Münchner Momente:Darf's ein bisschen mehr sein?

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Die Bauarbeiten für die zweite Stammstrecke dauern viel länger als geplant. Erfahren hat das die Öffentlichkeit erst spät. (Foto: DB)

Baustellen werden nur selten im Zeitplan fertig - je größer das Projekt, desto größer die Verzögerung. Das sorgt regelmäßig für Frust. Dabei wäre es doch ganz simpel, die Leute bei Laune zu halten.

Kolumne von Andreas Schubert

In der Psychologie gilt die Prokrastination, also das zwanghafte Aufschieben von Aufgaben, als ernsthafte Störung. Wer tendenziell zwar gesund ist im Oberstübchen, dafür aber stinkfaul, benutzt das Wort aber ebenso gerne. "Ich prokrastiniere heute" klingt allemal kultivierter als "hab keinen Bock" und ist gerade bei den Gscheidhaferln unter den Faulpelzen eine beliebte Ausrede, wenn sie sich lieber in der Sonne einen Spritz reinpfeifen, als zum Beispiel mal den Schreibtisch aufzuräumen oder irgendwas Sinnvolles zu arbeiten.

Was München angeht, so gibt es zumindest in Amtsstuben und Planungsbüros offiziell keine Prokrastinierer. Gerade bei Bauarbeiten sind alle sehr emsig bei der Sache, sei es im Baureferat, bei den Stadtwerken oder der Bahn. Ihnen zu unterstellen, sie schöben Dinge krankhaft vor sich her oder sie gäben sich lieber dem Dolce far niente hin, wäre fehl am Platz. Die Verantwortlichen der zweiten S-Bahn-Stammstrecke etwa müssten schon Tanklaster voller Spritz vernichtet haben - so viel kriegt auch der bemühteste Müßiggänger nicht runter.

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Es gibt natürlich viele gute Gründe, warum sich dieses und jenes Projekt ein bisschen verzögert, sei es um mutmaßlich zehn Jahre wie bei der Stammstrecke, ein knappes Jahr wie beim U-Bahnhof Sendlinger Tor, oder nur zwei Wochen, wie nun bei den Gleisarbeiten für die Tram 25. Stets sind es die rauen Winde des Schicksals, die den Machern ins Gesicht blasen.

Und diese Winde wehen praktisch immer. Selten ist eine Baustelle im zuvor amtlich kommunizierten Zeitplan, was noch seltener bei den ohnehin zum Grant neigenden Münchnern gut ankommt. Dabei wäre es doch ganz simpel, die Leute bei Laune zu halten, indem man gleich von Anfang an längere Bauzeiten angibt. Niemand spräche von Verzögerung. Die Stadtwerke hätten es sich nicht mit den Fans von Helene Fischer und Andreas Gabalier verscherzen müssen, indem sie deren Konzerte für Verzögerungen am Sendlinger Tor verantwortlich machten; den Harlachingern und Grünwaldern müssten sie nicht umständlich die Lieferprobleme erläutern, derentwegen die Tram erst ein wenig später wieder fährt.

Und hätte die Bahn bei der Stammstrecke eine Eröffnung 2050 in Aussicht gestellt, würden alle ihre übermenschlichen Anstrengungen preisen, weil sie es schon 2037 nach nur 19 Jahren geschafft hat. Die Fahrgäste wären happy darüber, dass die Bahn mal zu früh dran ist, und die DB könnte sich brüsten, die Bauzeit der Frauenkirche um immerhin ein ganzes Jahr unterboten zu haben.

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