzögere die Verhandlungen, nicht die Stadt. "Völlig aus der Zeit gefallen", bezeichnet SPD-Fraktionschefin Anne Hübner die oberirdische Planung. Ein viergleisiger Ausbau in einem dicht besiedelten Wohngebiet sei "heutzutage überhaupt nicht mehr darstellbar". Es müsse mit den Bürgern gesprochen werden. Verursacher des Ganzen sei der Bund, sagt Hübner, "aber die Stadt München soll schon die Kosten tragen". Auch moniert Claudia Tausend: Der BVWP sei veraltet, viele Zahlen gar nicht enthalten. Um Gespräche fortzuführen, brauche es vor allem eines: "Endlich saubere Zahlen."

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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