Bigband-Highlights:Sounds im Breitwand-Format

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Einen bislang unerhörten Stilmix lässt die Saxofonistin Luise Volkmann ihr Orchster "Été Large" spielen. (Foto: Anna Roters)

Binnen weniger Tage treten mit Luise Volkmanns "Été Large", Gard Nilssens "Supersonic Orchestra" und Wynton Marsalis' "Jazz at Lincoln Center Orchestra" drei herausragende Großensembles in München auf

Von Oliver Hochkeppel

München ist eine heimliche Bigband-Hauptstadt. Die Jazzrausch Bigband als internationaler Leuchtturm, die Earforce Bigband, die Orchester von Monika Roscher, Matthias Bublath, Christian Elsässer oder Harald Rüschenbaum, schließlich das ICI oder das Munich Composers Ensemble - es gibt mehr als zehn feste, regelmäßig spielende Jazz-Großbesetzungen in der Stadt. Vielleicht also, weil hier die in den Fünzigerjahren abgerissene Entwicklung des orchestralen Jazz so erfolgreich wieder aufgenommen wird, sind jetzt binnen weniger Tage gleich drei herausragende auswärtige Bigbands zu Gast.

Den Anfang macht Été Large, das in jeder Hinsicht außergewöhnliche Orchester der in Köln lebenden Saxofonistin Luise Volkmann. Die gerade erst 30-Jährige gründete ihre Bigband bereits 2015, noch während des Studiums. Da sie das außer in Köln auch in Leipzig, Paris und Kopenhagen absolvierte, scharte sie besondere junge Musiker aus halb Europa um sich, samt komplettem Streichquartett.

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Die australische, inzwischen in Stockholm lebende experimentelle Sängerin Casey Moir etwa, den in Berlin und Wien lebenden deutschamerikanischen klassischen Tenor Laurin Oppermann, den E-Gitarristen Paul Jarret aus Nanterre nebst drei weiteren Französinnen und Franzosen. Und als engste Verschworene die deutsch-griechische Bassistin Athina Kontou, die auch in den meisten kleinen Besetzungen Volkmanns mitspielt, die wiederum im Gegenzug auch Mitglied von Kontous gerade sehr erfolgreichen Mother-Quartett ist.

Volkmann wuchs mit der Rock-Musik ihres Vaters auf, mit Eric Burdon, Van Morrison und Patti Smith, und wollte als Kind Rockgitarristin werden. Dass sie beim Saxofon, einem Kompositionsstudium und im Jazz landete, ist kein Widerspruch. Wuchtig, wild, alle Konventionen ignorierend ist die Musik ihres Orchesters.

Das zweite, während der Pandemie entstandene Band-Album "When the Birds Upraise Their Choir", das sie jetzt in der Unterfahrt vorstellt, ist denn auch eine moderne Hommage an ihren Vater und an die Musik der 68er-Generation. Eine musikalische Reflexion des Aufbruchs und einer heute verloren gehenden neuen Freiheit, ein Hinterfragen von politischen und gesellschaftlichen Haltungen. Woodstock trifft Newport, Punk trifft auf klassische Avantgarde - dieses Orchester ist ein Klang-Abenteuer, das man erlebt haben muss.

Été Large, Do., 15. Juni, 20.30 Uhr, Unterfahrt, Einsteinstr. 42, www.unterfahrt.de

Drei Schlagzeuger, drei Kontrabassisten und elf Bläser: Gard Nilssens "Supersonic Orchestra" überrascht schon mit der innovativen Besetzung. (Foto: Eddy Westveer)

Tags darauf geht es in der Muffathalle mit Gard Nilssens Supersonic Orchestra weiter, als Kooperationsprojekt der Unterfahrt mit der Jazzstiftung München und sozusagen als Vorbote des inzwischen von einer gemeinnützigen GmbH getragenen "Isarjazz". Unter dessen Name und Regie sollen in Zukunft weitere Jazz-Großereignisse folgen.

Der 39-jährige norwegische Schlagzeuger Gard Nilssen ist dem engeren Jazz-Zirkel seit langem bekannt, unter anderem durch sein eigenes Trio Acoustic Unity oder als Mitglied der Bands Puma und Bushman's Revenge. Mit dem Supersonic Orchestra aber hat sich Nilssen vor vier Jahren einen Jugendtraum erfüllt. Ist doch seine Heimatstadt Skien nicht nur als Geburtsort von Henrik Ibsen, sondern auch für ihre Bigband- und Marchingband-Tradition bekannt. Vor allem aber hat Nilssen nicht irgendeine Bigband zusammengestellt, sondern ein innovatives skandinavisches All-Star-Ensemble. Schon die Besetzung mit drei Schlagzeugern, drei Kontrabassisten und elf Bläsern - ohne Harmonie-Instrumente also! - sucht seinesgleichen und erzeugt eine fast unheimliche Energie. Alles pulsiert, reibt sich wirkungsvoll aneinander und findet immer wieder den Weg zu hymnischen Melodien.

Auch deshalb, weil alle Mitglieder des Orchesters selbst Bandleader und herausragende Solisten sind, von den Bassisten Petter Eldh oder Ole Morten Vågan (bekannt vor allem vom Trondheim Jazz Orchestra) über den Trompeter Goran Kajfes ( Oddjob) bis zu Saxofonisten wie Otis Sandsjö, Mette Rasmussen oder dem polnischen BMW-Welt-Jazz-Award-Gewinner Maciej Obara. Ein nordischer Nachfolger des Vienna Art Ochestra, wenn man so will, der zuletzt beim Saalfelden Jazzfestival und beim Jazzfest Berlin zu den absoluten Höhepunkten zählte und nun also in der Muffathalle nicht verpasst werden sollte.

Gard Nilssens Supersonic Orchestra, Fr., 16. Juni, 20,30 Uhr, Muffathalle, Zellstr. 4, www.unterfahrt.de

Pflegt das amerikanische Bigband-Erbe eines Duke Ellington oder Count Basie: Trompeter Wynton Marsalis und sein Lincoln Center Orchestra. (Foto: Bell' Arte)

Zuguterletzt kann man am 19. Juni die Speerspitze der (inzwischen recht wenig gewordenen) amerikanischen Jazz-Orchester erleben, sozusagen die Mutter der US-Bigbands. Mit dem Star-Trompeter Wynton Marsalis und dem von ihm seit mehr als 30 Jahren geleiteten Jazz at Lincoln Center Orchestra kommen die Gralshüter vor allem der Tradition eines Duke Ellington in der Isarphilharmonie. Was der der neunfache Grammy-Gewinner, Pulitzer-Preisträger und erklärte Jazz-Konservative Marsalis auch eindeutig formuliert: "Wer bei uns mitmachen will, sollte seelenvoll spielen, einzigartige technische Fähigkeiten besitzen und das Bedürfnis verspüren, mit anderen im Ensemble zu arbeiten - natürlich sollte er auch die Tradition verstehen! Wir alle sind von der Mission erfüllt, die Kunstform des Jazz zu vermitteln."

Das macht das JLCO in wachsender Schlagzahl: Alleine 2020 veröffentlichte man elf Alben, vom "Quarantine Blues" bis zur "Swinging Celebration of Sesame Street". Die 15-köpfige Truppe ist sicher keine Speerspitze der Innovation, aber was den klassischen Bigband-Sound betrifft, kann ihr vermutlich ein anderes Orchester das Wasser reichen. Hat Marsalis doch dank des wohlhabenden Lincoln Centers seine Musiker handverlesen. Grandiose Jazzmusiker wie der Trompeter Ryan Kisor, Posaunist Vincent Gardner, Saxofonist Ted Nash oder Drummer Obed Calvaire werden einem also klassisch, aber gewaltig einheizen.

Jazz at Lincoln Center Orchestra with Wynton Marsalis, Mo., 19. Juni, 20 Uhr, Isarphilharmonie, Hans-Preißinger-Str. 8, www.gasteig.de

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