Nachhaltigkeit:Tausche Motorsäge gegen Massage

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Thomas Wiedemann, Sabine von der Heyde und Walter Dürr (von links mit selbst gestalteten Kerzen aus Wachsresten) engagieren sich beim Talente-Brunnen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Seit mehr als zehn Jahren unterstützen sich die Mitglieder des Talente-Brunnens in Hohenbrunn und Umgebung gegenseitig mit Dingen und Dienstleistungen. Jetzt soll der Aktionsradius ausgeweitet werden.

Von Angela Boschert, Hohenbrunn

Die Hose ist zerrissen, der Gartenzaun muss dringend repariert werden, die Tochter braucht Nachhilfe, die gehbehinderte Schwiegermutter hat am Mittwoch einen Arzttermin, doch der eigene Terminkalender weist in den nächsten Tagen keine Lücken auf. Wer kennt das nicht? Wie schön wäre eine helfende Hand. In diesen und vielen anderen Fällen bietet der "Talente-Brunnen" Hilfe. Er setzt bereits seit 2010 die Grundidee des Tauschens von Waren und Dienstleistungen um und lädt etwa an diesem Montagabend zum "Markttreffen" in den Alten Wirt nach Hohenbrunn.

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Der Talente-Brunnen wurde in Hohenbrunn gegründet und agiert auch in den umliegenden Gemeinden Neubiberg, Ottobrunn, Putzbrunn, Grasbrunn, Brunnthal, Höhenkirchen-Siegertsbrunn, Egmating und Oberpframmern. Jetzt soll noch Aying dazukommen. Ziel ist der ressourcenschonende und verlässliche Austausch von Dienstleistungen und Gütern in einem nachbarschaftlich organisierten Rahmen. Es gibt etwa Computerkurse, Geschirrverleih, Umzugshilfe, Musikunterricht, Yoga und Abenteuertouren, um nur einiges zu nennen. Das Netzwerk bietet viele Möglichkeiten, es kann auch überregional und sogar international getauscht werden, etwa Ferienwohnungen oder Führungen.

Der Talente-Brunnen ist offen für jeden, der Fertigkeiten, Kenntnisse und Dinge hat oder sucht. Getreu dem Konzept, dass Lebenszeit für alle Menschen gleich wertvoll ist, werden Waren und Dienstleistungen rein nach Zeit abgerechnet und in Talenten, wie die Tauschwährung in Anlehnung an die alte römische Währungseinheit genannt wird, vergütet. 20 Talente entsprechen einer Stunde Zeitaufwand. Gartenarbeit ist daher ebenso viel wert wie Unterstützung bei Behördengängen. Tritt man in den Tauschkreis ein, erhält man 500 Talente als Startkapital, tritt man aus, muss man diese wieder zurückgeben. Jedes Mitglied hat ein Talente-Heft, in das es einträgt, wie viel Talente beispielsweise der selbstgebackene Kuchen kostet oder dem Bäcker einbringt. Der Tauschpartner bestätigt dies mittels Unterschrift.

"Eine tolle Auszeit für meine berufliche Kopfarbeit"

"Vieles erledigt sich schon am Marktabend selbst", berichtet der Personalmanager Walter Dürr, der schon seit 2013 zum Organisationsteam dieser besonderen Nachbarschaftshilfe-Organisation gehört. Es träfen sich meistens 20 bis 30 Mitglieder, stellten kurz vor, was sie bieten oder suchen, und dann ergäben sich schnell Gespräche oder Tauschgeschäfte. Tauschen spare nicht nur Ressourcen, sondern begründe tolle Freundschaften und mache glücklich, sind Dürr und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter überzeugt. Die PR-Agentin Sabine von der Heyde etwa engagiert sich beim Tauschring, weil es "eine tolle Auszeit für meine berufliche Kopfarbeit ist", wie sie sagt. Sie ist seit 2013 dabei und gestaltet nicht nur aus Wachsresten, die sie über den Talente-Brunnen erhält, wunderschöne Kerzen, sondern bereitet auch einen Hustensirup aus eigenem Salbei, Thymian und Zuckerrohr zu, den sie anbietet. Dafür hat sie schon eine Putzhilfe und einen Katzensitter gefunden und lässt sich immer wieder mal mit einer Massage verwöhnen.

Thomas Wiedemann kam 2019 dazu und ist ebenso begeistert. Er hat sich gleich um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert und will den Talente-Brunnen möglichst bald auch in seinem Wohnort Aying etablieren. Zudem will er eine App installieren, mit der man Waren und Dienstleistungen suchen oder anbieten und den Tausch ausführen kann. Aber es geht auch gut offline: So berichtet Wiedemann lachend, dass er einmal ohne bestimmte Absicht zum Markttreffen gekommen sei und dann mit einer elektrischen Kettensäge nach Hause gegangen ist. Sie wurde angeboten, und so habe er sich spontan einen langgehegten Wunsch erfüllt.

Walter Dürr war eher zufällig bei einem der ersten Treffen 2012: "Weil meine Frau, die in der Zeitung davon gelesen hatte, nicht konnte", erzählt er. Dürrs Frau näht gerne und bietet diesen Dienst an, er selbst kümmert sich schon immer um organisatorische Aufgaben, wie etwa das monatliche Markttreffen, das Markthoffest zum Herbstanfang und die Kleidertauschmärkt e im Frühjahr und Herbst, die früher in Hohenbrunn, zuletzt aber in Neubiberg stattfanden. "Mitglied werden tut nicht weh und man kann viel entdecken und tut etwas für seine Umwelt", wirbt Dürr für das Projekt.

Weitere Informationen unter https://talente-brunnen.de .

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