Schulkinder aller Altersklassen müssen seit voriger Woche auch während des Unterrichts immer eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Immer mehr Eltern sehen in der Maskenpflicht für Grundschüler eine unnötige Gängelung ihrer Kinder. Der Rosenheimer Anwalt Christoph Lindner, dessen Tochter die 1. Klasse besucht, hat eine Klage wegen Unverhältnismäßigkeit beim Verwaltungsgericht München eingereicht, die Mutter einer Neunjährigen sagte bei der Bürgerversammlung in Aschheim, die Kinder sähen sich wegen der Maske inzwischen "gegenseitig als Gefahr". Sind diese Sorgen berechtigt? Im SZ-Interview gibt Karin Biskup-Meyer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie aus Grünwald, Entwarnung.
SZ: Frau Dr. Biskup-Meyer, Sie behandeln seit 26 Jahren Kinder und Jugendliche aller Altersstufen bei psychischen Problemen. Haben Sie festgestellt, dass die im Unterricht zu tragenden Mund-Nasen-Bedeckungen Auswirkungen auf deren Kommunikation oder Verhalten haben?
Karin Biskup-Meyer: Ich kann aus meiner Erfahrung berichten, dass das Verhalten von Grundschülern völlig unbekümmert ist. Wenn sie die Maske gewohnt sind, sind sie in meiner Praxis bei der Interaktion mit aktuell maximal zwei anderen Kindern, die ja auch eine Maske tragen, unbeeindruckt von dieser. Da ich ebenfalls eine Maske trage und mit ihnen gesprochen habe, dass das jetzt eine Notwendigkeit ist, ist das für alle völlig normal. Kinder haben ja viel feinere Antennen, mit denen sie wahrnehmen, in welcher Stimmung die Menschen, die ihnen gegenüberstehen, sind. Sie machen aus dem Maskentragen keine Katastrophe.
Ist es in der Schule genauso?
Ja, wenn die Lehrer eine Maske tragen und den Schülern glaubhaft vorgemacht wird, dass dies gerade notwendig ist, dann sind Grundschulkinder sicher diejenigen, die sich am bereitwilligsten daran halten. Dazu gehört auch, dass eine Einheit in der Klasse besteht, weil alle eine Maske tragen. Die Maske ist nicht ausschlaggebend für die Interaktion in einer Gruppe. Ich bin sicher, dass die Maske für Kinder kein Grund ist, einen Mitschüler als Gefahr zu empfinden.
Welche Rolle spielt das Verhalten der Gruppe dabei?
In einer Gruppe gibt es bestimmte Merkmale. Ein Kind nimmt diese wahr. Nehmen Sie zum Beispiel Pokémon-Karten. Wenn andere damit spielen und die miteinander austauschen, dann will jedes Kind das auch tun, weil es sich dann zugehörig und akzeptiert fühlt. Für Kinder ist ein Solidaritäts- und Zugehörigkeitsempfinden zu einer Klasse oder einer Sportgruppe wichtig. Sie können ein Solidaritätsgefühl nur in Gruppen entwickeln.
Die Kinder müssen die Masken jetzt die ganze Unterrichtszeit über tragen. Spielt das hinsichtlich der Aufmerksamkeit und Teilnahme keine Rolle?
Das Maskentragen ist eine der vielen Maßnahmen, an die sich Kinder während ihrer Schulzeit gewöhnen müssen. Das erste ist der Pausengong. Dass sie rausgehen und auf dem Pausenhof spielen dürfen, sobald der Gong ertönt, lernen Kinder ganz schnell. Und auch dass die Pause jetzt zu verschiedenen Uhrzeiten ist, wissen sie innerhalb eines Tages. Viel schlimmer war es für Kinder, dass sie, kaum aus den Sommerferien zurückgekehrt, erneut für 14 Tage zuhause bleiben mussten, weil es in ihrer Parallelklasse einen Corona-Fall gab und einige von ihnen mit Kindern dieser Klasse zusammen Religion hatten. Kinder unterstützen alle Maßnahmen, um weiterhin ihre Altersgenossen, etwa in der Schule, treffen zu können.
Gefährden Masken die Gesundheit der Kinder, wie manche Menschen behaupten?
Ich möchte dazu nur als Fachärztin für seelische Erkrankungen von Kindern etwas sagen. Ich denke, der Faktor Maske ist nicht allein das, was die Kinder irritiert. Die mit der Pandemie in Zusammenhang stehende Veränderung der Lebensgewohnheiten beeinflusst sicherlich das seelische Empfinden der Kinder. Aber in welchem Ausmaß die Masken allein jetzt einen Einfluss haben, kann ich heute noch nicht prognostizieren.
Akzeptieren ältere Schülerinnen und Schüler ebenso problemlos die Maskenpflicht wie Ihrer Meinung nach die jüngeren?
Natürlich ist die Maskenpflicht ein Eingriff in die eigene Lebensbestimmtheit, und das empfinden ältere Schüler wesentlich gravierender als jüngere. Ich habe von älteren Jugendlichen bislang allerdings nicht gehört, dass sie die Maske allein als störend hinsichtlich des Umgangs mit den anderen empfinden. Ich kann mir vorstellen, dass viel eher die Erwachsenen Probleme damit haben, dass ihnen jemand sagt, was sie jetzt tun müssen. Für Kinder wird es schwierig und sie werden unsicher, wenn sie zuhause das Gegenteil von dem hören beziehungsweise erleben, was ihnen die Lehrer sagen und vormachen. Das Vorbild der Eltern ist wichtig und dass eine zuversichtliche Grundstimmung herrscht.