SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 111:Wenn es kein Hilferuf ist

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In einem Pflegeheim in der Oberpfalz soll eine Pflegekraft mehrere alte Menschen mit körperlichen Maßnahmen gemaßregelt haben. (Symbolfoto) (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

In Sachen Suizidbeihilfe hat Pola Gülberg eine klare Meinung: Manche Patienten wollen einfach nicht mehr - dann sollte ihnen auch ein würdevolles Sterben ermöglicht werden. Leider hat sie auch schon andere Fälle erlebt, schuld ist die aktuelle Gesetzeslage.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor ein paar Wochen haben in Berlin mehrere Bundestagsabgeordnete einen Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe vorgestellt: Die Beihilfe zum Suizid soll neu geregelt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2020 ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hat - das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben wiegt in seinen Augen mehr. Das ist ein Thema, das mich beschäftigt. Weil ich in meiner Arbeit immer wieder mit Fällen konfrontiert bin, die mir zeigen, dass die aktuelle Regelung wirklich dringend überarbeitet werden muss.

Den Satz "i mog nimmer" höre ich oft von meinen Patienten. Dieser Satz bedeutet aber in den wenigsten Fällen einen tatsächlichen Wunsch, zu sterben. Und niemand, der ihn sagt, bekommt einfach so - zack! - sein Suizidmittel und kann damit tun, was er will, sollte der Gesetzesentwurf durchgesetzt werden. Das ist auch gut so. Denn natürlich muss man sehr genau hinhören, ob die Äußerung eines Suizidwunsches oder sogar ein Suizidversuch ein Hilferuf ist, oder ob eine tatsächliche Absicht dahintersteckt.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aber es gibt eben auch die anderen, Patienten, die einfach nicht mehr leben wollen. Oft erlebe ich das bei Älteren, wenn schwere Krankheitsgeschichten vorangegangen sind, schon unglaublich viel Schmerz und Leid durchgestanden werden musste - und keinerlei Aussicht auf Verbesserung zu erwarten ist, auch nicht durch weitere medizinische Maßnahmen. Für manche ist das ein Grund, sterben zu wollen.

Mir steht es nicht zu, zu beurteilen, ob solche Gründe es rechtfertigen, dass der betreffende Mensch sein Leben beenden möchte. Das muss Jeder für sich entscheiden. Dass der Gesetzesentwurf eine unabhängige Beratung der Betroffenen vorsieht, finde ich richtig. Denn ich halte es für wichtig, dass sie wissen, was auf sie zukommt - und ebenso, welche alternativen Wege es gäbe. Aber auch hier gilt letztlich: Welche Argumente überwiegen, sollte eine ganz persönliche Entscheidung sein.

Wenn ich höre oder lese, dass sich Menschen vehement gegen eine Beihilfe zum Suizid aussprechen, dann wünschte ich, ich könnte meine Erfahrung mit ihnen teilen: Jemanden zu versorgen, der einfach nicht mehr leben will, ist alles andere als einfach. Sowohl für uns Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte als auch für die Patienten selbst. Daher finde ich, dass Jeder das Recht hat, wenn er aufgrund einer Krankheit oder der Folgen eines Unfalls sterben will, diesen Wunsch auch zu äußern und Hilfe zu bekommen.

Dann müssten Betroffene nicht, so wie es eine Patientin von mir tat, ihr gesamtes Vermögen zusammenklauben, um in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen - weit weg von gewohntem Umfeld und dem Zuhause. Doch unter der aktuellen Gesetzeslage ist das nicht möglich - was für mich ein Sterben auf würdevolle Weise stark in Frage stellt. Aber sollte ein würdevolles Leben nicht auch mit einem würdevollen Sterben enden dürfen?

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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