Wenn sich Nicolas Pano-Graßy im Stadtrat zu Wort meldet, dann klingt stets ernst und wohl überlegt, was er sagt. Auf seinen aktuellen Wahlplakaten im Stadtgebiet geht es um Gerechtigkeit, die Menschen müssten im Mittelpunkt stehen, nicht das Kapital, hat er gesagt, als er im März dieses Jahres vom Kreisverband der Linken als Direktkandidat für den Deutschen Bundestag aufgestellt wurde. Für einen "radikalen sozialpolitischen Kurswechsel" möchte er stehen, Hartz IV abschaffen und Elemente der direkten Demokratie stärken - Schlagworte, wie man sie von dieser Seite des politischen Spektrums erwartet, nicht immer aber kommen einem diese Positionen so folgerichtig vor wie im Gespräch mit Pano-Graßy.
Väterlicherseits aus einer Familie griechischer Gastarbeiter stammend, ist der heute 32-Jährige nach der frühen Trennung seiner Eltern bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Ihm habe es nie an irgendetwas gefehlt, erinnert er sich, aber im Nachhinein sei ihm schon klar geworden, dass seine Mutter immer "alles Geld auf die Kinder verwendet" habe. Und dass es ohne die Unterstützung der Großeltern - in Freising kennt man Großvater Ernst Graßy als Schauspieler und Kabarettisten - wohl trotzdem eng geworden wäre. "Als Kind nimmt man so etwas ja immer als selbstverständlich hin."
Seit 2019 ist Nicolas Pano-Graßy als Referent für Sozialpolitik beim Sozialverband VdK tätig
Dieser familiäre Hintergrund aber habe ihn geprägt, sagt Pano-Graßy heute, weniger wegen der Migrationsgeschichte seines Vaters, sondern wegen dessen Status als Gastarbeiter: "Die Arbeiterschicht, da komme ich her." Die Politik wiederum habe ihn schon immer interessiert, schon mit 15 oder 16 habe er gewusst, dass er Politikwissenschaft studieren wollte. "Da gab es nie eine andere Option, auch wenn ich am Anfang sicher eine andere Vorstellung davon hatte, was das heißt". Das Studium selber habe ihm verschiedene Blickwinkel, Standpunkte und Systeme vermittelt, sagt Pano-Graßy und zitiert - wen sonst? - Karl Marx: "Es kommt nicht darauf an, die Welt verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern." Das sei auch sein Ansatz, normativ wissenschaftlich festzustellen: "So ist es, was kann ich ändern, um es aus meiner Sicht zu verbessern?"
Beruflich hat sein Denken Pano-Graßy inzwischen zum Sozialverband VdK geführt, wo er seit 2019 als Referent für Sozialpolitik tätig ist. Diese Stelle hat er lange gesucht, wie er schildert, hat sich mit Gelegenheitsjobs etwa als freiberuflicher Lektor für wissenschaftliche Arbeiten über Wasser gehalten, weil er eines nicht wollte: für jemanden arbeiten, der etwas macht, "wo ich nicht voll und ganz dahinter stehe". Mit dem VdK nun habe er keinerlei Dissens - und ja, natürlich sei das großes Glück und ein Luxus, auf genau die richtige Arbeitsstelle warten zu können.
Sein Einzug ist eher unwahrscheinlich, aber die Kandidatur findet er trotzdem sinnvoll
Neben all dem ist die eigene politische Arbeit, ist der Wunsch, selber etwas zu verbessern auch im Kleinen, für den 32-Jährigen immer präsent geblieben. Seit 2013 bei der Linken, ist er 2020 im zweiten Anlauf in den Freisinger Stadtrat gewählt worden, den er auf der persönlichen Ebene als kollegial und sehr positiv erlebt, auch wenn man bei vielen Anträgen, "die in eine eher progressive Richtung gehen, schon immer genau weiß, wie von welcher Partei dann abgestimmt wird - leider". Hier wie im Beruf sei er bei seinen Reden immer sehr gut vorbereitet, bestätigt Pano-Graßy: "Ich schaue mir Studien und Statistiken zum jeweiligen Thema an, damit ich meine Aussagen mit Fakten untermauern kann. Man will sich ja auch nicht vorführen lassen."
Dass er kaum Gelegenheit haben wird, auch in Berlin Politik zu machen, ist Pano-Graßy natürlich bewusst. Mit seinem Listenplatz 18 müsste die Linke in Bayern ihr Ergebnis schon fast verdreifachen, damit er in den Bundestag einziehen könnte. Trotzdem findet er seine Kandidatur sinnvoll. Auch wenn bei der Linken die Inhalte im Vordergrund stünden, brauche man Gesichter vor Ort, mit denen sich die Menschen identifizieren können, sagt er. Es gehe darum, die Politik der Linken bekannter zu machen und auch mit Vorurteilen, falschen Behauptungen und Zerrbildern aufzuräumen.
Hohe Steuern? Wie unter Kohl. Vermögensabgabe? Betreffe nur 0,1 Prozent der Bevölkerung
Da werde beispielsweise von der CSU gestreut, dass die Linke aus der EU austreten wolle oder aus der Nato. Man wolle weder das eine noch das andere, stellt Pano-Graßy klar: Es gehe darum, langfristig das ganze Sicherheitssystem zu verändern, "da werden einfach Unwahrheiten verbreitet". Richtig ärgern kann sich der 32-Jährige, wenn es um das Thema Steuern geht. Ständig werde behauptet, die Linken wollten Steuern erhöhen. Dabei stehe im Programm, dass man Einkommen von bis zu 6500 Euro brutto entlasten wolle - das sei schon ein recht hoher Betrag: "Und wenn man drüber verdient, zahlt man 53 Prozent wie unter Helmut Kohl."
Wenn es um die Politik seiner Partei geht, ist Pano-Graßy auf sicherem Boden: Die Vermögensabgabe? "Betrifft gerade 0,1 Prozent der Bevölkerung, auch wenn immer so getan wird, als sei dann das Haus der Nachbarin weg." Der Klimaschutz? "Da sind die Forderungen der Linken gleich oder sogar besser als die der Grünen." Tatsächlich sieht Graßy hier sogar ein Alleinstellungsmerkmal seiner Partei, die nämlich als einzige die Klimapolitik mit sozialen Fragen verknüpfe.
Weg von militärischer Konfrontation und Kriegen, hin zu Abrüstung
Die Friedensfrage nennt er dann noch als weiteren Schwerpunkt seiner Politik: Weg von der militärischen Konfrontation und Kriegen: "Wir brauchen Abrüstung", sagt er - und rechnet vor: Würden alle Staaten gleichermaßen zehn Prozent an Militärausgaben einsparen, bliebe das Gleichgewicht identisch, aber es würden 200 Milliarden Euro frei, die dann gegen den Klimawandel, Corona oder den Hunger in der Welt zur Verfügung stünden.
Und im Privaten? Was macht er in seiner Freizeit? Pano-Graßy muss überlegen. Politische Sachbücher fallen ihm ein, früher hat er gerne mit dem Opa Theater gespielt, einmal im Jahr besucht er Oma und Uroma in Griechenland, aber sonst? Er sei gerne mit Freunden unterwegs, sagt er: "In den Freisinger Kneipen, die auch immer weniger werden". Noch so ein Punkt, wo man aus seiner Sicht zumindest im Kleinen wohl etwas verbessern könnte.