Bundestagswahl im Landkreis München:Verlegenheitskandidat mit langem Atem

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Korbinian Rüger sprang kurz entschlossen ein, als die SPD plötzlich ohne Kandidatin dastand. Als Lückenfüller sieht er sich deshalb nicht. (Foto: Claus Schunk)

Korbinian Rüger ist eingesprungen, als die SPD-Bundestagsabgeordnete Bela Bach verärgert hinwarf. Es ist nicht die erste Bewerbung des 32 Jahre alten Planeggers um ein Mandat. Und es soll nicht seine letzte sein.

Von Martin Mühlfenzl, Planegg

Korbinian Rügers Arbeitsplatz direkt im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität ist nicht der schlechteste - und auch die Umgebung passt. Mittags mal schnell zum Atzinger, jene Gaststätte, die wirklich jeder kennt, der hier einmal kurz studiert hat. Warum also sollte der 32-jährige Planegger dies alles gegen ein Büro im eher spröden Berliner Regierungsviertel eintauschen wollen? Gut, so schnell wird der SPD-Direktkandidat im Wahlkreis München-Land den Sprung nach Berlin eher nicht schaffen - trotz derzeit steigender Umfragewerte seiner Partei. Als Lückenbüßer aber will sich Rüger nicht sehen. Er denkt eher perspektivisch, denn seine Kandidatur hat auch eine Vorgeschichte.

Zwölf Jahre lang bestimmte ein Name nahezu alle bundespolitischen Bemühungen der Kreis-SPD. Nach der Bundestagswahl 2009 fokussierten die Genossen um die damalige Kreisvorsitzende Natascha Kohnen und den damaligen Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer alle Kräfte darauf, die Planeggerin Bela Bach in den Bundestag zu bekommen. Dies gelang nach zwei Rückschlägen erst im Frühjahr 2020; Bach kam als Nachrückerin ins Parlament. Eigentlich war damit aus Sicht der Landkreis-SPD alles gut - eigentlich. Denn dann folgte die Listenaufstellung der Landes-SPD für die Bundestagswahl am 26. September, und Bach wurde eine aussichtsreiche Platzierung verwehrt. Sie warf verärgert hin und zog, obwohl bereits nominiert, ihre Kandidatur ganz zurück. Der Unterbezirk München-Land stand plötzlich ohne Direktkandidaten da. Aber nicht lange.

Es ist der Zugriff auf eine eher aussichtslose Mission

In der nachmittäglichen Sonne im Atzinger strahlt Rüger Gelassenheit aus. Wann er sich entschieden habe, sich für die Direktkandidatur zu bewerben? "Das war so drei Tage, nachdem Bela ihren Rückzug erklärt hat", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft. "Da haben dann die Prozesse eingesetzt, ich habe mit meiner Freundin und meinen Eltern gesprochen und schnell war klar: Ich kann mir das grundsätzlich vorstellen und muss zugreifen."

Es ist der Zugriff auf eine eher aussichtslose Mission. Das Direktmandat werden wohl der vor vier Jahren im Wahlkreis erfolgreiche CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn und der damals über die Liste ins Parlament gewählte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter unter sich ausmachen, auf der SPD-Landesliste steht Rüger nicht. Er sehe sich trotzdem nicht als "Lückenfüller", sagt er, vielmehr wolle er nun auch mit Blick auf Chancen, die da später noch kommen könnten, diese "Trockenübung" machen. "Es war für mich auch eine Frage der Ehrlichkeit, zu sagen: Ich kann mir das vorstellen." Gut möglich, dass die SPD im Landkreis da gerade ungewollt einen Mann für die Zukunft aufbaut.

Rüger, geboren in München und aufgewachsen in Planegg, hat am Kurt-Huber-Gymnasium in Gräfelfing sein Abitur gemacht, danach leistet er Zivildienst bei der Waldkirche Planegg, kümmerte sich um Kinder, betreute Bewohner in Altenheimen, fuhr Essen aus. "Das hat mir schon viel gegeben", sagt er. Dann das erste Studium, BWL an der Technischen Universität, aber die Betriebswirtschaftslehre und die "Massenveranstaltungen" an der Riesen-Uni waren nichts für ihn. Die Vorzüge des studentischen Lebens aber habe er schon genossen, sagt Rüger, die Wohngemeinschaft mit seinem ältesten Freund im Glockenbachviertel, das Jobben in einem Klamottengeschäft und das Kellnern. "Ich habe alles gemacht, außer vernünftig zu studieren", sagt er und lacht.

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Das mit dem Studium hat dann doch noch geklappt, so gut sogar, dass er heute "Dr. Korbinian Rüger" plakatieren kann. In Bayreuth begann er zunächst ein Studium der Philosophie und VWL, ehe ihn ein Stipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft nach London lockte, dort setzte er das Studium der Philosophie an der London School of Economics fort. "In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich an der Uni bleiben will", sagt Rüger. Die Voraussetzung hierfür schuf er an der renommierten Universität in Oxford mit der Promotion zum Thema "Verteilungsgerechtigkeit" - "einem klassischen SPD-Thema", so Rüger.

Dass es ihn nach München an die Ludwig-Maximilians-Universität, also in die Heimat, verschlagen habe, sei ein "Glücksfall" und "Sechser im Lotto", sagt Rüger, er sei heute Lehrender und Forschender gleichermaßen - und sein Studium, sein Beruf hätten seine politische Haltung auch tief geprägt. "Ich habe mich in der Philosophie immer für die Bereiche begeistert, die gesellschaftlich relevant sind", sagt Rüger - bewusst geworden sei ihm dies etwa in der Euro-Krise, als der Austritt Griechenlands tatsächlich zur Debatte stand. "Ich habe damals schon darüber nachgedacht, was sich ändern muss, wie die Vorteile einer Währungsunion besser verteilt werden können." Gerechtigkeit sei die große Frage dieser Zeit, sagt Rüger - auch beim Klimaschutz. "Die Lasten, die wir jetzt eigentlich tragen müssten, schieben wir in die Zukunft und bürden sie Menschen auf, die sich nicht dagegen wehren können und nicht einmal dagegen stimmen können", sagt Rüger, der seit 2012 SPD-Mitglied ist. Und gerade beim Thema Klimaschutz mahnt er: "Wir haben nicht mehr genügend Zeit, die nächsten vier Jahre sind so entscheidend und wir können uns nicht noch einmal eine unionsgeführte Bundesregierung leisten." Dies gelte auch in anderen Bereichen: Das Steuersystem sei extrem ungerecht, wie auch das Gesundheitssystem oder der Wohnungsmarkt, kritisiert Rüger. Will da etwa einer die SPD weiter nach links rücken? "Wenn es an Verteilungsfragen geht, weiß ich nicht, ob links da der richtige Begriff ist", sagt er. "Wir müssen viel grundsätzlicher an die Sachen rangehen und wie etwa beim Klimaschutz nicht mehr als Stückwerk."

Sein großes Thema neben der Gerechtigkeitsfrage aber bleibt Europa. "Ich will die Vereinigten Staaten von Europa", ist ein Satz, den er gerne wiederholt. Bei der Europawahl 2019 hat Rüger schon einmal für die SPD kandidiert, auf einem aussichtslosen Listenplatz. Auch damals wurde er nicht gefragt, er sei einfach in seinen Planegger Ortsverein gegangen und habe gefragt, ob im Landkreis für die SPD jemand antritt. "Da haben viele große Augen bekommen. ,Wissen wir nicht', war die Antwort." Er hat es dann trotzdem gemacht. "Ich hatte ja nichts zu verlieren."

© SZ vom 03.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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