Verkehr:Kommt Tempo 30 auf der Bundesstraße 304?

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Um den Verkehrslärm zu reduzieren, würde man in Kirchseeon gerne Tempo 30 auf der Bundesstraße einführen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kirchseeon treibt Pläne voran, den gesundheitsschädlichen Geräuschpegel im Ort zu senken. Es gibt offenbar nur eine Lösung.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Die A99 und die A94 werden den meisten Menschen in der Region geläufig sein, nur die wenigsten dürften allerdings wissen, dass es noch eine dritte Autobahn im Landkreis Ebersberg gibt. Diese ist zwar nicht direkt als solche gekennzeichnet, jedoch gilt auch dort keinerlei Tempolimit: Auf dem vierspurigen Abschnitt den Spannleitenberg hinauf zwischen Kirchseeon-Dorf und der Ortseinfahrt herrscht aus verkehrsrechtlicher Sicht eine "autobahnähnliche Situation", wie es Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow (CSU) nun im Gemeinderat nannte. Heißt im Klartext: Bis kurz vor das Ortsschild ist freies Rasen theoretisch erlaubt. Das, genauso wie der allgemeine Verkehrslärm durch die Bundesstraße 304, ist der Gemeinde schon lange ein Dorn im Auge. Nun wagt sie, gestützt durch ein neues Gutachten, einen weiteren Vorstoß. Ziel ist es, auf dem Spannleitenberg Tempo 70 durchzusetzen - und die komplette Ortsdurchfahrt von Kirchseeon und Eglharting auf 30 Stundenkilometer zu beschränken.

Derlei Gedankenspiele gibt es in der Marktgemeinde schon seit längerem, nun könnten sie aber konkret werden. Bisher ist man im Kirchseeoner Rathaus stets am zuständigen Straßenbauamt in Rosenheim gescheitert, wo man sich zwar die Wünsche der Gemeinderäte angehört, für deren Umsetzung aber stichhaltige Belege gefordert hat. Das zähe Ringen mit der Verkehrsbehörde hatte bisher lediglich zur Folge, dass Autofahrer rund um Kirchseeon auf eine ganze Reihe verschiedener Tempolimits achten müssen: Auf einem kurzem Abschnitt bei Kirchseeon-Dorf gilt derzeit ein Maximum von 70 Stundenkilometer, dann gibt es keinerlei Beschränkung mehr, ehe unmittelbar vor der Ortseinfahrt wieder auf Tempo 70 reduziert wird, bis schließlich innerorts 50 Kilometer die Stunde gefahren werden dürfen. In Richtung Ebersberg hingegen ist den gesamten Spannleitenberg über auf Tempo 70 beschränkt. "Eine sehr unübersichtliche Situation", nannte das nun der auf Akustik spezialisierte Ingenieur Thorsten Otto, den die Gemeinde mit der Erstellung eines Lärmschutzgutachtens beauftragt hatte.

Mehr als 17 000 Autos fahren täglich durch die Gemeinde

Dessen Ergebnisse sind angesichts der mehr als 17 000 Autos, die tagtäglich durch die Marktgemeinde rollen, wenig überraschend: Die Lärmbelastung für die unmittelbaren Anwohner ist enorm hoch. Konkret wurden tagsüber an 115 und nachts an 413 Gebäuden Werte ermittelt, "bei denen man von Gesundheitsgefährdung redet", wie Gutachter Otto am Montagabend im Gemeinderat sagte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dafür nicht nur die Bundesstraße verantwortlich ist. Wie aus der Analyse hervorgeht, kommt ein großer Teil des Lärms auch von den Zügen, die im Süden durch die Gemeinde fahren. Auf der Schiene werden Tag und Nacht Geräuschpegel von bis zu 93 Dezibel erreicht, auf der Straße sind es tagsüber bis zu 88 und nachts 81 Dezibel. Zum Vergleich: Ein Staubsauger kommt auf einen Geräuschpegel von etwa 70 Dezibel, eine schleudernde Waschmaschine auf 75.

Gerade die Anwohner, die zwischen Bundesstraße und Bahnschiene leben, sind deshalb rund um die Uhr einem enormen Lärm ausgesetzt. Diese Situation will die Gemeinde nun nicht länger hinnehmen. Die Studie sollte deshalb auch untersuchen, wie sich eine Temporeduzierung auf 30 Stundenkilometer innerorts auf die Geräuschkulisse auswirken würde. Der Effekt wäre zwar nicht so groß wie erhofft, aber mit durchschnittlich drei Dezibel weniger zumindest für die unmittelbaren Anlieger an der Straße wahrnehmbar. Je näher man allerdings in Richtung Schiene gehe, desto weniger Auswirkungen habe die Temporeduzierung, da dann der Zuglärm wieder zu stark sei, so Otto. Recht viel mehr wird dem Gutachter zufolge für Kirchseeon aber nicht drin sein, denn für eine rechnerische Halbierung der Lautstärke müsste der Verkehr um 90 Prozent reduziert werden.

Die einzige Möglichkeit zur Lärmreduzierung ist ein Tempolimit

Auch bauliche Veränderungen an der Straße hätten Thorsten Otto zufolge nur einen geringen Effekt. Ein leiserer Straßenbelag falle bei Tempo 30 quasi nicht mehr ins Gewicht, während Lärmschutzwände auch nur die unmittelbaren Anwohner auf Straßenhöhe entlasten würden. "Bei der Höhe der Pegel ist es schwierig, baulich etwas zu machen", so das Fazit des Gutachters.

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Kirchseeon diskutiert über Tempo 30 auf der Ortsdurchfahrt. Das ist aus mehreren Gründen eine gute Idee - auch wenn Autofahrer das nicht gerne hören.

Kommentar von Andreas Junkmann

Damit bleibt für die Gemeinde nur, zumindest jene Maßnahme zu ergreifen, die einen kleinen Effekt auf die Geräuschminderung hat: eine Temporeduzierung innerorts auf 30 Stundenkilometer. Aus verkehrsrechtlicher Sicht sei das laut Otto durchaus möglich. Ohnehin würden immer mehr Gemeinden versuchen, Tempolimits umzusetzen. Für das Straßenbauamt sei das zudem die günstigste Möglichkeit für eine Lärmreduzierung, wie Bürgermeister Paeplow ergänzte, denn eine Sanierung der Straße stehe derzeit nicht an.

Auch die Deutsche Bahn wird Post aus Kirchseeon bekommen

Auf Basis dieses Gutachtens wird die Gemeinde nun einen neuen Vorstoß bei der Rosenheimer Behörde unternehmen. Darauf einigte sich der Gemeinderat am Montag mehrheitlich. Aber auch die Deutsche Bahn wird mit Blick auf den Brenner-Nordzulauf und dem damit verbundenen höheren Zugaufkommen Post aus Kirchseeon bekommen. Der Schienenkonzern solle ebenfalls auf Basis des aktuellen Gutachtens lärmschützende Maßnahmen prüfen und umsetzen.

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