Gedenkpolitik im Landkreis Ebersberg:Erinnern für die Zukunft

Lesezeit: 3 min

Seit 2009 erinnern Gedenksteine vor der Grafinger Stadtbibliothek an Opfer des Nationalsozialismus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes im Landkreis hat sich stark gewandelt - doch es bleiben blinde Flecken. Nun schlägt Stadtarchivar Bernhard Schäfer deshalb etwas vor.

Von Florian Kappelsberger

Auf dem obersten der vier Porzellansteine liest man: "Zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus". Die anderen Steine erinnern an den Viehhändler Alfons Preßburger, die Notarswitwe Pauline Malterer und die Kunstmalerin Martha Pilliet - jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Grafing, die unter dem NS-Regime deportiert und ermordet wurden oder sich das Leben nahmen. Lange Zeit wurden ihre Schicksale verschwiegen, erst in den vergangenen Jahrzehnten hat die Aufarbeitung begonnen. Im Jahr 2009 wurden dann auf eine überparteiliche Initiative hin vier Gedenksteine im Pflaster vor der Grafinger Stadtbücherei eingelassen.

An vielen Orten im Landkreis wird an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung erinnert, die oft erst jetzt historisch aufgearbeitet werden, wie Bernhard Schäfer, Historiker und Leiter des Grafinger Stadtarchivs, anmerkt. Wegen der vielfältigen Formen der Gewalt plädiert Schäfer dafür, einen zentralen Gedenkort im Landkreis einzurichten.

In Poing erinnert ein Mahnmal an die Schrecken der Schoah. Dort wurde am 27. April 1945 ein Massaker an Häftlingen der KZ-Außenstelle Mühldorf verübt, das nach seiner Auflösung evakuiert worden war. Nachdem der Transportzug aufgrund technischer Probleme in Poing zum Stehen gekommen war, brach nach historischen Erkenntnissen eine Revolte unter den Häftlingen aus. Der Bürgermeister rief daraufhin die Luftwaffe zur Hilfe, bei dem folgenden Angriff starben mehr als 50 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Dieses Verbrechen wurde ebenfalls lange verdrängt, erst 1995 arbeiteten Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums Markt Schwabens seine Geschichte auf; im Jahr 2010 wurde das Mahnmal eingeweiht. Heute sind das Gymnasium Grafing und das Poinger Gemeindehaus nach Max Mannheimer benannt, einem Überlebenden dieses Todeszuges, der bis zu seinem Tod im Herbst 2016 unermüdliche Erinnerungsarbeit leistete.

In Vaterstetten nimmt das Gedenken eine andere Form ein. Hier erinnert ein alter Güterwaggon in einem Feld an die rund 2500 niederländischen Kriegsgefangenen, die ab Sommer 1944 unter menschenunwürdigen Verhältnissen zum Bau einer Bahnverbindung zwischen Feldkirchen und Zorneding eingesetzt wurden. Am Kriegsende wurden sie befreit, die gebaute Strecke wurde nie in Betrieb genommen. Nachdem die Geschichte der Kriegsgefangenen auch hier von Schülern des Gymnasiums aufgearbeitet und dokumentiert worden war, eröffneten die Eisenbahnfreunde Vaterstetten im September 2016 die Gedenkstätte an der Straße nach Altbaldham.

Doch der Einsatz von Zwangsarbeitern beschränkte sich nicht auf den Gleisbau: So wurden auf landwirtschaftlichen Betrieben im Landkreis Kriegsgefangene eingesetzt, aber auch Zivilisten, die meist aus den eroberten Gebieten im Osten verschleppt worden waren. Allein in der damaligen Marktgemeinde Grafing belief sich die Zahl auf mehr als 200. Die Erinnerung daran ist heute allerdings sowohl im kollektiven Bewusstsein als auch im öffentlichen Gedenken wenig präsent. Stadtarchivar Schäfer vermutet, dass ein Grund hierfür möglicherweise im relativ harmonischen Zusammenleben zwischen Landbevölkerung und Zwangsarbeitern liegt. Zwar habe es auch hier Fälle von Übergriffen und Brutalität gegeben, doch insgesamt sei die Behandlung auf den örtlichen Bauernhöfen vergleichsweise human gewesen.

Auch die Verbindungen des Landkreises zum Konzentrationslager Dachau sind heute kaum bewusst. So wurden nach der Machtergreifung verurteilte Straftäter vom Amtsgerichtsgefängnis Ebersberg direkt nach Dachau überstellt, aber auch politische Gegner und Oppositionelle. Bereits im Frühjahr 1933 wurden elf Anhänger der Kommunistischen Partei verhaftet, die besonders in der Arbeiterhochburg Kirchseeon viel Zulauf hatte, aber auch einige Mitglieder der Bayerischen Volkspartei, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten. Hierbei kooperierten die lokalen Behörden eng mit den NS-Organisationen. So berichtete die Lokalzeitung Der Oberbayer am 17. März 1933: "Die angeordneten Maßnahmen der Staatskommissare fanden reibungslose Durchführung und dabei haben SA und Gendarmerie verständnisvoll zusammengearbeitet. Es wurde eine größere Anzahl von Kommunisten verhaftet, darunter mehrere bekannte Radaubrüder, die es schon längst verdient haben, schärfer angefaßt zu werden."

Zudem wurden Häftlinge des Konzentrationslagers in sogenannten Außenkommandos im Landkreis zur Zwangsarbeit eingesetzt, etwa beim Bau von Baracken neben dem Lebensborn-Heim in Steinhöring und ab September 1944 zur Errichtung eines SS-Quartiers in Markt Schwaben. Viele dieser Fälle wurden innerhalb der vergangenen Jahre von Bernhard Schäfer aufgearbeitet und in verschiedenen Ausstellungen vorgestellt; eine Form des öffentlichen Gedenkens gibt es allerdings nicht.

Dies trifft auch auf die Zwangssterilisierungen und Krankenmorde zu, deren Geschichte erst seit Kurzem erforscht wird. "Es gibt etwa 20 Fälle aus dem Landkreis, die ich ermitteln konnte", so Schäfer - darunter Lorenz D. aus Grafing, der im Alter von nur sieben Jahren dem "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Für das nächste Jahr plant der Stadtarchivar eine Ausstellung dazu. Gäbe es einen zentralen Gedenkort, könnte man im Rahmen des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in einer öffentlichen Veranstaltung an all jene erinnern, die im Landkreis unter dem NS-Regime verfolgt wurden. Damit könnte das Gedenken an die verschiedenen Opfergruppen im kollektiven Bewusstsein verankert werden. "Immer im Dreischritt: Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft", sagt Schäfer, denn die Erinnerung an die Verbrechen im Nationalsozialismus sei auch stets mit einer Verantwortung für unsere Zeit verbunden.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kommentar
:Stellung beziehen gegen den Hass

Gerade in einer Zeit, in der manche offen mit dem Faschismus sympathisieren, muss die Gegenposition umso präsenter sein

Von Wieland Bögel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: