Zorneding:"Ohne Computer kann ein Landwirt heute nicht arbeiten"

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Jörg Steinleitner schreibt über Bauern, lebt in seiner Heimatgemeinde Riegsee aber auch unter solchen. (Foto: Nana Klaass/oh)

Jörg Steinleitner ist Autor, Jurist und Bürgermeister. In Zorneding tritt er zu seiner "Gummistiefelyoga"-Komödie auf. Gespräch über seine bäuerliche Herkunft.

Interview von Michaela Pelz, Zorneding

Jörg Steinleitner kennt man nicht nur als Anwalt, Autor, Journalist und Krimikabarettist, sondern seit 2020 auch als Bürgermeister der Gemeinde Riegsee mit den Ortsteilen Aidling und Hagen. Unter dem Pseudonym Felix Tanner wiederum hat er die Sommerkomödie "Gummistiefelyoga" verfasst: Eine sympathische Witwe will die Übernahme ihres Hofes durch einen Großgrundbesitzer verhindern, indem sie gestressten Städtern ein besonderes Angebot macht. Wie die darauf basierende, "heiter-szenische Wellness-Lesung mit Musik" am Donnerstag, 21. Oktober, in Zorneding aussehen wird, was das Buch mit der Realität zu tun hat und warum er seinen Job als Ortsoberhaupt liebt, verrät Steinleitner im Interview.

SZ: Wie fühlt man sich als Chef von 1228 Bürgerinnen und Bürgern?

Jörg Steinleitner: Wie irgendwas zwischen Hausmeister und Pfarrer. Ab morgens um sieben muss ich mich entweder mit praktischen, technischen Schwierigkeiten befassen, oder ich bin seelische Auffangstation für Nachbarschaftskonflikte oder private Probleme.

Ein ziemlich intensives Pensum...

Ich habe noch nie so viel gearbeitet wie in den vergangenen anderthalb Jahren. Je nach Anzahl der Termine sind es zwischen 20 und 40 Wochenstunden.

Welche Auswirkungen hat das auf Ihre anderen Tätigkeiten?

Romane kann ich derzeit gar keine schreiben - dazu bräuchte ich zwei bis vier ruhige Stunden pro Tag. Letztes Jahr habe ich aber einen neuen "Barfuß-Banden"-Band geschrieben und an den Kinderbüchern will ich auch weiterhin dranbleiben. Anwalt bin ich immer noch, übernehme aber keine neuen Mandate, sondern beschränke mich auf Vertretungen. Meine Hauptarbeit neben der Bürgermeisterei besteht in meiner journalistischen Tätigkeit als Chefredakteur des Literatur- und Kulturmagazins Buchszene.de. Und ich mache wieder Lesungen. Letztes Jahr sind mir mehr als 60 ausgefallen, das war dramatisch. Diese Einnahmen brauche ich auch als Bürgermeister, das ist ja ein Ehrenamt. Außerdem machen die Lesungen Spaß.

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Sie bereuen es demnach nicht, Rathauschef geworden zu sein?

Keine Sekunde. Als Schriftsteller habe ich Orte erfunden, jetzt kann ich drei Dörfer und die Zukunft des Kreises Garmisch-Partenkirchen mitgestalten und Ideen, die von Bürgern kommen, versuchen, umzusetzen. Natürlich geht das nur, weil wir ein tolles Team sind, mein Stellvertreter Georg Miller ist ein unglaublich starker, fleißiger und kompetenter Teampartner.

Der war eigentlich Ihr Gegenkandidat. Einer aus der Gegend - Sie hingegen kamen aus der Stadt. Sind die Einheimischen also in der Unterzahl?

Im Gegenteil. Riegsee ist ein sehr traditionelles Dorf, es gibt kaum Zugereiste. Aber man hatte hier schon immer Urlauber. Die Menschen sind freundlich und offen. Sie haben meiner Familie die Chance gegeben, mitzumachen, und wir haben sie genutzt.

"Traditionelles Dorf" heißt auch: Viele Landwirte. Sie hingegen sind ein dreifach Studierter: Gymnasiallehramt, Jura und Journalismus...

Ich fühle mich sehr wohl mit den Bauern. Meine Mutter ist im Allgäu auf einem Hof mit sieben Kindern aufgewachsen, mein Onkel betreibt den immer noch. Als Kind war ich oft dort und bin stolz darauf, von einer Bauernfamilie abzustammen. Die Bauern sind unser wichtigster Berufsstand: Wir hätten ohne sie nichts zu essen. Mich stört das Klischee, dass Landwirte rückständig und hinterwäldlerisch seien. Im Gegenteil, sie verdienen Respekt aufgrund ihrer unglaublichen Vielseitigkeit: Ein Landwirt muss Geschäftsmann, Biologe, Tierarzt und Mechaniker sein. Außerdem kann man mit ihnen richtig gut feiern.

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Womit wir bei Ihrer Komödie "Gummistiefelyoga" sind: Bei Bäuerin Auguste stehen Kachelofen, Klavier und Computer in trauter Gemeinsamkeit in der Stube. Wie nah ist das an der Realität?

Bei uns im Dorf fallen mir schon gleich mal zwei Höfe ein, bei denen das so ist. Ohne Computer kann ein Landwirt heute nicht arbeiten. Auch sind die Familien fast alle musikalisch. Da muss man für einen Roman nichts dazuerfinden.

Und was ist mit Augustes Widersacher, dem gierigen Großgrundbesitzer, der zufällig gleichzeitig Bürgermeister ist und dessen zweiter Vorname "Vetternwirtschaft" zu sein scheint?

Also erstens habe ich das Buch geschrieben, bevor ich wusste, dass ich als Bürgermeister kandidieren würde. Und zweitens habe ich mich natürlich vom echten Leben inspirieren lassen, oft genug lesen wir von korrupten Bürgermeistern in der Zeitung. Aber "Gummistiefelyoga" ist definitiv kein Schlüsselroman, außerdem kein böses, sondern ein lustiges Buch.

Gibt es schon Pläne für eine Verfilmung?

Das wäre natürlich schön. Bisher gibt es nur einen Trailer und Videos im Netz, in denen ich Gummistiefelyoga-Übungen vorturne. Und bei der Lesung zeige ich Filme, die wir zum Buch gedreht haben.

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In Zorneding wird also nicht nur gelesen?

Das wird eine richtige Show mit viel Abwechslung. Weil ich selbst ein sehr schlechter Zuhörer bei Lesungen bin, lasse ich alle paar Minuten etwas passieren. Wir werden Musik hören, ich zeige Filme, spiele und lese Texte mit verschiedenen Stimmen und gemeinsame Übungen gibt es auch. Ach ja, außerdem machen wir ein lustiges Bauern-Quiz mit umwerfendem Hauptpreis.

Worum geht's im nächsten Buch?

Im Frühjahr 2022 erscheint der zweite Band der "Barfuß-Bande". Weil ich auch ein tolles Programm für Kinder habe, werde ich damit ebenfalls auf Lesetour gehen.

Und die Erwachsenenbücher?

Ideen bekomme ich als Bürgermeister dafür jeden Tag geliefert - die Realität ist ja viel verrückter als alles, was ein Schriftsteller sich ausdenken könnte. Aber dafür habe ich momentan keine Zeit. Außerdem muss ich als Bürgermeister eine andere Perspektive einnehmen: Als Schriftsteller schaut man von außen auf Situationen und freut sich, wenn's kracht, weil Konflikte spannend sind. Sie sind die Würze eines Romans. Aber als Bürgermeister steht man mitten drin in den Situationen und muss zusehen, dass es möglichst wenig kracht, dass alle Probleme gelöst werden und dass alle zufrieden sind.

Jörg Steinleitner beim "Literarischen Herbst" in Zorneding, am Donnerstag, 21. Oktober, um 20 Uhr, in der Christophoruskirche. Der Eintritt kostet 15 Euro, Tickets gibt's im Pfarramt, in der Gemeindebücherei, bei Steffis Schreibwaren oder AP-Buch in Baldham. Restkarten an der Abendkasse.

© SZ vom 18.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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