Ausstellung:Wunder gibt es immer wieder

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Prunkvoll: die Büste des Gennaro im Diözesanmuseum Freising. (Foto: Thomas Dashuber)

Die Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan" im Diözesanmuseum Freising erörtert die Frage, was ein Heiliger gegen den Weltuntergang ausrichten kann. Zu sehen sind Schätze aus Neapel, die Italien nie zuvor verlassen haben.

Von Susanne Hermanski, Freising

Blut und Lava. Beides rot, flüssig, in seinem Ursprung aus dem Innersten. Doch wehe, wenn es an die Oberfläche tritt. Wenn es aus der Wunde quillt und wenn es erstarrt. In Neapel kennt man sich aus mit diesem schrecklichen Prozess. Kaum eine andere Stadt scheint so offensichtlich des Schutzes zu bedürfen.

Neapel ist so fruchtbar wie gefährlich in zwei hoch aktive vulkanische Gebiete gebettet, den Vesuv und die Phlegräischen Felder. Naheliegend, dass der Patron dieser Stadt ein Wunder hinterließ, dass in seinem eigenen Innersten, seinem Blut besteht. Doch wer glaubt schon noch an Wunder in dieser Zeit, in der alle auf ein Wunder hoffen?

Christoph Kürzeder, der Chef der Diözesanmuseums hat den "Tesoro di San Gennaro" samt unzähliger Kultgegenstände, die das Blutwunder umgeben, auf den Domberg geholt. Dieser einzigartige Schatz aus religiöser, kulturgeschichtlicher und materieller Sicht hat Neapel nie zuvor verlassen. Dass Kürzeder gelungen ist, ihn zu leihen, ist ein Mirakel für sich.

Im Vordergrund die Kruzifixe, im Hintergrund Filmbilder der Prozession. (Foto: Thomas Dashuber)

Viele Besucher des jüngst furios eröffneten Museums nehmen das in seiner Bedeutung wohl kaum wahr. Wer aber etwas Zeit und Offenheit mitbringt für das, was da im zweiten Obergeschoss des prächtigen, neu eingerichteten Hauses auf ihn wartet, dem gehen die Augen über. Die allererste Sonderausstellung, die Ende Januar schon wieder zu Ende geht, hat den Titel "Tanz auf dem Vulkan. Leben und Glauben im Schatten des Vesuv".

San Gennaros opulente katholische Heiligkeit ist dabei weniger der Kern als die Frage: Wie gehen wir Menschen mit der Bedrohung durch nicht bewältigbare Naturkatastrophen um? Welche Erklärungsmuster entwickeln sie, um die Gefahr zu bannen? Diese Fragen gerade jetzt zu stellen, da gerade wieder irrwitzige "Zwanzigerjahre" Fahrt aufnehmen, ist richtig. Da die einen verzweifelt gegen den Klimawandel demonstrieren und die anderen verzweifelt weiterfeiern - tanzen, feiern und verdienen, dass die Börse kracht. Oder eben die Erdkruste.

Christoph Kürzeder, Direktor des Diözesanmuseums Freising. (Foto: Johannes Simon)

Über Jahrhunderte hat sich die Stadt Neapel auf ihren Heiligen verlassen. "Sie hat sogar einen notariell erarbeiteten Vertrag mit ihn geschlossen", erzählt Kürzeder. Die Ausstellung beginnt mit dem ins kollektive Gedächtnis Europas eingeschrieben Vesuvausbruchs im Jahr 79 nach Christus - mit filmischen Rekonstruktionen und echten, faszinierenden Exponaten aus Pompeji und Herkulaneum.

Welche Praktiken die Christen danach entwickelt haben, um die Gefahr zu bannen, darum geht es im Fortlauf der Räume. San Gennaro, der heilige Januarius, war einer ihrer frühen Märtyrer. Über das Leben des einstigen Bischofs von Benevent ist wenig bekannt, nur sein Ende gilt als sicher: Er wurde um das Jahr 305 enthauptet.

Der Legende nach beobachtete eine fromme Frau seine Hinrichtung und bewahrte sein Blut in zwei Glasampullen auf. Gennaros Leichnam wurde in den Katakomben Neapels bestattet. Doch sein geronnenes Blut hat sich immer wieder verflüssigt. Bezeugt wird dieses Wunder wird zum ersten Mal 1389. Auf die Probe gestellt, sahen die Gläubigen von Neapel die Macht ihres Schutzheiligen beim Vulkanausbruch 1631. Der Vesuv begann zu toben, der Erzbischof ordnete eine Prozession an, bei der die Reliquien San Gennaros dem Berg entgegengetragen wurden.

Tausende beteiligten sich, meist barfuß und im Büßergewand. Das Wunder geschah, und die Natur beruhigte sich langsam wieder. Die Ampullen mit dem Blut des Märtyrers werden im Schatz des Heiligen, dem "Tesoro di San Gennaro", in einer Kapelle des Doms von Neapel aufbewahrt.

Sie sind bis heute im Gebrauch für einen Kultus, dreimal im Jahr, begleitet von großen Prozessionen. Wenn die Blutampullen in die Nähe der Schädelreliquie Gennaros gebracht, gedreht und gewendet werden, wird das getrocknete Blut flüssig. Verflüssigt es sich nicht, gilt das als schlechtes Omen.

Die Heilige Irene und viele andere der Stadtheiligen Neapels werden bei Prozessionen durch die Straßen getragen. (Foto: Marco Einfeldt)

"Auch wenn man das als besondere Phänomene der Volksfrömmigkeit abtun mag", sagt Christoph Kürzeder, "für mich ist das auch die Manifestation des Bewusstseins der Menschen Neapels, dass sie in einer Gefahr leben, ja tanzen. Aber auch, dass sie zusammenhalten." Vielen Menschen scheine gerade diese Klarsichtigkeit heute abhandengekommen zu sein.

In der Ausstellung sind zahlreiche weitere Kultgegenstände, Gemälde und Kunstwerke zu sehen: Die Ganze Pracht Neapels, dem nie nur Lavamassen, sondern auch Erdbeben, Seuchen, Kriege drohten. Für all das flankieren San Gennaro auf den Prozessionen bis heute noch viel mehr Heilige. "57 insgesamt", sagt Kürzeder, "doch wir haben sie nicht alle hier".

Die von Silberschmieden gefertigten, riesigen, blitzblanken Büsten der drei Dutzend, die bis Freising gereist sind, gehören zu den beeindruckendsten Exponaten der Schau. Auch wenn das materiell wertvollste ein paar Räume vorher hängt: das Schild mit dem abgeschlagenen, in Schrecken erstarrten Haupt der Medusa von Caravaggio. Sie ist der Star unter den Besuchern und im öffentlichen Echo. Kein Wunder, aber schade eigentlich.

Die Medusa - auf einem Schild, gemalt von Caravaggio. (Foto: Thomas Dashuber)

Tanz auf dem Vulkan. Diözesanmuseum auf dem Domberg in Freising , bis 29. Januar

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