Garching:Atomkraft-Gegner beklagen "Freifahrtschein" für Reaktor

Lesezeit: 2 Min.

Der Streit klingt nicht ab, auch wenn die Forschungs-Neutronenquelle (FRM II) am Heinz-Maier-Leibnitz-Zentrum in Garching derzeit stillsteht. (Foto: Robert Haas)

In einer zwischen Bundesregierung und Freistaat vor zwei Jahren geschlossenen Vereinbarung sehen Umweltschützer den Versuch, den Betrieb mit hoch angereichertem Uran auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern.

Von Lars Brunckhorst und Irmengard Gnau, Garching

Umweltschützer in Bayern haben ihre Kritik an dem unveränderten Fortbetrieb des Forschungsreaktors (FRM II) in Garching mit Brennstoff aus hoch angereichertem Uran erneuert. Hintergrund ist das Bekanntwerden einer Ende 2020 ausgehandelten Vereinbarung zwischen dem damals CDU-geführten Bundesforschungsministerium und dem von der CSU geleiteten bayerischen Wissenschaftsministerium, mit welcher die Frist verlängert wurde, bis wann der FRM II auf einen niedriger angereicherten Brennstoff umgestellt werden muss. Darin ist nur vage von einer Umrüstung zum "frühestmöglichen Zeitpunkt" die Rede. Damit erteile die Politik der Technischen Universität (TU) München als Betreiber einen "Freifahrtschein" für den Weiterbetrieb unter illegitimen Voraussetzungen, kritisieren der Bund Naturschutz in Bayern, Landespolitiker der Grünen und das Umweltinstitut München.

Mit der Vereinbarung versuchten die Söder-Regierung und die frühere Bundesregierung, die atomrechtlichen Bestimmungen zu unterlaufen, sagt Hauke Doerk, Atomreferent am Umweltinstitut, das die Vereinbarung jetzt veröffentlicht hat. "Der Wortlaut rechtfertigt es praktisch, die Umrüstung von hochangereichertem Uran auf niedrigere Anreicherung auf ewig hinauszuzögern", so Doerk, der zudem kritisiert, dass die Staatsregierung es nicht für nötig gehalten habe, die Öffentlichkeit zu informieren.

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Auch aus Sicht des Bundes Naturschutz (BN) ist die Vereinbarung ein "weiterer Versuch der TU München, die Umrüstung weiter hinauszuzögern". Es erwecke den Eindruck, die Ministerien und die TU würden "gemeinsame Sache machen, und keiner von beiden hat ernsthaft Interesse, die atomrechtlichen Bestimmungen umzusetzen", sagt der BN-Landesvorsitzende Richard Mergner. "Das Vorgehen bestärkt uns darin, die laufende Klage gegen den illegalen Betrieb des Reaktors weiter mit Nachdruck zu verfolgen."

Weiter Brennelemente mit bis zu 93 Prozent angereichertem Uran einzusetzen, wie es die TU am FRM II in Garching tut, sei nicht zu verantworten, so der Vorwurf der Kritiker. Diese könnten, wenn sie in falsche Hände geraten, auch in abgebranntem Zustand unter bestimmten Voraussetzungen potenziell zur Herstellung von Atomwaffen verwendet werden. Unter dem Stichwort "Proliferation" hat sich die internationale Weltgemeinschaft daher dazu verpflichtet, bei der Nutzung von Atomkraft möglichst auf hoch angereichertes Uran zu verzichten und stattdessen auf niedriger angereichertes zurückzugreifen.

Der FRM II hingegen läuft seit seiner Betriebsgenehmigung 2003 mit hoch angereichertem Uran - allerdings unter der Prämisse, den Betrieb rasch auf niedriger angereicherten Brennstoff umzustellen. Nach Ansicht der Vorsitzenden des Umweltausschusses im Bayerischen Landtag, der Grünen-Landtagsabgeordneten Rosi Steinberger, ist das Festhalten am hoch angereicherten Uran ein "herber Rückschlag für den weltweiten Versuch, die Verbreitung von atomwaffenfähigem Material einzuschränken".

Ursprünglich war als Zeitpunkt der Umrüstung das Jahr 2010 vorgesehen, später wurde diese bis 2018 verschoben. Doch auch seither ist nach Argumentation der TU kein Brennstoff mit niedrigerer Uran-Anreicherung vorhanden, der für den speziellen Aufbau des Reaktors geeignet gewesen wäre und eine Umrüstung unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht hätte. Das wiederum zweifeln die Kritiker an und verweisen unter anderem auf andere Reaktoren weltweit, die bereits umgestellt wurden oder werden.

Eine Forschungsgruppe am FRM II hat über die vergangenen Jahre drei Varianten für einen niedrig angereicherten Brennstoff untersucht. Bis Ende 2022 würden diese Forschungsergebnisse vorliegen, bestätigt eine Sprecherin des Reaktors. Bis 2023 soll dann eine politische Entscheidung über die Umrüstung gefällt werden, das nötige Genehmigungsverfahren einzuleiten, ist Ende 2025 vorgesehen.

Während die politische Diskussion Fahrt aufnimmt, steht der Forschungsreaktor selbst seit zwei Jahren still; im März 2020 war es bei Reinigungsarbeiten zum Austritt radioaktiven Kohlenstoffs in die Luft gekommen; es folgte die Corona-Pandemie, zuletzt mussten wichtige Funktionsteile ersetzt werden. Wann der Reaktor wieder anlaufen kann, sei derzeit noch nicht absehbar, sagt eine Sprecherin.

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