Missbrauchskonferenz:Die katholische Kirche braucht eine kopernikanische Wende

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Papst Franziskus während des Missbrauchsgipfels im Vatikan (Foto: dpa)

Sie hängt am Bild einer Gemeinschaft, die sich selbst genügt und um ihrer selber willen existiert. Um ein neues Kirchenverständnis aufzubauen, muss der Papst nun klare Regeln aufstellen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Giovanni Domenico Cassini war ein hochgelehrter Mann. Der Astronom aus Ligurien berechnete die Neigung der Erdbahn und den Sonnendurchmesser, er wurde 1669 Chef der Akademie der Wissenschaften in Paris. Nur mochte er nicht glauben, dass sich die Erde um die Sonne dreht. All seine Meisterschaft verwendete Cassini darauf, ein Weltbild zu stützen, das nicht mehr zu halten war, wie schön es die Kirche und ihre Theologen auch erdacht haben mochten: Der Mensch, die Krone der Schöpfung, muss im Zentrum des Kosmos stehen.

Wer 350 Jahre später beobachtet, wie die katholische Kirche um ihren Weg durch die Zeit ringt, wie sie versucht, auf den Skandal zu reagieren, dass weltweit so viele Priester und Ordensleute Kindern, Jugendlichen, Frauen, Männern sexuelle Gewalt angetan haben, sieht sich an den tragischen Meister Cassini erinnert. Die Cassinis des Jahres 2019 hängen am Bild einer reinen, makellosen Kirche, in der zwar einzelne Menschen Böses tun, die aber als Ganze unfehlbar ist, und deren Priester Gott ein gutes Stück näher stehen als die gewöhnlichen Menschen. Sie hängen am Bild einer Gemeinschaft, die sich selber genügt und um ihrer selber willen existiert, mit klaren Wahrheiten, festen Traditionen und einem Sack starrer Verhaltensregeln, die sich vor allem um die Sexualität drehen.

Es sind nicht nur die Kardinäle Gerhard Ludwig Müller, Walter Brandmüller oder Raymond Burke, die dieses Bild verteidigen wie ihre Vorgänger die Geozentrik, die leugnen, dass der Missbrauch seine Wurzel im System hat. Auch unter den Bischöfen und Kardinälen, die sich zurzeit in Rom zum Krisengipfel mit Papst Franziskus treffen, denkt mancher so. Das alte Weltbild hat ja seine Stärken und seine über Jahrhunderte verfeinerte innere Logik; es verspricht Klarheit, Geschlossenheit, Kampfkraft gegen die Übel der Welt; es gab Papst Johannes Paul II. die Kraft, dem Totalanspruch des Kommunismus zu widerstehen. Doch nun zeigt sich: Der Preis dieses Weltbildes ist zu hoch.

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Der Preis ist die innere Aushöhlung des Glaubens, weil sich die Regeln und ihr Sinn immer weiter voneinander entfernen, ist die narzisstische Fixierung auf die Institution und ihre Befindlichkeit; der Preis sind Erstarrung, Enge, Sprachlosigkeit. Er materialisiert sich im weltweiten Glaubwürdigkeitsverlust, in der Doppelmoral jener schwulen Priester, Bischöfe, Kardinäle, die Homosexualität verdammen und zugleich heimlich leben. Seine furchtbarste Folge ist die Gewalt: begangen oft von Priestern, die ihre Lebensform in die Existenzkrise geführt hat, vertuscht im Namen einer Kirche, die heilig und rein bleiben muss; eines Brüderbundes, den die Vorstellung, unverwundbar zu sein, stumpf macht für das Leid der anderen.

Es hat lange gedauert, bis die Papstkirche die Erkenntnisse von Kopernikus und Galilei anerkannte - Papst Franziskus immerhin hat einige der Krankheiten benannt, an denen die katholische Kirche leidet: den Klerikalismus, die Selbstbezogenheit, die Angst, sich der Wirklichkeit des Lebens auszusetzen, sich angreifbar und verletzlich zu machen, um der Menschen willen. Doch auch der Papst ist eigentümlich inkonsequent: Kurz vor Beginn des Krisentreffens, vom Vatikan beschönigend Kinderschutzkonferenz genannt, hat er aus seiner Sicht destruktive Kirchenkritiker als vom Teufel inspiriert genannt - ein Schlag für alle Missbrauchs-Betroffenen, die erst den Skandal verursachen mussten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und ja, Kardinal Tagles Tränen waren echt, als er seinen Mitbrüdern sagte, dass sie ihren Glauben verraten, wenn sie sich nicht dem Schmerz der Opfer aussetzen. Aber was wäre es für ein Zeichen gewesen, hätte einer der Betroffenen die Konferenz eröffnet - und die Hirten hätten sich seinem so unversöhnten wie gerechten Zorn aussetzen müssen.

Der Papst muss klare Regeln verkünden

Die katholische Kirche hat eine Umkehr nötig, doch in vier Konferenztagen ist das nicht zu schaffen. Aber sie können die Richtung bestimmen, in die sich die Kirche weiterentwickeln wird. Wenn am Ende alle so entschieden wie unbestimmt gegen Missbrauch sind, hat das alte Weltbild gesiegt. Wenn der Papst aber klare Regeln verkündet, wie die Kirche künftig mit Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten will, wie sie Betroffenen helfen und sie angemessen entschädigen will, wenn sie klarstellt, dass ein Täter kein Priester mehr sein kann und ein Vertuscher kein Bischof, dann sind das auch Schritte hin zu einem neuen Kirchenverständnis. Man würde sich verabschieden vom Bild der sündenlosen und unverwundbaren Institution, würde unhinterfragbare Macht- und Wahrheitsansprüche mit Skepsis sehen, gerade, wenn sie religiös verbrämt daherkommen.

Es wäre die Chance auf eine kopernikanische Wende der katholischen Kirche. Sie böte die Möglichkeit, das ausgehöhlte Innere neu zu füllen, einen Teil des vernichteten Vertrauens wiederzugewinnen. Ein postklerikaler Katholizismus, der konsequent die Gewalt aufarbeitet, könnte neu in Gesellschaften wirksam werden, in denen insgesamt die Geflechte von (Männer-)Macht und sexueller Gewalt zerreißen. Er könnte sein spätscholastisch starres Verhältnis zur (Homo-)Sexualität überwinden und gehört werden, wenn er mal was Kritisches über die real existierende Sexualität in der Konsum-, Leistungs- und Fassadengesellschaft sagt. Der Ausgang aus der selbst verschuldeten klerikalen Gefangenschaft könnte die Kirche ihrem Gründer Jesus wieder näherbringen, zum Nutzen der Welt, die dringend eine globale kulturelle Kraft braucht, als Gegengewicht zu den wachsenden Fundamentalismen und nationalen Egoismen.

Ob das gelingt, ist nicht ausgemacht. Die Beharrungskräfte sind stark, der Rückzug in die fundamentalistische Minderheit erscheint manchen verlockend. Doch Jesus hat zwar seinen Jüngern versprochen, bei ihnen zu sein alle Tage. Eine Bestandsgarantie für die katholische Kirche hat er nicht abgegeben.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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