Prozess:Über den Wipfeln ist jetzt Ruh'

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Ingo Blechschmidt gehörte zu den Aktivisten, die Bäume im Forst Kasten besetzten, um sie vor der Abholzung zu schützen. (Foto: Catherina Hess)

Aus Protest gegen Kiesabbau im Forst Kasten hatten Klimaaktivisten vor zwei Jahren Baum-Camps errichtet - das Landratsamt München verhängte daraufhin Bußgeldbescheide. In einem Fall hebt das Amtsgericht diese nun auf.

Von Annette Jäger, Neuried/München

Eine Ausweitung des Kiesabbaus im Wald Forst Kasten bei Neuried ist zwar vom Tisch, aber juristisch abgewickelt ist das Thema noch nicht ganz. Etliche Klimaaktivisten, die im Frühjahr 2021 in dem Wald im Westen Münchens in selbst errichteten Baumhäusern gegen den drohenden Kiesabbau protestiert hatten, haben Bußgeldbescheide erhalten, unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsrecht. Die Baumhaus-Camps wurden zweimal unter großem Polizeiaufgebot geräumt, ein Fall aus dieser Zeit wurde jetzt vor dem Amtsgericht München verhandelt: Der Augsburger Klimaaktivist Ingo Blechschmidt hatte gegen zwei Bußgeldbescheide in Höhe von insgesamt rund 600 Euro Einspruch eingelegt. Das Treffen vor Gericht dauerte genau 15 Minuten, dann stellte der Richter das Verfahren gegen ihn ein, damit sind die Bußgelder nicht zu bezahlen. Die Begründung: Der Protest sei "friedlich und erfolgreich" verlaufen, damit sei eine Ahndung nicht geboten. Für Blechschmidt ist es die Bestätigung, dass "Widerstand wirkt".

Ingo Blechschmidt trägt zum Gerichtstermin eine Krawatte, die einen Norwegenpulli ziert. Es sei eine "Klimakrawatte", erklärt der Gründer des Augsburger Klima-Camps: Am Kragen ist das gestreifte Stoffstück eisblau, was für das vorindustrielle Zeitalter stehe. Nach unten, bis zur Spitze, welche die Gegenwart darstellen soll, gehen die Streifen des Stoffstücks in ein Glutrot über. Die Krawatte symbolisiere die Erderwärmung, sagt Blechschmidt. Sie erinnere ihn daran, wofür er hier im Gerichtssaal sei.

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Daran erinnern auch zwei Schilder, die der 35-Jährige noch schnell vor der Verhandlung im Wartebereich vor dem Gerichtssaal beschriftet hat und die er später auf seinem Platz im Saal aufstellen wird. "Widerstand wirkt" und "Kasti lebt" steht darauf. Mit Kasti meint Blechschmidt den Wald Forst Kasten bei Neuried. Dessen "Rettung" vor dem Kiesabbau sei "ganz klar auf den Widerstand aus der Zivilgesellschaft zurückzuführen" - davon ist der Augsburger Aktivist nach eigenen Worten fest überzeugt. Der Baumprotest habe "auf den Schultern" der Bürgerinitiativen im Würmtal gestanden, die seit Jahrzehnten für den Erhalt des Waldes kämpfen.

Der Widerstand im Frühjahr 2021 bestand in Form einer Mahnwache im Wald und den Baumhaus-Camps, die etwa 15 Klimaaktivisten in einiger Entfernung von der Mahnwache im Wald errichtet hatten. Das Landratsamt München hatte die Auflösung der Baumhaus-Camps angewiesen, woran sich die Aktivisten nicht hielten. Vier Nächte verbrachte Ingo Blechschmidt insgesamt in luftigen Höhen, zweimal kamen Polizeieinsatzkräfte und seilten die Aktivisten ab. Beim zweiten Mal musste Blechschmidt eine Nacht und einen Tag in Haft verbringen.

"Warum haben Sie das gemacht?", fragt Richter Robert Grain in der Verhandlung. Blechschmidt, der ohne Anwalt gekommen ist, antwortet sachlich und klar: Er habe es nicht für angebracht gehalten, tatenlos zuzusehen, wie der Wald für den Kiesabbau freigegeben wird. Der Münchner Stadtrat hatte damals nach heftigen Debatten und zum Teil unter juristischem Zwang dem Kiesabbau auf einer Waldfläche von rund zehn Hektar zugestimmt. Inzwischen wurde der Pachtvertrag zwischen der Stadt und dem Kiesabbauunternehmen im Frühjahr 2023 aufgelöst. Blechschmidt habe im Juni 2021 gezielt die Baumhäuser da einrichten wollen, wo die Rodung geplant war, so der Vorwurf. "Ich wollte dorthin, wo das Umweltverbrechen stattfinden sollte", bestätigt er.

Ungeklärt bleibt die Frage, ob der Polizeieinsatz unverhältnismäßig war

Richter Grain stellt nach einer Viertelstunde Verhandlung beide Bußgeldverfahren ein. Ob er die Protestaktion von der Versammlungsfreiheit als gedeckt ansieht oder gar den Polizeieinsatz für unverhältnismäßig - dazu äußert sich der Richter nicht. Blechschmidt zeigte sich nach der Verhandlung zufrieden, wenngleich er sich mehr erhofft hätte. Der Klimaaktivist hätte gerne den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Zeugenstand gesehen, für "mehr Transparenz" im gesamten Verfahren um den Kiesabbau. Ungeklärt bleibt für ihn so etwa die Frage, wieso die "Kurskorrektur" der Stadt München in Sachen Kiesabbau erst so spät erfolgte.

Ingo Blechschmidt sucht die öffentliche Aufmerksamkeit. Immer wieder lässt er sich ganz bewusst auf eine Konfrontation mit dem Rechtsstaat ein. Seit 2019 setzt sich der promovierte Mathematiker, der an der Uni Augsburg doziert, nach eigenen Aussagen für Klimagerechtigkeit ein. "Davor war ich nur in der Mathematikerwelt", sagt er vor der Verhandlung. Er sei völlig unpolitisch gewesen. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg habe ihn aufgerüttelt. Zuerst habe er an den Demos der Klimaaktivisten Fridays for Future teilgenommen, im Vertrauen, dass sich die Politiker um das Klimathema kümmern würden.

Als das Bundesverfassungsgericht im April 2021 das von der Regierung erlassene Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte, sei damit ein klarer Rechtsbruch der Regierung bestätigt gewesen. Fortan wählte er eine neue Form des Protests - eine, die zu mehr Aufmerksamkeit führte. Der Rechtsstaat sei "das höchste Gut", sagt Blechschmidt vor dem Gerichtssaal am Donnerstag. Aber wenn man sich an alle Normen und Gesetze halte, dann sei das ein klarer Verstoß gegen das Pariser Klimaschutzabkommen. Und das sei auch nicht rechtens.

Seine Mitstreiter im Fort Kasten haben nach Blechschmidts Aussage ebenso Bußgeldbescheide erhalten. Jene, die auch Widerspruch eingelegt hätten, würden auf ihre Verfahren noch warten. Dass sein Verfahren eingestellt worden ist, wertet der 35-Jährige als positives Signal für seine Mitstreiter.

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