Oberbayern:Wo das Gwand entstand

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Die kurze Lederhose soll noch vom Wirt Kaspar Reiter stammen. (Foto: Florian Peljak)

In Bayrischzell gründete 1883 ein Lehrer den ersten Trachtenverein Bayerns - und machte die kurze Lederhose zum Standard-Beinkleid für die Mitglieder.

Von Matthias Köpf, Bayrischzell

Länger als fünf Jahre hatte es selten ein Lehrer hier ausgehalten, so geht es aus der Schulchronik hervor. Kaum mehr als 400 Einwohner gab es damals in der ganzen Gemeinde, 69 Wohnhäuser, ein Drittel davon als Einöden weit verstreut im Leitzachtal und an den Hängen der Berge rundherum. Auch der Lehrer Josef Vogl war nicht ganz freiwillig da. Er kam von seinem ersten Posten in Neufahrn bei Wolfratshausen mit einem Verweis in der Personalakte an, weil eine junge Bürgertochter ein Kind von ihm erwartete. Ihre Eltern hatten ihn angezeigt, aber dann durfte doch geheiratet werden.

1879 übernahm Vogl also seine neue Stelle als Lehrer, Mesner und Organist, zog in die Lehrerwohnung im Schulhaus am Wendelsteinbach. Im April kam dann der Bub zur Welt. Es folgten weitere Kinder und 1883 das, wofür sie den Lehrer Vogl bis heute in höchsten Ehren halten, ihm eine steinerne Tafel ans alte Schulhaus gehängt und ein Denkmal an der Friedhofsmauer aufgestellt haben: Bayrischzell wurde zum Geburtsort der bayerischen Trachtenvereine.

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Der Lehrer Vogl schien einer zu sein, der es länger aushalten würde in Bayrischzell. Er war ein geselliger Mensch, der aber keineswegs die Gesellschaft anderer Studierter brauchte. Lieber saß er mit den jungen Burschen und den Holzknechten beieinander, und in dieser Runde soll am Pfingstmontag 1883 die Rede auf die kurzen Lederhosen gekommen sein, die man praktisch überhaupt nicht mehr sehe, und selbst die Jäger kämen schon bald daher wie die Offiziere.

Er, Vogl, würde sich dagegen schon eine kurze Lederhose machen lassen, wenn er nicht der einzige wäre, so berichtete es Martin Staudacher später gern, einer der fünf oder sechs Männer am Tisch. Einer nach dem anderen habe dann auch eine kurze Hose haben wollen, bis Vogl diesen einen Satz gesagt habe: "Wisst's wos, gründ' ma an Verein!"

Vorsitzender dieses Vereins, der als "Trachtenverein Bayrischzell" ohne jeden Namens-Schnickschnack auskommt, ist heute Peter Grimm. Der 61-Jährige steht in Jeans, Baumwollpullover und dunkler Winterjacke neben dem Lehrer-Vogl-Denkmal. Von Janker, Joppe oder Hirschleder keine Spur. Die kurze Lederne, die der Lehrer Vogl hier vor 135 Jahren zum Goldstandard des Trachtenwesens gemacht hat, die werde nur vom Ostermontag bis zum Kirchweihmontag getragen. Im Winter eher eine schwarze Stoffhose oder am besten eine lederne Bundhose bis über die Knie, aber so etwas kommt teuer. Da kann ein Mann zu den vielleicht 5000 Euro für eine volle Ausstattung mit der Vereinstracht plus Uhrkette und gescheitem Gamsbart nochmal einen guten Tausender dazurechnen. Der Schalk der Frauen komme meistens noch teurer, sagt Grimm.

Die Trachtler mussten sich auslachen lassen

Aber den Trachtlern geht es um ganz andere Werte, denen damals zumal. Denn die ersten Trachtler waren keineswegs die Etablierten im Dorf, wo die großen Bauern das Sagen hatten. Sie waren eher Holzknechte, Hausmeister und Postboten, und wenn sie schon nicht dazugehörten, dann wollten sie wenigstens zusammengehören. In Bayrischzell hatten sie es nicht einfach, mussten sich auslachen lassen in ihren kurzen Hosen, die sie sich bei einem Säckler im nahen Miesbach hatten machen lassen, und der Pfarrer geißelte in seinem Predigten den sündigen Anblick nackter Knie. Ob er Vogl und seine Freunde wirklich aus der Kirche geworfen hat oder ob diese aus Protest selber die Messe verlassen haben, darüber gehen die Erzählungen auseinander.

Danach hat es jedenfalls noch 25 Jahre gedauert, bis das Ordinariat seinen Segen gab und die Vereinsfahne geweiht werden konnte. Die ganze unbürgerliche Vereinsgeselligkeit war sowieso suspekt: Burschen und Mädchen zusammen im Vereinslokal, das balzende Schuhplatteln und weit und breit kein Pfarrer oder sonstiger Sittenwächter. Schon wegen ihrer sozialen Stellung galten die Trachtler tendenziell als Sozialdemokraten oder gar als Sozialisten.

Das Herrscherhaus hingegen reagierte huldvoll, denn den Wittelsbachern war an einem bayrischen Nationalgefühl samt Nationalkostüm gelegen. Schon zu den Hochzeitsfeiern des späteren Königs Ludwig I. mit seiner Therese im Jahr 1810, aus denen sich auch das Oktoberfest entwickelt hat, wurden acht Kinderpaare mit dekorativen Trachten ausgestattet, die teils frei zusammenfantasiert waren. Im Namen Ludwigs II. wurden den Bayrischzellern dann ihre Vereinsstatuten genehmigt, in denen auch von Vaterlandsliebe und von der Anhänglichkeit an das angestammte Königshaus die Rede ist.

Ein Vereinszweck ist die "Wiederauffrischung der im Verschwinden begriffenen kleidsamen Volkstracht" - eine entscheidende Passage für den Status als erster Trachtenverein. Denn Menschen in Trachten sollen sich schon 1871 in Graz organisiert haben. Mit den Trachtlern aus Miesbach lieferten sich die Bayrischzeller und ihre Verbündeten im ausgehenden 20. Jahrhundert einen erbitterten Trachtlerkrieg, nachdem diese auf ihren Taferln plötzlich das Jahr 1859 vor sich hertrugen - das Gründungsjahr der "Schuhplattler-Gesellschaft Miesbach", die auch schon Tracht getragen habe.

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Inzwischen schaue man sich wieder in die Augen, sagt Klaus Pritzl, der 25 Jahre lang Vorsitzender der Bayrischzeller war. Er wohnt in einem uralten, aufwendig verzierten Bauernhaus, die niedrigen Räume sind voll barockem Blattgold, Kerzenständern und Engelsfiguren. Hier verwahrt Pritzl auch ein Stück, das Peter Grimm mit sanfter Ironie "die heilige Lederhose" nennt.

Sie ist ein paar Mal geflickt, die Stickereien sind nur noch in den Falten erhalten, der Griff ist samtig. Sie soll ein Original von 1883 sein und einst Kaspar Reiter gehört haben, dem Wirt des Touristikhauses am Wendelstein, wo die Gründungsversammlung stattgefunden hat. Im Mitgliedsbuch ist Reiter mit der Nummer eins verzeichnet, die Hose hat sein Sohn später dem Verein geschenkt. Kaspar Reiter ist auf einem Foto zu sehen, das auch den Lehrer Vogl an der Zither zeigt und dessen einzige Aufnahme in trachtigem Gewand ist.

Die heilige Lederhose soll dieses Jahr in Ettal in der Landesausstellung "Wald, Gebirg und Königstraum - Mythos Bayern" gezeigt werden. Zum Mythos Bayern gehört auch die Tracht, heute mehr denn je. Denn bis weit in die Nachkriegszeit wäre niemand auf die Idee gekommen, in kurzer Lederhose auf eine Hochzeit zu gehen, und auch am Oktoberfest ist die Tracht erst in jüngerer Vergangenheit fast zur Pflichtausstattung geworden - in fröhlicher Vielfalt, wie sie Alexander Wandinger, dem Leiter des Trachteninformationszentrums in Benediktbeuern gefällt.

Wandinger hat leise Zweifel am Alter der heiligen Hose. Tracht sei immer Mode gewesen und in ihrem Anspruch auf ungebrochene Tradition vor allem ein Konstrukt, sagt er. Aus seiner Sicht pflegen manche besonders gestrenge Vereine mit ihrer Uniformierung die Tracht regelrecht zu Tode. Als Nationalkostüm hat sie sich durchgesetzt. Peter Grimm, der 1980 mit seiner Lederhose nicht in den Petersdom durfte, wäre spätestens seit dem bayerischen Papst auch dort willkommen. Der Lehrer Vogl hat nur den Beginn dieses Siegeszugs erlebt: Er zog 1885 nach Baiernrain und starb im Jahr darauf mit nicht einmal 38 Jahren.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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