Der Begriff Misthaufen ist kein ästhetischer, deswegen passt er eigentlich so gar nicht zu dem, was Lorenz Niedermeier hinter seinem Hof hat: ein Misthaufen wie eine Bergkette. Majestätisch liegt er da. 16 Meter lang, fünf Meter breit, zwei Meter hoch. Wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit. Zwei Hühner kommen gerade aus ihrem Stall und trippeln in Richtung Misthaufen. Doch wo der Berg aus Streu und Kuhmist anfängt, da bleiben sie abrupt stehen: Respektabstand vor dem vielleicht schönsten Misthaufen im Landkreis Ebersberg.
Gar nicht so einfach, sowas noch zu finden. Zumal in keinem Amt der Welt vermerkt ist, welcher Bauer noch einen Misthaufen hat. Wer einen finden will, muss selbst losziehen und die kleinen Dörfer abfahren. Hinter Ebersberg beginnt die Reise durch Wände von Mais, die unterbrochen werden von monochromen Teppichen aus Getreide, gebürstet wie Landschaften aus Lego - und gedüngt mit Gülle.
Den Bauern, vor allem den Viehhaltern, geht es nicht sonderlich gut, erst recht nicht nach diesem trockenen Jahr. Sie haben teilweise gigantische Ställe, Großvieheinheiten, riesige Maschinen, gewaltigen Subventionsbedarf. Heraus kommt zu viel Milch, zu viel Gülle. Für trockenen Mist müsste man Kuhfladen von der Jauche trennen, dafür sind die moderne Ställe nicht mehr ausgelegt. So fließt alles in die Odelgrube - kommt schnell auf die Felder, belastet allerdings auch das Grundwasser.
Und was ist mit Misthaufen? Nach alten Maßstäben schneiden die meisten Bauern im Landkreis bei dem Thema heute erbärmlich ab. Wer früher über einen großen Misthaufen verfügte, der hatte ein hohes Ansehen im Dorf. Über Jahrhunderte hinweg hatte sich der Misthaufen zum Statussymbol entwickelt. Wo sich junge Landmänner heute mit Sportwagen auf Freiersfüße begeben, zeigten sie ihren Kandidatinnen früher den Bauernhof. Der Misthaufen war die Visitenkarte. Wer wenig Mist vor dem Haus hatte, konnte auch nicht viele Tiere im Stall haben. Am Misthaufen erkenne man den Bauern, "die innere Kraft seiner ganzen Wirtschaft zeigt sich in ihm", schrieb der Münchner Agrarwissenschaftler Carl Fraas 1865 in einem "Beitrag zur Lehre vom Völkeruntergang durch Bodenerschöpfung". Aber heute haben die meisten Landwirte überhaupt keinen Misthaufen mehr, auch nicht im Landkreis.
So gesehen ist der Misthaufen von Lorenz Niedermeier etwas sehr Besonderes. Unweit der Kreisstadt Ebersberg, in der kleinen Ortschaft Sensau. Hier, "Beim Kille", so heißt Niedermeiers Hof, steht einer der letzten Misthaufen seiner Art. Ein klein gewachsener Mann öffnet die Tür, er war gerade im Stall, fürs Foto zieht er sich eine saubere Hose an. "Ich hab noch nie mit Gülle gearbeitet und werde es auch nicht tun", sagt Niedermeier. "Ich mag meine Viecher eingestreut." Der 71-Jährige führt in seine Stube.
Er lebt hier alleine und ist immer noch der Chef auf dem Hof. An einem Holztisch erzählt er von dem Mist, der ihn gerade beschäftigt. Und der liegt nicht vor der Tür, und nicht auf den Feldern. "Seit 2012 kämpfe ich für meine Rente", sagt er. 40 Jahre lang habe er eingezahlt "Bisher habe ich keinen Cent an Rente bekommen", sagt er. Weil Niedermeier, ohne Frau, ohne Kinder, den Hof nicht übergeben hat, sondern alle Kühe behielt. "Ich hätt' meine Viecher verkaufen oder verpachten müssen", sagt er. Aber das stand für ihn nicht zur Debatte, ebenso wenig wie Gülle auf seinen Feldern.
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Einmal über die Straße durch Sensau, dann landet man bei Lorenz Niedermeiers Nachbar: Der Altbauer Roman Mair. Der 84-Jährige hat den Hof an seinen Sohn übergeben, hilft aber noch, wo es geht. Über die Jahrzehnte ist der Misthaufen kleiner geworden. Fünf auf sechs Meter misst er an diesem Vormittag. "Als ich in den Sechzigern hergeheiratet habe, war er mehr als doppelt so groß", sagt Niedermeier. Mittlerweile hat der Hof eine Odelgrube, als Ergänzung für den Mist. Der Misthaufen besticht durch eine auffällig dunkle Farbe, was an seiner Zusammensetzung liegt: Auf dem Niedermeier-Hof kommen Kuhmist, Hühnermist und Saumist auf den Misthaufen. "Des sehen wir nicht so eng", sagt Niedermeier. Der Saumist verleiht dem Aroma eine besonders scharfe Würze.
Bild: Korbinian Eisenberger -
In Oberndorf bei Ebersberg steht der wahrscheinlich farbenfrohste Misthaufen Oberbayerns. Direkt daneben hat Bäuerin Monika Hartmann (im Foto hinten) eine bunte Blumenwiese gepflanzt, "damit unser Misthaufen-Areal schöner ausschaut", sagt sie. Die 48-Jährige isst gerade mit Dorfhelferin Veronika Baierl am Äpfelklauben. Eine Heidenarbeit in diesem Jahr, weil die Apfelernte so gut ist wie lange nicht mehr. Die verfaulten Äpfel bringt Hartmann per Schubkarre zum Misthaufen. Das bräunliche Obst gesellt sich zu Eierschalen und Holzwolle, mit denen die Bäuerin vor dem Melken die EUter der Kühe sauber macht. Eine bunte Mischung auf einem 16 Quadratmeter kleinen, aber in der Spitze fast drei Meter hohen Kuhmisthaufen. Vom Geruch her eher weniger auffällig.
Bild: Korbinian Eisenberger -
Beim Rippel z' Pollmoos, unweit der Stadtgrenzen von Ebersberg erstreckt sich ein riesiger Schafmisthaufen. Auf zehn Mal zehn Meter hat Bauer Sepp Friedel den Mist vor seinem Hof geschichtet. Früher hatte Friedel mehr als hundert Schafe, jetzt, wo er den Hof nur noch nebenberuflich betreibt, sind es noch 32. Der frische Schafmist ist so hart, dass Friedel ihn ein Jahr lang lagern muss, bevor er ihn auf seine Felder fährt. "Wenn er nicht weich genug ist, macht er beim Mistausbreiter Probleme", erklärt Friedel. Fertig gelagert, ist der Schafmist jedoch effektiver als Kuhmist, "und schonender für den Boden als Odel", sagt Friedel. Manchmal aber ist der Landwirt ungeduldig, und verteilt den Mist zu früh. Doch der Schafmist lässt sich nicht erweichen. Friedel: "Dann ist der Mistausbreiter hin."
Bild: Korbinian Eisenberger -
Auch Pferde produzieren erwähnenswerte Mengen an Mist. Das sieht man in der Ortschaft Traxl unterhalb des Kircherls St. Anna.Vor dem Huigerhof haben Andrea und Lorenz Staudacher einen kleinen aber feinen Pferdemisthaufen angelegt. Altbäuerin Kreszenz sitzt gerade unweit des Misthaufens und ließt Zeitung. Das geht, weil der Pferdemist sehr trocken ist und dadurch weit entfernt davon ist, eine Geruchsbelästigung zu sein. Den Misthaufen haben sie seit Ende der 80er-Jahre, damals entschieden sich die Staudachers dazu, Pferde zu kaufen. Der Misthaufen überzeugt in Konsistenz und Vielfalt - weil sich hier unter dem Schutz des Kirchturms alte Pferdeäpfel mit angefaultem Fallobst mischen, als wäre es das Normalste der Welt.
Bild: Korbinian Eisenberger
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So konsequent wie er ist kaum mehr jemand auf Bayerns Bauernhöfen, das sieht man im Landkreis Ebersberg recht gut. Vom "Kille" muss man nur über die Straße gehen, dann landet man auf dem Hof von Roman Mair. Auch er hat einen größeren Misthaufen, nicht ganz so lang, eher quadratisch. Mair stützt sich auf eine Krücke, der 84-Jährige hat den Hof vor vielen Jahren an seinen Sohn übergeben. "Früher ging der Misthaufen bis hierher", sagt er, und deutet mit der Krücke ein Areal ab, wo jetzt ein großer Betondeckel eingelassen ist. Da drunter ist jetzt eine Odelgrube. Freilich, sagt er, "für d'Wiesn wär's besser, nur mit Mist zu düngen", aber das macht halt so viel Arbeit.
Die Landwirtschaft hat sich verändert, vieles ist größer und effektiver geworden, und dadurch die Misthaufen immer kleiner. In der Ortschaft Traxl gibt es noch zwei Misthaufen, einer davon gehört zu einem Milchkuhbetrieb - allerdings ist der Mist dort nicht mehr relevant. "Bis 1989 haben wir ausschließlich eingestreut", sagt der Bauer. Sprich: Kühe und Kälber standen im Stall auf Stroh. Mittlerweile haben sie nackten Beton unter den Hufen, die Ausscheidungen fließen direkt in die Odelgrube. "Wir mussten das Stroh lagern und pressen", sagt er, dann im Stall verteilen und vorher das alte Stroh ausmisten. Jetzt liegen nur noch die Kälber auf Stroh und müssen ausgemistet werden. Der Rest läuft, wie in vielen Betrieben, automatisch.
Ein schwieriges Thema in der Landwirtschaft. Bauern müssen sich viel anhören, weil nicht jede ihre Sitten ökologisch wertvoll ist. Sie haben aber auch zu kämpfen, mit der zunehmenden Trockenheit der Klimaerwärmung, niedrigen Milchpreisen. Oder mit bürokratischen Hürden. So wie Lorenz Niedermeier. Er steht vor seinem Misthaufen, der jetzt golden in der Sonne glänzt. Der Bauer lächelt, fast als wäre er stolz. Oder wegen der Meldung, die er in der Zeitung gelesen hat: In Karlsruhe haben Richter ein Urteil gefällt, wonach künftig auch Menschen wie er Rente bekommen. Zwar nicht rückwirkend, "aber immerhin", sagt er. So, dass er seinen Hof behalten darf. So, dass die Kühe im Stall bleiben können, und der Misthaufen leuchtet.