Wissenschaft:Tabuthema Fehlgeburt

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Der Ultraschall-Scan eines Fötus (Symbolbild). (Foto: imago images/AFLO)

Die Psychologin Antje-Kathrin Allgaier von der Bundeswehr-Universität in Neubiberg will mit zwei Studien dazu beitragen, dass Frauen nach dem Verlust eines Kindes besser versorgt werden. Doch sie findet nur schwer Probandinnen.

Von Daniela Bode, Neubiberg

Wer Kinder hat, besinnt sich immer wieder einmal darauf, welch ein Wunder es ist, dass sie überhaupt da sind. Denn selbstverständlich ist das keineswegs. "Bis zu 20 Prozent der klinisch festgestellten Schwangerschaften in Deutschland enden mit einer Fehl- oder Totgeburt", sagt Antje-Kathrin Allgaier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Dennoch handle es sich "noch immer um ein Tabuthema". Das ist nur ein Grund, warum sich die Wissenschaftlerin mit ihrem Team derzeit bei zwei Projekten unter anderem mit der individuellen Belastung durch Schwangerschaftsverlust und Geburt beschäftigt. Es gebe bisher auch wenige Daten zu dem Thema. "Die gelungene Verarbeitung von Fehl- und Totgeburten ist mir ein Herzensanliegen", sagt die Professorin.

Sie und ihr Team untersuchen in einer Vergleichsstudie, welche unterschiedlichen psychischen Belastungen Frauen nach einem Schwangerschaftsverlust erleben und welche Faktoren möglicherweise zu einer längerfristigen psychischen Beeinträchtigung führen. Im Vergleich dazu betrachten sie Mütter, für die die Geburt ja "auch ein kritisches Lebensereignis ist, wenn auch positiv besetzt", wie Allgaier sagt. "Wir wollen untersuchen, welche Unterschiede in der Art und im Ausmaß der Belastung bestehen", sagt die Wissenschaftlerin. In einer zweiten Studie betrachten Allgaier und ihr Team, wie Frauen eine Fehl- oder Totgeburt erleben und verarbeiten. Sie gehen dabei auch der Frage nach, wie sich diese auf Geschwisterkinder und die Partnerschaft auswirkt.

Schon jetzt ist klar: Die Verarbeitung kritischer Lebensphasen wie der Verlust eines Babys ist ein komplexer Prozess. Jede Frau hat eigene Strategien, solche zu bewältigen. "Wir wollen herausfinden, welche Faktoren die Bewältigung erleichtern oder erschweren", sagt Allgaier. So werden sie unter anderem betrachten, ob eine Frau eher in depressives Grübeln verfällt oder eher aktiv versucht, den Verlust zu verarbeiten. Genauso wollen sie ansehen, ob eine Frau sich eher sozial unterstützt sieht durch Familie und Freunde oder sich eher allein gelassen fühlt mit ihrer Trauer.

Bis jetzt nehmen etwa 60 Probandinnen an den Studien teil, laut Allgaier etwa ein Drittel der minimalen Anzahl. Über standardisierte Fragebögen und Interviews mit speziell geschulten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus dem Projektteam berichten sie über ihre Erfahrungen. Doch für aussagekräftige Ergebnisse braucht es laut Allgaier einige Teilnehmerinnen mehr. Daher suchen sie und ihr Team weitere Frauen, die im vergangenen Jahr eine Fehl- oder Totgeburt erlebt haben sowie Mütter von Kindern zwischen 0 und 17 Jahren. Es können ebenso psychisch belastete sowie psychisch gesunde Frauen teilnehmen. "Wir würden uns sehr freuen, wenn sich weitere Probandinnen melden", sagt Allgaier. Wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hatte sich die Suche zuletzt etwas hingezogen, das Team war neben der bisherigen Vermittlung über Kinder- und Frauenärzte auch schon per Social Media auf die Suche gegangen.

Um möglichen Bedenken entgegenzusteuern: Laut Allgaier finden alle Interviews über eine dafür zertifizierte Plattform statt, die bisherigen Gespräche seien alle sehr angenehm verlaufen. Zudem bekommen die Teilnehmerinnen eine individuelle Rückmeldung, wenn psychische Auffälligkeiten festgestellt werden. Gegebenenfalls vermittelt das Team die Probandinnen auch an Psychotherapeuten.

Wie bei all ihren Studien ist es Allgaier auch bei diesen wichtig, dass am Ende eine praktische Anwendung steht, die die Versorgung optimiert. Und so ist es ihr langfristiges Ziel, die Früherkennung psychischer Beeinträchtigungen zu verbessern. "Es soll ein Screeninginstrument entwickelt werden", sagt die Professorin. Dieses würden Gynäkologinnen und Gynäkologen, die Frauen nach einem Schwangerschaftsverlust begleiten, an die Hand bekommen. Damit sollen sie schneller erkennen können, wenn sich eine gravierende psychische Belastung anbahnt. "Frauen könnte so geholfen werden, ihre Probleme schneller zu bewältigen", sagt die Wissenschaftlerin.

Interessentinnen können das Studienteam unter 0175/4718977 oder per E-Mail an klinische.psychologie@unibw.de kontaktieren. Informationen gibt es unter www.unibw.de/hum-psychologie/kpp.

© SZ vom 26.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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