Niedrige Gewerbesteuer:Steuerdumping auf hohem Niveau

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Mit der massiven Senkung der Gewerbesteuer hofft die Gemeinde Straßlach-Dingharting auf Erfolg. Heute floriert das Gewerbegebiet Oberfeld in der kleinen Ortschaft. (Foto: Claus Schunk)

Gemeinden wie Gräfelfing, Pullach, Oberhaching und Schäftlarn versuchen, beim Gewerbesteuersatz mit Grünwald zu konkurrieren. Das aber schafft Abhängigkeiten.

Von Iris Hilberth, Annette Jäger und Michael Morosow, Landkreis München

Wenn in den Münchner Umlandgemeinden über den Haushalt beraten wird, dann ist Grünwald immer ein Thema. Ein bisschen neidisch schielen die Kommunalpolitiker stets auf die sprudelnden Gewebesteuereinnahmen im Isartal, während sie selbst den Rotstift ansetzen und nachzählen müssen, ob sie sich den Neubau der Schule überhaupt leisten können. Ein wenig verfluchen sie dann den dortigen Hebesatz von 240, der es für Unternehmen so attraktiv macht, sich dort niederzulassen. Grünwald fordert im Landkreis München am wenigsten von den Firmen ein. Einsam an der Spitze der Sehnsuchtsorte für Niedrigsteuerzahler ist die Gemeinde aber nicht. Gräfelfing, Straßlach-Dingharting, Oberhaching (alle 250) und Pullach (260) reihen sich da munter ein in den Reigen der äußerst geringen Hebesätze. Manche schon seit vielen Jahren, anderen haben die Abgabe erst kürzlich gesenkt und lassen die Stadt München mit ihrem Hebesatz von 490 ganz schön teuer aussehen. Doch nicht jeder Kommune ist in der Vergangenheit so ein Steuerdumping finanziell gut bekommen.

Vor 17 Jahren rang sich die Gemeinde Schäftlarn dazu durch, den Hebesatz für die Gewerbesteuer kräftig nach unten zu schrauben: Von einst 320 auf dann 260. Grünwald hatte damals bereits seinen unschlagbar niedrigen Wert. Und Schäftlarns stärkster Gewerbesteuerzahler, die Fondsgesellschaft BVT Life Bond Management mit Sitz in Hohenschäftlarn, drohte nach Grünwald abzuwandern. Also senkte man den Hebesatz. Nicht jeder im Gemeinderat fand das damals gut. Manch einer warnte vor Erpressbarkeit und sprach von Nötigung. Vier Jahre später kehrte Schäftlarn zu den 320 Prozentpunkten zurück. Die Gewerbesteuer war eingebrochen, eine Rückzahlung von 2,9 Millionen Euro machte der Gemeinde zu schaffen. Mittlerweile hat BVT Life Bond Management seinen Sitz in Grünwald.

Das hält andere Gemeinden rings um die Steueroase am Isarhochufer nicht davon ab, mit einer ähnlichen unternehmerfreundlichen Steuerpolitik um die Gunst der Unternehmen zu buhlen. Das kleine Straßlach-Dingharting, nur sieben Kilometer entfernt von Grünwald, hat den Hebesatz in den vergangenen zwei Jahren gleich zweimal gesenkt. Von ursprünglich 310 reduzierte die Gemeinde im Jahr 2020 diesen Faktor auf 280, um die Attraktivität im Wettbewerb mit dem großen Nachbarn zu erhöhen. Ein Jahr später wagte man einen weiteren Schritt auf nun 250.

Strasslach: Vorstellung neugestalteter Weiher. Bürgermeister Hans Sienerth sitz auf der längsten Bank Strasslachs, ausgesägt aus einem umgefallenen Baum am Uferrand (Foto: CLAUS SCHUNK 01716/Claus Schunk)

Bürgermeister Hans Sienerth (parteifrei) ist zufrieden mit dieser Entscheidung. Zwar schwimmt die Gemeinde dadurch nicht plötzlich in Geld, doch haben sich immerhin 60 neue Firmen angesiedelt. Und obwohl die einzelnen Unternehmen jetzt weniger Steuern zahlten, seien die Gewerbesteuereinnahmen gestiegen, sagt Sienerth. Er gibt aber auch zu, dass dies durch einen einmaligen Effekt geschehen sei, durch eine Firma, die einige Sparten verkauft habe. Es bleibt daher erst noch abzuwarten, ob Straßlach-Dingharting langfristig von der Entscheidung profitiert.

Straßlach-Dingharting hat sich bewusst dafür entschieden, zehn Prozentpunkte über Grünwald zu bleiben. "Wir hatten ein neues Gewerbegebiet entwickelt und freie Flächen", sagt der Bürgermeister, "die Firmen, die kommen, sollen ihr Geld auch bei uns erwirtschaften." Man habe nicht geplant, dass Briefkästen entstehen, sondern echte Büroflächen.

Das hatte auch der Gemeinderat von Oberhaching im Sinn, als er 2017 den Hebesatz für die Gewerbesteuer senkte. Der lag damals zwar verglichen mit vielen anderen Kommunen im Landkreis bei geschmeidigen 270, mit fortan 250 näherte sich die Gemeinde schließlich noch mehr den Nachbarn aus Grünwald an. Nun ist Oberhaching in der Gesamtbetrachtung keine arme Kommune, hat aber durch hohe Investitionen in die Geothermie schon vor fünf Jahren eine Menge Schulden angehäuft. Der Kämmerer hatte damals ausgerechnet, dass durch die Senkung des Hebesatzes 1,38 Millionen Euro weniger in die Kasse fließen würden. Damals hat er mit 17,4 Millionen Gewerbesteuereinnahmen gerechnet, im Haushalt 2022 sind 22,3 Millionen einkalkuliert.

Oberhachings Wirtschaftsförderer Alexander Maierhöfer glaubt nicht, dass die Ansiedelung von Firmen allein durch den niedrigen Hebesatz begünstigt wird. "Der hat nur eine symbolische Funktion", sagt er. Die gute Erreichbarkeit, die Nähe zu München und die Vorwahl 089 spielten da mitunter eine größere Rolle. Trotzdem hat Oberhaching Leerstände im Gewerbegebiet. "Die Hütte ist nicht wirklich voll", sagt Maierhöfer. Firmen wechselten nicht einfach den Standort, da sie sonst riskierten, Mitarbeiter zu verlieren. Und wenn die Fachkräfte eben nach "Downtown" wollten, also lieber mitten in München arbeiteten, dann nütze auch die S-Bahn und die Vorwahl nichts. Attraktiv seien in Oberhaching vor allem Gewerbegrundstücke, bei denen eine Chance auf Erweiterung bestehe. Briefkastenfirmen hingegen habe er noch nicht wahrgenommen. Die FDP hatte im Kommunalwahlkampf 2020 eine Senkung des Hebesatzes auf 230 gefordert, um "Das Steuerparadies von Bayern" zu werden. Maierhöfer hält von diesem Unterbietungswettbewerb nichts. "Wir sind mit dem Hebesatz bewusst über Grünwald geblieben", sagt auch er, "wer auf den letzten Cent achtet, soll halt woanders hingehen."

In Gräfelfing spricht man mit Blick auf den Hebesatz schon von Tradition. Seit 1968 liegt er unter 300 Prozent, nur einmal, von 1976 bis 1980, lag er bei 300. "Wir fahren gut damit", sagt Bürgermeister Peter Köstler (CSU). Die Einnahmen sprudeln. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die Einnahmen aus der Gewerbesteuer auf 165 Millionen Euro. Im Jahr davor waren es sogar 185 Millionen, heuer plant die Kämmerei mit 140 Millionen Euro.

In Gräfelfing entfallen von 165 Millionen bei der Gewerbesteuer 120 auf ein Unternehmen

"Wir werben nicht damit, dass Firmen zu uns kommen", sagt Bürgermeister Köstler. Die Gemeinde setzt auf bodenständige Wirtschafts- und Standortpolitik. Möglicherweise würden auch in Gräfelfing Briefkastenfirmen zu den Gewerbesteuereinnahmen beitragen, "zu den Big Playern gehören sie nicht", sagt der Bürgermeister. Von den 165 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen entfielen 120 Millionen Euro allein auf eine Firma. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Firma Philipp Morris hinter den hohen Zahlungen steckt. Und die residiert seit 2012 in einem realen Hochglanzbüro am Rande des Gewerbegebiets. Auch die weiteren zehn größten Gewerbesteuerzahler seien alles Firmen in größeren Gebäuden, sagt Köstler.

Wie in Schäftlarn war es auch in Pullach ein großes Unternehmen, die Hannover Leasing (HL), gewesen, das die Gemeinde 2005 mit der Ankündigung, nur unter veränderten fiskalischen Vorzeichen in Pullach expandieren zu wollen, zur Senkung des Gewerbesteuer-Hebesatz von 300 auf heute noch gültige 260 Prozentpunkten brachte. Auch die HL argumentierte mit Grünwald, wo wichtige Wettbewerber der HL ihren Sitz hätten. Pullach könne heute gut leben mit ihrem Hebesatz und er sehe aktuell keine Veranlassung zum Nachjustieren, sagt Kämmerer Andre Schneider. Die Höhe des Hebesatzes sei für Unternehmen aber nicht das einzige Kriterium für eine Standortwahl, es zähle auch die Güte des Standortes, und Pullach sei wie Grünwald ein attraktiver Standort.

Das Geschäftsmodell der Gemeinde Pullach sei in jedem Fall ein anderes als das von Steueroasen, wo Briefkastenfirmen gemeldet seien, für die ausschließlich die Höhe des Steuersatzes ausschlaggebend sei. In Pullach hätten sich keine virtuellen Büros angesiedelt, dafür große Unternehmen wie Linde, Sixt, HL oder die LHI-Gruppe, die mit ihren Mitarbeitern auch in der Gemeinde vertreten seien. Für 2022 rechnet die Gemeinde mit Einnahmen aus Gewerbesteuer in Höhe von 55 Millionen Euro. Der Gesamthaushalt wird 124 Millionen Euro stark sein. 2005 hatte der Haushalt noch 28,2 Millionen Euro betragen.

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