Traditionelle Wirtshäuser:"Früher haben die Leute viel schneller getrunken"

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Bedienung Liesl Petz kann viele Geschichten aus vergangener Zeit erzählen. (Foto: Christina Hertel)

Als Liesl Petz vor mehr als 50 Jahren im Schäfflerwirt in Aschheim anfing, prügelten sich die Männer in der Gaststube und fuhren besoffen mit dem Auto heim. Seither hat sich viel geändert, aber sie steht immer noch hinter der Theke - sogar am Tag ihrer Silberhochzeit.

Von Christina Hertel

Das Bier kostete 90 Pfennig und ein Schweinsbraten 3,75 Mark, als Liesl Petz anfing, im Schäfflerwirt in Aschheim zu bedienen. Damals war sie Anfang 20 und gerade frisch verheiratet. Inzwischen ist sie fast 80, hat graue Locken und das Bier kostet heute etwa so viel wie damals der Braten - in Euro.

Doch Petz steht noch immer mindestens einmal die Woche hinter der Theke und schenkt Bier aus. Am Abend ihrer Silberhochzeit arbeitete Petz in der Wirtsstube - geärgert habe sie sich darüber nicht, sagt sie: "Wenn ich noch laufen könnte so wie früher, würde ich den Leuten heute noch das Bier an den Platz bringen." Wer also wissen will, wie es im Schäfflerwirt früher war und wie es heute ist, fragt am besten Liesl Petz.

Die Wirtsleute Emmeran Haller, Clarissa Urban und Gerti Haller (von links) vor dem Masskrugtresor . (Foto: Claus Schunk)

Petz sitzt an einem Dienstagvormittag in der Wirtsstube an einem Holztisch mit einer kleinen Kerbe in der Mitte - von der jüngsten Wirtshausschlägerei, als einer vor lauter Wut einen Tisch packte und auf einen anderen warf. 18 Jahre ist das inzwischen her und an den Auslöser kann sich heute niemand mehr erinnern. "Wie das so ist: Ein Wort gibt das andere. Der Mann bekam Hausverbot. Aber am nächsten Tag stand er wieder da", sagt Gerti Haller. Sie führt gemeinsam mit ihren Kindern Clarissa Urban, 33, und Emmeran Haller, 36, die Wirtschaft. Sie alle sitzen mit an diesem Tisch mit der Kerbe, auf dem ein altes Fotoalbum und ein Stapel Schwarzweißbilder ausgebreitet sind. Besonders häufig darauf abgebildet: Männer und Biergläser.

Als Liesl Petz Anfang der Sechzigerjahre in dem Wirtshaus begann, war sie nach eigenen Worten meistens die einzige Frau - weil sich Biertrinken und Am-Stammtisch-Sitzen für eine Dame nicht gehörte. Vorbeigekommen seien die Frauen meistens bloß freitags, an dem Tag, an dem die Männer ihren Lohn erhielten - um zu verhindern, dass sie alles versoffen.

"Früher war bei uns jede elfte Halbe frei. Ich hab's einmal erlebt, dass einer drei Freibier bekommen hat", sagt Liesl Petz. Während der Gast seine 33 Bier trank, wartete draußen auf dem Hof an einer Leine seine Sau auf ihn. Ein anderer, der immer Bier und abwechselnd Schnaps bestellte, hatte draußen vor der Tür sein Auto geparkt. "Und wenn er gehen wollte, hat er immer gefragt: Liesl, komm, helf mir mal ausparken", erzählt Petz.

Der Schäfflerwirt in Aschheim wurde modernisiert und unter anderem auch ein Masskrugtresor für Stammgäste eingerichtet, für den es bereits eine lange Warteliste gibt. Repro: Angelika Bardehle (Foto: N/A)

Das würde heute nicht mehr passieren. "Früher haben die Leute viel schneller getrunken und sind trotzdem weniger getorkelt", sagt Petz. Vielleicht weil ihre Gäste früher vor allem Menschen waren, die körperlich arbeiteten - Maurer, Handwerker, Straßenarbeiter. Die Autobahn war damals noch nicht gebaut und auf ihrem Weg nach München mussten sie alle am Schäfflerwirt vorbei. Jeden Mittag sei die Gaststube mit um die hundert Männern voll gewesen, die Gulasch aßen, Braten und Kotelett - Hauptsache Fleisch, Hauptsache viel. Nach dem Krieg kamen Jahre des Aufschwungs, und wann immer es ging, wollten die Menschen den Magen voll haben.

Heute besuchen die Wirtschaft auch Businessleute im Anzug, die bei der Messe arbeiten, und Promis, die in München auftreten: An der Wand hängen Fotos der Band Boney M. und dem Bergsteiger Reinhold Messner. Es würden jedoch auch immer noch viele einfache Leute, viele Handwerker und viele Stammgäste kommen, sagt Emmeran Haller.

Vor der Stube stehen in einem Schrank um die 60 Krüge, die Gästen gehören, die mindestens zwei, drei Mal im Monat in das Wirtshaus gehen. 20 Euro kostet das Miete, der Betrag wird gespendet. "Wir haben eine Warteliste, auf der bestimmt 15 Personen stehen", sagt Emmeran Haller. Stammgäste fahre er auch mal nach Hause, wenn sie zu viel getrunken hätten. Denn anders als früher sei es heute in so einer Situation natürlich nicht mehr zu vertreten, einfach nur das Auto auszuparken.

Vor allem Männer kehrten im Schäfflerwirt ein, um zünftig zu essen und zu trinken. (Foto: Angelika Bardehle)

Auch über eine Speisekarte, auf der Gemüse nur als Beilage steht, würden sich heute wohl die meisten Gäste wundern. Deshalb stehen neben dem, was schon immer darauf zu finden war (Schweinsbraten) und dem, was die Leute jetzt wieder für sich entdecken (Innereien wie Kalbsleber) auch große Salatteller und Fischgerichte. Doch abgesehen davon, dass die Gäste heute nicht nur etwas "Gescheit's", wie Liesl Petz es ausdrückt, sondern häufig auch etwas Gesundes auf dem Teller haben wollen, bemühen sich die Wirte, das meiste so zu belassen, wie es früher war.

Vor sieben Jahren ließen sie zwar die Stube modernisieren, aber sie wirkt noch immer urig: holzvertäfelte Wände, hölzerne Tische und Stühle. Es gibt noch immer das "Guckerl", ein kleines Fenster, aus dem die Gründer der Wirtschaft, Johann und Maria Weiß, vor fast 125 Jahren das erste Bier ausschenkten. Sie waren Landwirte und Schäffler, also Fassmacher, und daher kommt auch der Name des Lokals.

Bis heute tanzt Emmeran Haller bei den Schäfflern mit - so wie sein Vater, sein Großvater und dessen Vater vor ihm. Fotos von ihnen im Schäfflerkostüm - rote Jacke, grüne Mützen, weiße Strümpfen - hängen an der Wand. Wenn sie tanzen, heben die Männer gleichzeitig die Knie, tippeln aufeinander zu und von einander weg und tragen dabei bogenförmige Kränze.

Der Legende nach, an deren Echtheit allerdings Zweifel bestehen, sollen die Schäffler diesen Tanz zum ersten Mal nach einer Pest-Epidemie 1517 aufgeführt haben. Diejenigen, die überlebt hatten, trauten sich damals angeblich nicht aus ihren Häusern - erst die Schäffler lockten sie wieder auf die Straßen. Alle sieben Jahre führen sie den Tanz seitdem auf - weil die Pest angeblich alle sieben Jahre zurückkam, und weil die Sieben als Glückszahl gilt. Seit die Wirtsfamilie besteht, tanzte bei den Aschheimer Schäfflern seit 1896 in jeder Generation ein Mann mit. Die Familienmitglieder klingen ein wenig stolz, wenn sie von ihrer langen Geschichte erzählen.

Für ihre Kinder habe sie immer versucht, alles zu erhalten, obwohl sie am Anfang fremd gewesen sei, sagt Gerti Haller. Sie zog Anfang der Achtzigerjahre mit 28 von München nach Aschheim, weil sie den Wirt Johann Haller heiratete. Sie hatte zuvor für eine Bank gearbeitet, plötzlich musste sie Kartoffeln schälen. Natürlich sei das eine Umstellung gewesen. "Viel Arbeit, wenig Schlaf", sagt sie. Wenn ihre Kinder oben schliefen, habe sie unten in der Wirtsstube mitgeholfen. Dann erkrankte ihr Mann Ende der Neunzigerjahre an Leukämie und starb, ihr Sohn war damals 15 und ihre Tochter elf Jahre alt.

Damals sei schnell klar gewesen, dass sie den Betrieb nicht mehr so weiterführen konnte wie bisher. Um die Felder, auf denen bis dahin ihr Mann Kartoffeln gepflanzt hatte, kümmert sich seitdem ein Bauer. Doch dass sie mehr verkaufen würde als die Maschinen, habe nie ernsthaft zur Diskussion gestanden. "Die Oma hat immer gesagt: Die Familie hält zusammen."

Und aus diesem Grund habe sie auch immer so gerne beim Schäfflerwirt gearbeitet, sagt Liesl Petz, weil alle dort wie eine große Familie seien. "Früher machten meine Kinder jeden Tag im Büro ihre Hausaufgaben." Heute bringt der sechsjährige Sohn von Emmeran Haller Freunde zum Spielen mit.

© SZ vom 06.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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