Erzdiözese München und Freising:"Wir müssen nicht auf Rom warten"

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Kardinal Reinhard Marx ist Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hier bei der Abschlussveranstaltung der Frühjahrsvollversammlung. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Dem Erzbistum laufen die Gläubigen davon, Kardinal Marx debattiert mit Laien über Macht und Sexualmoral. Es gibt sogar Überlegungen, sich Kirchen mit Protestanten zu teilen.

Von Jakob Wetzel

Wo solle er anfangen, wo aufhören, fragt der Kardinal. Es liegt so viel auf dem Tisch: die große Frage etwa, welche Konsequenzen die katholische Kirche aus den Missbrauchsfällen ziehen soll; da dürfe man auch die heiklen Punkte nicht länger aussparen, den Zölibat, die überkommene Sexualmoral oder die Machtverteilung in der Kirche, sagt Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising. Es sei falsch gewesen, diese Fragen auszublenden. Oder das Thema, welche Rolle Frauen in der Kirche spielen dürfen. Wie sich die Qualität von Gottesdiensten steigern lässt. Wie Ehrenamtliche weitergebildet und wertgeschätzt werden. Und wie das Erzbistum in eine Zukunft gehen kann, in der es immer weniger Katholiken gibt, weniger Gottesdienstbesucher und weniger Seelsorger.

Marx ist am Samstag nach Oberschleißheim zur Vollversammlung des Diözesanrats gekommen, zur obersten Vertretung der Laien seiner Erzdiözese. Delegierte aus Verbänden und Pfarrgemeinden diskutieren, wie es mit ihrer Kirche weitergehen kann. Was soll bleiben, was muss sich ändern? Einigkeit herrscht nicht unter den etwa 170 Teilnehmern. Doch Reformwille ist bei den meisten zu spüren - bei den Laien ebenso wie bei der Amtskirche.

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Dass sich etwas ändern muss, zeigt die Statistik. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Kirchenmitglieder im Erzbistum von 1,9 Millionen auf zuletzt 1,69 Millionen gesunken; die Zahl der Gottesdienstbesucher nahm parallel überproportional ab. Allein 2018 sind 18 000 Menschen im Erzbistum aus der katholischen Kirche ausgetreten. Und die Zahl der Bestattungen liegt konstant über der der Taufen.

Eine "große Herausforderung" sei angesichts dessen etwa, was langfristig mit den vielen Kirchengebäuden in der Erzdiözese geschehen solle, sagt Generalvikar Peter Beer. Schon jetzt klaffe die Schere "zwischen dem, was der Erhalt kostet, und dem, was in der jeweiligen Kirche passiert", immer weiter auseinander. "Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir, wenn wir so weitermachen wie bisher, unsere ganzen Ressourcen in die Steine stecken." Als Faustregel für die Zukunft gelte, dass Kirchen in kirchlichem Besitz gehalten und kirchlich genutzt werden sollten, dass ein Ort des Gebetes erhalten bleiben müsse. Womöglich könne man dabei mit der evangelischen Kirche kooperieren.

Die Kirchenverwaltung soll ebenfalls reformiert werden, laut Beer soll künftig weniger zentral entschieden werden. Langfristig sei sogar denkbar, dass die Verwaltung aus ihrem erst 2016 bezogenen neuen Ordinariatsgebäude wieder ausziehe - die Immobilie könne zu groß werden und vermietet werden. Die Personalstrategie steht ebenfalls auf dem Prüfstand, nicht zuletzt das kirchliche Arbeitsrecht, das bislang häufig zum Beispiel Wiederverheiratete diskriminiert. Auf diese Weise finde man schwerlich neues Personal, sagt Beer. "Es kommt keiner in den kirchlichen Dienst, wenn wir Loyalitätsverpflichtungen haben, die als willkürlich erlebt werden." Und künftig wolle man bei der Zuweisung von Seelsorgern nicht mehr nur auf die Katholikenzahl in einer Gemeinde sehen, sondern auf alle Menschen, erklärt der kirchliche Personalchef Klaus Peter Franzl.

Hans Tremmel, der Vorsitzende des Diözesanrats, fordert ohnehin entschlossene Reformen. Der Kirche liefen die Gläubigen davon, nicht erst seit den Finanz- und Missbrauchsskandalen, sagte Tremmel. Manchmal sei es peinlich, Kirche zu sein. "Es brennt bereits, und manche geweihte Herren überlegen immer noch, ob die mittelalterlichen Brandschutzmaßnahmen nicht vielleicht doch ausreichend sind. Nein, das sind sie nicht." Nötig seien unabhängige Kontroll- und Gerichtsinstanzen, unvoreingenommene Beschwerdestellen und transparente Entscheidungswege. "Wir brauchen eine menschenfreundliche Sexualmoral und eine an den Menschenrechten orientierte Ethik und Theologie, die auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau wirklich ernst nimmt. Wir brauchen echte Kompetenz auf allen Ebenen und Bewegung im Zugang zu den Weiheämtern." Angst müsse man vor dieser Entwicklung keine haben, sagt Tremmel. Im Gegenteil: "Angst müsste man ohne sie haben."

Den Kardinal, der zuletzt in Predigten, in einem Hirtenbrief und auf der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, deren Vorsitzender er ist, für Erneuerung geworben hat, weiß Tremmel auf seiner Seite. Als einzelne Diözesanratsmitglieder den Reformeifer bremsen wollen und etwa sagen, die Lösung liege einfach darin, mehr zu beten und den Glauben in die Familien zurückzubringen, da antwortet der Kardinal: Man müsse dafür Sorge tragen, dass die frohe Botschaft des christlichen Glaubens für die Menschen überhaupt eine frohe sei und keine der Angst, der Langeweile oder schlicht der Vergangenheit. "Früher war alles besser: Wer das denkt, gewinnt die Zukunft nicht."

Kritik am Erzbischof wird am Samstag nicht laut; mit allem zufrieden sind die katholischen Laien zwar nicht; es mangele an Transparenz, klagt einer, andere wollen mehr Mitsprache und Beteiligung, und nicht nur Tremmel fordert Marx auf, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Er habe manchmal das Gefühl, "uns fehlt die Kraft der Umsetzung", räumt der Kardinal später ein. Doch dass er für Reformen eintritt, für weniger Hierarchien und für Offenheit zum Beispiel für Homosexuelle in der Kirche, das nötigt mehreren Teilnehmern Respekt ab. Der Diözesanrat könne zwar keine Resolution verabschieden, sagt etwa Ernest Lang. Doch er wolle als Mitglied zumindest seine Stimme erheben, um Marx den Rücken zu stärken.

Zur Bekämpfung von Missbrauch sagt Marx: "Wir müssen nicht auf Rom warten, wir müssen unseren Weg gehen." Die deutschen Bischöfe haben vor wenigen Tagen im emsländischen Lingen beschlossen, einen breiten Dialog über strukturelle Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal zu beginnen, also danach zu fragen, wie Täter zu Tätern wurden, warum ihre Taten nicht aufgedeckt und warum die Täter nicht verfolgt wurden, wie Generalvikar Beer erklärt. Solche Fragen würden in der Weltkirche noch ausgeklammert, "weil man da nicht ran will", sagt Marx. "Aber das wird kommen, oder wir müssen das immer wieder einbringen." Am Ende müsse sich die ganze katholische Kirche bewegen. "Warum nicht auch einen gewissen Druck, einen gewissen Veränderungswillen sichtbar machen? Sonst ändert sich nie etwas."

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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