In Rekordzeit haben neun Ehrenamtliche nichts weniger als ein Konzept für die Energiewende im Landkreis Ebersberg erarbeitet. Gerade einmal ein Dreivierteljahr ist vergangen, seit die hauptsächlich sehr jungen Leute ihre Arbeit aufgenommen haben, am Mittwoch gab es die Abschlusspräsentation. Zwar wegen Corona nur virtuell, doch auch ohne großen Empfang gab es großes Lob für die Beteiligten, auch und besonders aus der Kommunalpolitik.
Im Grunde fand in Ebersberg in den vergangenen eineinhalb Jahren seit Beginn der ersten Vorbereitungen ein doppeltes Experiment statt. Das erste ist ein soziologisches, es geht darum, herauszufinden, ob und wie sich Einstellungen zu möglicherweise umstrittenen Energiewende-Projekten positiv verändern lassen. Beteiligt waren die Deutsche Umwelthilfe, die Stiftung Mercator, das Fraunhofer Institut, die Fakultät Architektur der TU München sowie die Fachrichtung Psychologie der Medical School Hamburg (MSH). Der zweite Teil des Experiments könnte für den Kreis Ebersberg einen echten Mehrwert haben. Nämlich Antworten auf die Forschungsfrage, ob es interessierten Laien - mit professioneller Unterstützung - gelingt, eine brauchbare Planung zu erstellen, die dann auch die eigentlich dafür Verantwortlichen nutzen können.
Beides, darin war man sich am Mittwochabend einig, könne mit Ja beantwortet werden. So habe sich gezeigt, so Sören Schöbel-Rutschmann, Professor für Landschaftsarchitektur an der TU, dass die Arbeit der Ehrenamtlichen "ein zusätzlicher Baustein für Planungsprozesse" sein könne. Eine Einschätzung, die Landrat Robert Niedergesäß (CSU) teilt, in der Politik "entwickelt man manchmal einen gewissen Tunnelblick", wenn es um Projektplanung gehe. Daher sei es "gut, wenn man sich Perspektiven von außen holt". Was aus einem weiteren Grund sinnvoll sei: "Die Politik plant ja nicht für sich selbst, sondern für die Bürger."
Nach dem Bürgerentscheid:"Lieber ein Windrad 100 Meter neben meinem Haus"
Die Gegner des Windparks im Ebersberger Forst rüsten sich bereits für die nächste Runde gegen das Vorhaben. Die Planer äußern sich zu möglichen Standortänderungen - falls eine Regel kippt.
Auch das Ergebnis selbst, das bereits Anfang des Jahres präsentiert worden war, "finde ich sehr sympathisch", sagte Niedergesäß. Im Kern geht es darum, wie man den im vor fünf Jahren erarbeiteten Meilensteinplan Energiewende konkret umsetzen kann. Allerdings beschränkt auf die Stromerzeugung, etwa 702 Gigawattstunden pro Jahr werden hier benötigt. Diese könnte man aus den drei Energieträgern Sonne, Biomasse und Wind decken, so das Fazit der Ehrenamtlichen der sogenannten Kerngruppe. Dazu wurde ein 3D-Modell des Landkreises erstellt, auf dem die verschiedenen Anlagen zu sehen sind. Photovoltaik etwa soll, neben den Hausdächern, vorzugsweise in Form von Bändern entlang der Hauptverkehrsachsen genutzt werden. Bei der Windkraft hat die Kerngruppe vorgeschlagen, pro Gemeinde ein Windrad zu bauen. Als verträglichen Abstand zur Wohnbebauung hatten die jungen Ehrenamtlichen das Vierfache der Höhe der Anlagen empfohlen.
Ein Vorschlag, der dem Landrat zwar gut gefällt, auf dessen Umsetzung er aber keinen direkten Einfluss habe, wie Niedergesäß betonte: "Das ist die Planungshoheit der Kommunen." In einigen davon stößt die Idee ebenfalls auf Zustimmung: "Die Verteilung auf die Gemeinden gefällt mir sehr gut", sagte der Dritte Bürgermeister von Oberpframmern, Korbinian Heinzeller (CSU). Ein ähnliches Procedere plane man ohnehin, seine Gemeinde will zusammen mit den Nachbarn aus Höhenkirchen und Egmating drei Windräder bauen - eines pro Gemeinde - an denen sich die Einwohner auch beteiligen können. "Es schadet nie, eine Meinung von außen zu haben", sagte Glonns Bürgermeister Josef Oswald (CSU). Wie realistisch die Umsetzung allerdings wird, dazu wage er keine Prognose: "Es gibt doch kein Windrad - oder sonst ein größeres Projekt - das nicht beklagt wird." Unterm Strich sei das Konzept aber sehr positiv.
Dem schloss sich Michael Stolze (parteilos), Bürgermeister von Markt Schwaben, an. Vor dem Hintergrund des Bürgerentscheides vergangenen Sonntag sei er "sehr zuversichtlich, dass sich die Windenergie im Energiemix des Landkreises etablieren wird". Sein Amtskollege Christian Bauer (CSU) aus Grafing, zeigte sich über den Ausgang des Bürgerentscheides ebenfalls erfreut, "auch wenn ich mir mehr Ja-Stimmen gewünscht hätte". Das Konzept der Kerngruppe sei zukunftsweisend: "Ich denke, dass es nur so gehen kann, wenn jede Gemeinde auf ihrem Gebiet ein Windrad aufstellt." Wobei dies wohl nicht überall im Landkreis möglich sei, gab Baierns Bürgermeister Martin Riedl (CSU) zu bedenken. So sei die Bebauung im nördlichen Landkreis einfach zu dicht. Dennoch sei die Planung "grundsätzlich interessant".
Sie sei sogar "total wichtig" befand Hans Gröbmayr, früherer Klimaschutzmanager des Landkreises und bis vergangenes Jahr Leiter der Energieagentur. In seiner aktiven Zeit hatte er das Konzentrationsflächen-Konzept Windkraft maßgeblich vorangebracht, bevor es durch die 10-H-Regel obsolet wurde. Damals hatte man den Ansatz verfolgt, immer mehrere Windräder pro Standort aufzustellen, "ich freue mich über den neuen Ansatz" der dezentralen Verteilung. Schließlich habe sich beim Bürgerentscheid gezeigt, "die meisten Ja-Stimmen gab es in der Umgebung des einzigen Windrades im Landkreis".
Erneuerbare Energien:Wie steht es um die Windkraft?
Wo sie entstehen, gibt es Protest, mitunter Morddrohungen: Im Ebersberger Forst sollen fünf Windräder gebaut werden. Es sind nicht die ersten im Großraum München und dürften nicht die letzten sein.
Gröbmayr stellte auch die Frage, ob die Kerngruppe eine Idee habe, wie man mehr Leute dazu bewegen könne "in das Thema einzusteigen". Vielleicht, so Lea - aus Datenschutzgründen tauchen die Ehrenamtlichen nur mit Vornamen auf - indem man sich vergegenwärtigt, wie viel Strom man selbst verbraucht, und wie dieser erzeugt werden kann. Sie selbst habe im Rahmen des Projekts die Vorteile von Windkraft kennengelernt, weil das Verhältnis von Fläche zu Ertrag einfach am besten ist. Für Martin Lechner, CSU-Kreisrat aus Straußdorf und erklärter Befürworter der Windkraft, war auch der Bürgerentscheid ein Anstoß: "Je mehr Leute dabei sind, desto mehr kommt in Bewegung". Er habe den Eindruck "viele hatten sich vor dem Bürgerentscheid noch nie mit dem Thema befasst."
Genau diese Frage, das Befassen mit dem Thema Energiewende, ist der zweite Teil des Experimentes. Dazu wurden zu Projektstart einige Dutzend Personen aus den Gemeinden Egmating, Oberpframmern und Zorneding unter anderem dazu befragt, wie sie die Stimmung im Ort zu verschiedenen Formen der erneuerbaren Energiegewinnung einschätzen. Nun habe sich gezeigt, so Valentin Leschinger von der MSH, dass die Befragten besonders bei Windkraft inzwischen von einer höheren Akzeptanz ausgehen. Von Minus 0,5 von drei auf plus 0,2 von drei sei der Wert gestiegen.
Ebenfalls gefragt wurde, wie die Idee bewertet wird, in jeder Gemeinde des Landkreises ein Windrad aufzustellen. Dem gegenüber standen zwei Entwürfe, die mehr auf Konzentration der Standorte setzen. Letztere wurden von den Befragten deutlich schlechter bewertet, sowohl was die Auswirkungen auf die Landschaft angeht, wie auch was die Fairness der Verteilung betrifft. Ebenfalls positiv bewertet wurde bei der gleichmäßigen Verteilung, dass dadurch in jeder Gemeinde eine Beteiligung an dem Projekt, also lokale Wertschöpfung, möglich sei. Was letztlich auch die Akzeptanz der Befragten erhöhte, wenn Windräder im eigenen Ort aufgestellt würden.
Vielleicht kann dies ja noch weiter gehen, sagte Gröbmayr: "Ich wünsche mir einen Wettbewerb zwischen den Gemeinden, wer mehr Windräder baut."