Europaparlament:Die Zornedinger Goaßlschnoizer fahren nach Brüssel

Lesezeit: 3 min

Die Zornedinger Schnoizer proben für ihren Auftritt in Brüssel Anfang Mai. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit den Peitschen im Gepäck, denn am 2. Mai wird vor dem EU-Parlament ein Maibaum aus Grafing aufgestellt.

Von Theresa Parstorfer

Einen guten Goaßlschnoizer erkennt man am Taktgefühl. Und daran, dass die Acht gut sitzt. Das ist die erste Figur, die in der Grundausbildung geschnalzt wird. Lernt ein Anfänger die Acht nicht richtig, wird es später schwierig, erklärt Florian Wagner, der Vorschnoizer und Ausbilder der Zornedinger Goaßlschnoizer. Schnoizn ist natürlich bairisch für Schnalzen, und eine Goaßl ist eine Peitsche.

Entstanden ist die Tradition peitschenschwingender Burschen in Trachtenjankern zur Zeit der Pferdefuhrwerke. "Damals hat's ja keine Hupe gegeben, und wenn ein Kutscher auf sich aufmerksam machen wollte, hat er eben mit der Peitsche geschnalzt", sagt Florian Wagner. Wie es halt meistens so ist, wollte einer irgendwann der Beste darin sein. Und so entwickelte sich das kunstvolle Figurenschnalzen zum Takt zünftiger Musik - ohne Kutsche, dafür in Formation. Wagner sagt "gschnoizt, und nicht "geschnalzt", "Musi" statt "Musik". Er trägt Lederhosen, auf dem Bruststück zwischen den Trägern steht "Zornedinger Goaßlschnoizer".

Die Endstücke der Peitsche lösen den Knall aus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In voller Trachtenmontur steht er im gut besuchten Maibaumstüberl des Pöringer Dorfvereins (man sagt übrigens "Bianga") an einem Stehtisch neben seinen drei Peitschen. Was das Maibaumaufstellen angeht, wechseln sich die Zornedinger mit "D' Bianga" und den Ortsteilen Ingelsberg und Wolfesing ab, heuer sind eigentlich die Pöringer dran, dennoch übernehmen die Zornedinger die heutige Wache. Es ist ein lauer Abend, die Sonne nähert sich glühend rot dem Horizont und die Schnoizer nutzen das letzte Tageslicht für eine Probe neben dem Stüberl. In einer Intensivtrainingsphase befinden sie sich gerade. Denn am Mittwoch, 2. Mai, fährt der Verein nach Brüssel. Um dort zusammen mit den Grafinger Trachtlern und den Glonner Blasmusikanten einen original Grafinger Maibaum vor der bayerischen Landesvertretung im Europaparlament aufzustellen.

Der Grafinger Landtagsabgeordnete Thomas Huber hat das auf Anfrage von Markus Söder organisiert, "denn der Ministerpräsident möchte ein bisschen gelebtes bayerisches Brauchtum in die Hauptstadt Europas bringen", sagt Huber. Von dieser Idee war der CSUler, der selbst seit seiner Jugend leidenschaftlicher Trachtler ist, sofort begeistert und mobilisierte kurzerhand die Vereine seines Heimatlandkreises. Innerhalb von vier Wochen wurde ein Maibaum gefällt, vorbereitet und nach Brüssel geschafft.

Sportlich sei das durchaus gewesen, sagt Huber, aber die tatkräftige Unterstützung von allen Seiten habe es möglich gemacht. Neben Trachtlern und Musikanten durften für Huber die Goaßlschnoizer auf keinen Fall fehlen. Selbst geschnalzt hat Huber allerdings noch nie. Es in Brüssel zum ersten Mal zu versuchen, davor "möchte ich mich hüten", sagt er, denn: "Blamieren will ich mich vor dem bayerischen Kabinett, das auch anwesend sein wird, natürlich nicht."

Das richtige Schnalzen ist eine hohe Kunst

Die Zornedinger werden sich bestimmt nicht blamieren. Schon an diesem Abend schnalzen die Peitschen im Takt, bringen die Trommelfelle der Zuschauer zum Beben, während die Schnüre sich kunstvoll durch die Frühlingsluft schlängeln. Konzentration ist angesagt, damit das möglichst synchron passiert. Eine Hand an der Hüfte, die andere fest um die Goaßl, zeigen die sechs Schnoizer disziplinierte Körperspannung. Derzeit sind es etwa 15 Aktive im Verein, Mitglieder gibt es allerdings sehr viel mehr, zwischen 15 und 60 Jahren sei da alles dabei, sagt Wagner.

Dass sie so viel rumkommen, findet Maximilian Kardinal, ein weiterer junger Schnoizer, besonders schön an ihrem Sport. Für alle nur denkbaren gesellschaftlichen Feiern werden sie mittlerweile gebucht. "Alles bis auf Scheidungen und Beerdigungen haben wir schon gemacht", sagt Hannes Meltl, ebenfalls in voller Tracht, er lehnt gegenüber von Wagner am Stehtisch. Auf dem Münchner Oktoberfest steigen sie mit den Goaßln gar bis auf die Biertische. Sie sind die einzigen, denen das offiziell für ihre Einlagen erlaubt ist. Aber bis nach Brüssel, so weit sind sie noch nicht gekommen. Deshalb ist die Vorfreude mindestens so groß wie die Übungsbereitschaft.

Hieß es da eben Sport? Ist das Goaßlschnoizn ein Sport? Wagner zuckt leicht mit den Schultern und grinst. "Scho. Wenn Schach ein Sport ist, dann ist Schnoizn auch ein Sport." Recht hat er, denn kaum ein Schachspieler wird es schaffen, sich ein überlastetes Handgelenk zu holen. Egal, wie fest er sich auf sein Schachbrett stützt. Derartige Verletzungen kämen unter Schnoizern tatsächlich häufig vor, besonders bei eifrigen Anfängern, die mit dem Üben der Acht gar nicht mehr aufhören wollten, sagt Wagner.

Einiges an Kraft, vor allem im Unterarm, braucht ein guter Schnoizer also neben dem Taktgefühl. Denn die Geißel so zu schwingen, dass sich die Schnur weder in sich selbst oder am Stock, noch an etwaigen Hindernissen im Raum oder gar einem Zuschauer verfängt, und andererseits auch noch zum richtigen Zeitpunkt einen ohrenbetäubenden Knall von sich gibt - das zu bewerkstelligen, ist nicht einfach. In Brüssel dürfte der Auftritt für Aufsehen sorgen. Thomas Huber rechnet mit vielen Besuchern, die noch nie etwas von Trachtlern, Schuhplattlern oder eben Goaßlschnoizern gehört haben.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels war vom Ort "Pliening" die Rede. Das war falsch. Es handelt sich hier richtigerweise um den Zornedinger Ortsteil Pöring.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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